Call for Papers
Wahrheit und Politik / Truth and Politics
Ihre Vorträge und Abhandlungen zum Thema „Wahrheit und Politik“ / „Truth and Politics“ konzipierte und schrieb Hannah Arendt in den 1960er Jahren. Auslöser war die massive Kritik, die sie in der westlichen Welt zu ihrem Buch Eichmann in Jerusalem (1963/1964) erhielt. In der Fassung von „Truth and Politics“, die sie 1968 in die Sammlung Between Past and Future aufnahm, gibt sie den folgenden Hinweis. Ziel der Abhandlung sei es, „zwei unterschiedliche, doch miteinander verbundene Probleme, welche ich vorher nicht gesehen hatte und die in ihrer Bedeutung über das unmittelbare Geschehen hinauszuweisen scheinen, zu klären. Das erste betrifft die Frage, ob es stets richtig ist, die Wahrheit zu sagen. Glaubte ich ohne Einschränkung an das ‚Fiat veritas, et pereat mundus‘? Das zweite ergab sich aus der erstaunlichen Zahl von Lügen, von denen in der ‚Kontroverse‘ Gebrauch gemacht wurde – Lügen einerseits über das, was ich geschrieben, und andererseits über die Tatsachen, die ich berichtet hatte.“
In jüngerer Zeit ist das Thema virulent, seitdem wir weltweit die Zunahme von populistischen Bewegungen und autoritären Manipulationen der Wirklichkeit auch durch demokratisch gewählte Politiker erleben. Was anfangs noch als nebensächliches Phänomen gedeutet werden konnte, offenbart sich inzwischen als Ausdruck einer Zeitenwende. Die klassischen Volksparteien befinden sich im Niedergang, Führerfiguren wie Trump in den USA, Bolsonaro in Brasilien und Erdogan in der Türkei versprechen einen neuen politischen Stil mit einfachen Lösungen. Sie propagieren den Bruch von Tabus und setzen bewusst die Spaltung in nationalen und internationalen Räumen in Gang. In den sozialen Medien werden Grenzen des Rechtsstaats und zivilisierten Verhaltens überschritten; Nationalismus und Antisemitismus, Nazismus, Hass, Lügen, Fake News und absurde Verschwörungstheorien werden ungehindert verbreitet.
Hannah Arendt hatte seinerzeit eine Reihe von Gedanken zu „Wahrheit und Politik“ / „Truth and Politics“ zusammengetragen, die sich überwiegend auf ihre Einsichten in das System totalitärer Bewegungen und Propaganda zurückführen lassen, wie sie sie in ihrem Buch The Origins of Totalitarianism / Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft (1951/1955) herausgearbeitet hatte. Es scheint sinnvoll, diese zu dem in Bezug zu setzen, was wir heute, auf einer neuen Stufe des Anthropozäns, als Populismus und neue Machbarkeit von Welt erfahren – unter dem Motto „anything goes“.
In diesem weiten gedanklichen Feld soll sich das neue Heft von HannahArendt.net schwerpunktmäßig bewegen. Im einzelnen wären Beiträge vorstellbar:
- Zu begrifflichen Klärungen, etwa von „Wahrheit“ (Vernunft- / Tatsachenwahrheit) und „Lüge“, „Fake News“, „Volk“ und „Populismus“, „Wandel“, „Elite“, „Bewegung“ und „Partei“
- Zu dem Phänomen „Shitstorm“, das als Begriff inzwischen in die deutsche Sprache aufgenommen wurde, und zu einem von dessen Vorläufern, der als „Arendt-Kontroverse“ in die Literatur eingegangen ist
- Zur Frage, inwieweit die technologische Transformation öffentlicher Kommunikationsräume die Kategorien kommunikativer Transparenz, Verantwortlichkeit, Überprüfbarkeit und die Möglichkeiten einer Bestätigung des Wahrheitscharakters von Aussagen grundsätzlich infrage stellen bzw. neu zu denken zwingen
- Zu Ereignissen der jüngeren Vergangenheit, die in den Themenkreis gehören, etwa die Propaganda zur Rechtfertigung des Irak-Krieges
- Zu Fragen der Erosion des Demokratie-Gedankens und zu Thesen über das Ende der Demokratie (Why Democracies Die?)
- Zum Aufleben von Verschwörungstheorien und deren Verbreitung im Internet
- Zum Problem, inwieweit Arendts Erkenntnisse über den Totalitarismus noch auf die neue, die gegenwärtige Lage anwendbar sind
Teilen Sie uns ein Thema Ihrer Wahl mit, dessen Manuskript Sie in von Ihnen gewählter Länge bis zum 30. November 2019 einreichen können! Wir freuen uns darauf.
Die Redaktion - www.hannaharendt.net