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Ausgabe 1, Band 1 – Februar 2005

Treffen sich Akteur und Zuschauer?

Zur Rolle des Richters in Hannah Arendts Urteilstheorie

Stefanie Rosenmüller

PhD Thesis „Der Ort des Rechts bei Hannah Arendt und die Besonderheit des Bundes­verfassungsrichterlichen Urteilens“ or “Locating Justice - the Rulings of the German Federal Constitutional Court against the background of Hannah Arendt’s theory of judgment”

Einleitung

Ein zentraler Aspekt meiner rechtsphilosophischen Arbeit über Arendt ist der Versuch, Arendts Urteilskonzeption für das juristische Urteilen fruchtbar zu machen und das, ob­wohl sich Arendt zum Thema Recht wesentlich weniger geäußert hat als zu ihrem zentra­len Thema, dem der Politik. Hinzu kommt, dass Arendts Ansätze zum Urteilen systemati­sche Unstimmigkeiten aufweisen, die zu Widersprüchen führen und bei der Frage nach dem Verhältnis von politischem und juristischem Urteilen mitgeklärt werden müssen. Denn Hannah Arendt hat nicht eine kohärente Urteilstheorie entwickelt, sondern neben Überlegungen zum Urteilen als politischer Fähigkeit in den Essays, v.a. aus den 50er Jah­ren1, nur ein Fragment hinterlassen, und zwar Vorlesungen von 1970 „Über Kants Politi­sche Philosophie“ zu einem geplanten Band über „Das Urteilen“ als drittem Teil ihrer Schrift „Vom Leben des Geistes“2. Diese beiden Ansätze zum Urteilen werden in der Lite­ratur gerne als Akteurs- und Zuschauerurteil kontrastiert und sie stehen, so Bernstein, in „flagrant contradiction“, also offenkundigem oder eklatantem Widerspruch3.
Rein rhetorisch kann man das Projekt dennoch verteidigen, indem man Arendts Weg für ihre Deutung der ästhetischen Theorie Kants als politischer Philosophie folgt und für ein Konzept des juristischen Urteilens in ihrer politischen Theorie analogisiert: „Wenn ich damit recht habe, dass es bei Kant eine Politische Philosophie gibt, dass er sie jedoch, im Gegensatz zu anderen Philosophen niemals geschrieben hat, dann scheint es nahe lie­gend, dass wir in der Lage sein sollten, sie, wenn überhaupt, in seinem Gesamtwerk zu finden(...)“4

Stellt sich dann heraus, dass mit der Inanspruchnahme von Arendts Urteilstheorie für das juristische Urteilen systematische Probleme der beiden Urteilsmodelle bei Arendt be­hoben werden können, ist auch sachlich etwas gewonnen.

Dianna Taylor hat vor kurzem auf die, wie sie sagt, „instruktiven Widersprüche“5 hinge­wiesen, die Arendt in ihrem Bericht zum Eichmann-Prozess in Jerusalem von 19636 un­terlaufen sind. Die These, die ich vorstellen und begründen möchte, ist, dass diese Wider­sprüche, die in ihren Überlegungen zum juristischen Urteilen auftreten insofern instruk­tiv sind, als sie nicht nur die Widersprüche in ihrer Urteilstheorie insgesamt abbilden, sondern gerade umgekehrt über die Frage nach dem juristischen Urteil die beiden Model­le harmonisiert werden können. Die These, dass die beiden Pole von Akteur und Zuschau­er in Arendts Theorie zu einer „dialogischen Konzeption des Urteilens“ zusammengesetzt werden können, wird von Leora Bilsky vertreten, an deren Formulierung, dass sich näm­lich „Akteur und Zuschauer im Gerichtssaal treffen“ 7, ich mich im Titel anlehne.

Also werde ich drei Lesarten vorstellen, mit dem Ziel, das Akteurs- und Zuschauerurteil zu harmonisieren und im juristischen Urteil zu verbinden.

Zunächst möchte ich (in 1.) Dianna Taylors Kontrastierung von Arendts Denken und dem „legal reasoning“ als dem Urteilen der Richter im Eichmann-Prozess vorstellen, weil dort der Richter bei Arendt zum ersten Mal, und zwar mit defizientem richterlichen Urtei­len, vorkommt.

