Die Banalität der "Hannah-Arendt-Akademie der Denker" / The Banality of the "Hannah Arendt Academy of Thinkers"

2021-11-17

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Stellungnahme der Redaktion

Der neu gegründete Verein Hannah-Arendt-Akademie der Denker wirbt seit einigen Wochen im Internet um Bewerbungen auf ein Studium Generale. Adressaten sind junge Menschen an der Schwelle zur höheren Bildung, mit Hochschulreife aber ohne Immatrikulation. Ihnen wird im Wintersemester eine Reihe von Online-Wochenendseminaren in verschiedenen Fächern angeboten. Für eine Anmeldungsgebühr von 150€, bei regelmäßiger Teilnahme und erfolgreicher Seminarabschlussarbeit, bekommen die noch nicht Studierenden eine Teilnahmebestätigung „zur Vorlage bei Bewerbungen“, so verkündet der Verein auf seiner Website. Was hier aber nicht verraten wird: Der Pool der Dozierenden ist dem neurechten Milieu zuzuordnen, einige sind bekannte AfD-Unterstützer:innen und Verschwörungstheoretiker:innen, die mit ihren Doktor- und Professorentiteln hausieren gehen. Flankiert wird die geschwätzige Werbung („Wer sich erst einmal umschauen möchte, was die Welt im Innersten zusammenhält …“) von aus historischen und intellektuellen Kontexten herausgerissenen Zitaten von Arendt und anderen Philosoph:innen.

Wir verurteilen zutiefst diese Initiative und raten allen angesprochenen jungen Menschen davon ab, ihre intellektuelle Energie, ihre Wissbegier, ihre Zeit und nicht zuletzt ihr Geld in diese Falle zu stecken. Wir sind entsetzt über die Instrumentalisierung des Arendtschen Denkens, die hier am Werk ist. Arendts bekannte Figur eines „Denkens ohne Geländer“ verweist gerade nicht auf ein Denken, das sich losgelöst von jeglicher erfahrbaren und kommunizierbaren Wirklichkeit oder von der überprüfbaren Tatsachenwahrheit bewegt. Es geht hingegen darum, dieser Wirklichkeit ins Gesicht zu sehen („facing up to“) und zu widerstehen („resisting of“), also Urteile zu fällen gerade in Zeiten, in denen der Kompass der tradierten und verbrieften, moralischen wie rechtlichen Kategoriensysteme verloren gegangen ist. Zeiten, in denen Egoismus als Freiheit verkauft wird, Menschenrechte als Privilegien gelten und die Verbreitung von Halbwahrheiten Meinungsfreiheit genannt wird. In solchen Zeiten ist es besonders geboten, von der menschlichen Urteilskraft entschiedener Gebrauch zu machen, Recht von Unrecht und Wahrheit von Meinung zu unterscheiden.

Was hier angeboten wird ist keine Orientierung, keine Hilfe auf dem Weg in die universitäre Bildung und Karriere, was erlangt werden kann keine Freiheit, sondern es ist die Einübung in eine demokratiefeindliche Grundhaltung.

Berlin, 17. November 2021

 

The Banality of the Hannah Arendt Academy of Thinkers – Editorial Statement

The newly founded association Hannah-Arendt-Akademie der Denker has been soliciting applications for a Studium Generale on the web for several weeks. The addressees are young people on the threshold of higher education who have a university entrance qualification but are not enrolled. They are offered a series of online weekend seminars on various topics during the winter semester. For a registration fee of €150, regular participation and a successful final seminar thesis, these aspiring students will receive a certificate confirming participation "for submission with job applications", so the association’s website announcement. What is not revealed here: The pool of lecturers belongs to the new-right milieu, some are known AfD supporters and conspiracy theorists peddling their doctoral and professorial titles. The garrulous advertisement ("Whoever wants to take a look around and see the core that holds the world together...") is flanked by quotations from Hannah Arendt and other philosophers, which have been ripped from their historical and intellectual contexts.

We strongly condemn this initiative and advise all young people addressed not to fall into this trap and waste their intellectual energy, their inquisitiveness, their time, and not least their money. We are appalled by the exploitation of Arendt's thinking that is at work here. Arendt's well-known metaphor of "thinking without a banister" by no means refers to a thinking detached from a perceivable and conveyable reality or from truths that are both factual and verifiable. Quite the contrary, it is a matter of "facing up to" and the "resisting of" this reality. It means making judgments precisely when the traditional and codified compass of moral and legal category systems has been lost. At a time when egoism is sold as freedom, human rights are considered privileges and the spreading of half-truths is regarded as freedom of opinion, it is crucial to make more decisive use of the human capacity to judge, to distinguish right from wrong and truth from opinion.

What is offered here is not orientation, not help on the road to university education and a career. What can be achieved here is not freedom, but the practice of an anti-democratic attitude.

 Berlin, Nov. 17, 2021