In der zweiten verwendeten Textstelle, in der der Richter bei Arendt vorkommt (in 2.), wird er mit dem Historiker gleichgesetzt8.
Dann nenne ich kurz (in 3.) Kants Definition von bestimmender und reflektierender Urteilskraft, um knapp einige kritische und positive Anknüpfungen Arendts an die Kritik der Urteilskraft zusammenzufassen. Hier folgt das dritte Richterzitat bei Arendt9, in dem das Richterurteil als Zuschauerurteil und als reflektierendes Urteil bestimmt wird.
Leora Bilsky versteht (in 4.) parallel dazu den Richter als reflektierenden Zuschauer der Geschichte und als politischen Akteur im Rechtssystem10. Deshalb können in seiner Per­son beide Urteilstypen in Dialog treten.

Allerdings entspricht das Akteursurteil, wenn es identisch mit dem bestimmenden Ur­teil sein soll, nicht ohne weiteres Arendts Beschreibung des politischen Akteurs. Außer­dem begrenzt Bilsky die reflektierende Urteilskraft auf den Fall des neuen Verbrechens, ohne dass klar wird, wie entschieden wird, dass er vorliegt; denn das kann die bestim­mende Urteilskraft alleine nicht leisten.

Im Anschluss (in 5. und 6.) überlege ich deshalb, ob man nicht das Akteursurteil als im­plizite politische Elemente des juristischen, bestimmenden Urteils deuten kann, die im reflektierenden Urteil explizit überprüft werden. Dafür spricht die doppelte Verwendung des common sense bei Arendt, auf die Ulla Holm11 aufmerksam gemacht hat. Dann wäre der common sense einmal implizit als Ausgangspunkt im Akteursurteil wirksam, und ein­mal als normative Konzeption im reflektierenden Urteil.

I.

Die Figur des Richters thematisiert Arendt zum ersten Mal im Eichmann-Prozess, in dem sie einerseits affirmativ die Aufgabe der Richter benennt: „Recht zu sprechen und der Gerechtigkeit Genüge zu tun“12, zugleich aber Kritik am juristischen Urteil13 formu­liert. Das Gericht habe insbesondere nicht gesehen, dass es sich im Fall Eichmann nicht um das Ende einer langen Geschichte der Judenverfolgung14 sondern um einen Präze­denzfall, um einen neuen Verbrechenstypus15 handele.
Nach Dianna Taylor sind die Taten Eichmanns als totalitäre Verbrechen insofern spezi­fisch neu, als der Totalitarismus ein in einem schrecklichen Sinn neues Phänomen war, denn „every moral act was illegal“, also, zumindest ab einem bestimmten Zeitpunkt (1942) “jede moralische Tat ungesetzlich war und jede moralische Handlung ein Verbre­chen“16. Deshalb standen keine Kategorien und allgemeinen Regeln mehr zur Verfügung17 und diese Situation bedeutete zugleich, so Taylor, eine „crisis in meaning“, eine Krise des Verstehens.
Ich möchte hinzufügen, dass Arendt im Eichmanntext aus diesem Grund nicht nur dem Gericht zustimmt, dass Verantwortung im totalitären Regime anders und weiter gefasst werden müsse18, sondern auch noch ein weiteres Argument für die Neuheit des Verbre­chens gibt. Sie sieht im Völkermord den Tatbestand des „Verbrechens gegen die Mensch­heit“ erfüllt und grenzt ihn ab gegen traditionelle Tötungsdelikte und Vertreibung, weil „Völkermord einen Angriff auf die menschliche Mannigfaltigkeit als solche“ darstelle19. Deshalb „waren diese Verbrechen politisch und rechtlich nicht nur quantitativ, sondern qualitativ verschieden“20, weil es ein anderes Rechtsgut ist, das verletzt wurde, als Leib und Leben eines Individuums. Bilsky spricht von „crimes(...) directed against (...) the con­dition of human plurality“21 und verweist auf Arendts Schrift „Vita activa“ 22, in der das Recht als vorpolitischer Rahmen konzipiert ist, der Pluralität garantieren soll. Demnach wäre „Pluralität“ das verletzte Rechtsgut.
Mit dieser Einschätzung des neuen Verbrechens verteidigt Arendt nicht nur die Anwen­dung des retroaktiven Nazi- und Nazihelfer-Gesetzes23, das gegen das Rechtsprinzip des Rückwirkungsverbotes verstößt. Nach Dianna Taylor lässt sich auch zeigen, wie Arendt das juristische Urteilen, das sie an der Rechtsprechung der Richter analysiert und das Taylor legal reasoning nennt24, generell in unprecedented crimes, in neuen Fällen, für un­geeignet erklärt, wohingegen das Denken in der Konzeption Arendts ihnen entsprechen könnte.
Taylor stellt so die Fähigkeiten Denken aus Arendts Schrift LdG25 und „legal reasoning“als juristischem Räsonnieren26 aus dem Eichmann-Bericht einander gegenüber und kontrastiert Denken als ergebnisloses Unternehmen, während die rechtliche Ent­scheidung gerade ein Ergebnis brauche; Denken zerstöre Regeln, während rechtliches Ur­teilen unter Regeln subsumiere; Denken brauche entgegen dem rechtlichen Urteilen kei­nen Zwang und keinen Beweis; Denken sei eine „Suche nach Sinn“, während „Gedanken­losigkeit“, wie Arendt für Eichmann konstatiert hatte, zu Manipulation und Werteverlust führe - „non-thinking leads to manipulation and abolishes values“.

Damit sei das Denken bei Arendt beschrieben als Voraussetzung für das Urteilen, und zwar für ein Urteilen ohne Subsumtion, ohne Verwendung von Prinzipien, ohne Verwen­dung von Regeln, nur „aus Erfahrung“ und durch Gewichtung: „evaluate, not accept“ füh­re zum Urteilen. Das aber sei etwas grundsätzlich anderes als „to hang down a legal sen­tence“, also einen Urteilsspruch zu fällen. Soweit Taylor.

Nach dieser ersten Lesart stehen sich Regel zerstörendes Denken und juristisches Sub­sumtionsurteil unvereinbar gegenüber und Arendt müsste sich demnach in einem unauf­löslichen Dilemma befinden27. Wie das gesuchte Urteilen ohne Subsumtion beschrieben werden könnte, bleibt dabei noch offen.
Die Interpretation Taylors stützt sich vor allem, so scheint mir, auf Arendts in LdG ent­wickeltes Konzept von der idealtypischen Tätigkeit des Denkens und die Vorstellung, dass das Urteilen eine Brücke bilden solle zwischen Denken und Handeln. Sie bleibt in den systematischen Schwierigkeiten und Widersprüchen stecken, in die Arendt in LdG gera­ten ist und für die in „Das Urteilen“, so Beiners unumstrittener herausgeberischer Inter­pretationsansatz28, eine Lösung erarbeitet werden sollte.

II.

In „Das Urteilen“ nennt Arendt den Richter ein weiteres Mal, und zwar im Zusam­menhang einer Erläuterung zum Begriff von Geschichte als „legein ta eonta“, einer For­mulierung, die sie geradezu paradigmatisch für das Urteilen verwendet und hier übersetzt mit: „Erkunden, um zu erzählen, wie es war“. „Der Ursprung des Verbs (historein) liegt (...) bei Homer (...), wo das Substantiv histor (Historiker gewissermaßen) vorkommt, und dieser Historiker Homers ist der Richter. Ist die Urteilskraft unser Vermögen, das sich mit der Vergangenheit befasst, so ist der Historiker der Mensch, der sie erkundet und, in­dem er sie erzählt, über sie zu Gericht sitzt.“29

Nach dieser Textstelle würde man die Figur des Richters mit dem Zuschauerurteil iden­tifizieren.

Nun kann man überlegen, ob das Verhältnis von Zuschauerurteil und Akteursurteil so zu verstehen ist, dass der politische Akteur, den Arendt z.B. in „Vita activa“ in der Figur des Archill beschreibt und auf den sich das politische Urteil aus den Essays bezieht, dieser politische Akteur retrospektiv im Zuschauerurteil vom Richter beurteilt wird. Dann wür­de einfach die Unterscheidung von Akteur und Zuschauer einer Unterscheidung von poli­tischem und juristischem Urteil entsprechen. Dagegen spricht eine ähnliche Überlegung wie die von Taylor, dass legal reasoning, also Ergebnis orientierte Subsumtion, etwas an­deres sei als Geschichtsschreibung30, vor allem aber ist noch ganz unklar, wie dieses le­gein ta eonta als Vorgang zu verstehen wäre.

III.

Deshalb möchte ich die genannten Urteilstypen von Akteur und Zuschauer mit den beiden Urteilsformen, die von Kant in der von Arendt im „Urteilen“ interpretierten Kritik der Urteilskraft unterschieden werden, verbinden. Die bestimmende Urteilskraft subsu­miert das Besondere unter das gegebene Allgemeine, während die reflektierende Urteils­kraft zu einem gegebenen Besonderen das Allgemeine finden soll31.
Nun greift Arendt Kants Konzeption einerseits emphatisch, andererseits kritisch auf. Einerseits kritisiert Arendt Kant, wenn sie ihm vorwirft, dass er 1. die Urteilskraft zu we­nig eigenständig denke; 2. das urteilende Subjekt wie ein erkennendes denke: und 3. das urteilende Subjekt zu einsam denke. So habe Kant zwar „ein völlig neues menschliches Vermögen entdeckt, nämlich die Urteilskraft.“32. „Gleichzeitig entzog er diesem neuen Vermögen die Zuständigkeit für moralische Aussagen. Jetzt ist es (...) mehr als Ge­schmack (...), was über Schönes entscheidet (...) während die Frage nach Recht und Un­recht weder vom Geschmack noch vom Urteil, sondern allein von der Vernunft entschie­den werden soll.“ 33
Nach Arendt ist aber die Frage: Was soll ich tun? „Kant im Weg (...), als er seine politi­schen Einsichten mit seiner Moralphilosophie in Einklang zu bringen suchte“. Denn „die zweite Kantische Frage (...) hat nichts mit Handeln zu tun.“34 Stattdessen führe diese Frage­stellung zu einer Reduktion. „Kants Beharren auf den Pflichten gegen mich selbst (...)“, die Freiheit „von Neigungen“, (...) die „Gültigkeit für alle intelligiblen Wesen (...) begrenzt die Bedingung der Pluralität auf ein Minimum“35. Dann schließt Arendt an: „An diesem Punkt können wir nicht umhin (...), die schwierige Beziehung zwischen Philosophie und Politik oder (...) die Haltung, (...) der Philosophen hinsichtlich des ganzen politischen Bereichs (...) zu erwähnen.36
Wir kommen dieser Kritik an Kant näher, wenn wir die „drei Hinsichten“ berücksichti­gen, unter denen der Mensch nach Arendt betrachtet werden kann, und die Arendt in ei­ner Übersicht in „Das Urteilen“ skizziert37. Dort unterscheidet Arendt „drei sehr verschie­dene Konzepte oder Perspektiven, unter denen wir die menschlichen Angelegenheiten be­trachten können“:
1. Die „Menschheit“ als „Menschengattung“, „zu betrachten unter Idee des ‚Zwecks‘, der teleologischen Urteilskraft: zweiter Teil der Kritik der Urteilskraft.“38
2. Der Mensch als „vernünftiges Wesen: den Gesetzen der praktischen Vernunft unter­worfen, die er sich selbst gibt, unterworfen, autonom, ein Zweck an sich selbst, zu einem ‚Geisterreich‘, einer Sphäre der intelligiblen Wesen gehörend: Kritik der praktischen Ver­nunft und Kritik der reinen Vernunft.“39
3. „Die Menschen“ als „Erdenbewohner, in Gemeinschaft lebend, mit Gemeinsinn, sen­sus communis, einem gemeinschaftlichen Sinn ausgestattet; nicht autonom, selbst zum Denken die Gemeinschaft benötigend (‚Freiheit der Feder‘): erster Teil der Kritik der Ur­teilskraft, Kritik der ästhetischen Urteilskraft“40.

Damit handelt es sich nämlich bei der Fragestellung: Was soll ich tun? als Frage nach menschlichem Handeln anscheinend um eine Art Verwechslung dieser Hinsichten, und Arendts Kritik an der zweiten Kantischen Frage klingt so, als habe Kant einige Facetten der Menschen als „Erdenbewohner“ mit denen der „vernünftigen Wesen“ verwechselt.

Andererseits hat gerade Kant nach Arendt der „Geselligkeit“ Rechnung getragen und zwar mit der reflektierenden Urteilskraft. So greift Arendt Kant an der Stelle positiv auf, an der erneut der Richter vorkommt41. Der Richter ist das positive Gegenbild zum oben kritisierten Philosophen, weil er einen unparteiischen, aber nicht weltabgewandten Standpunkt einnimmt:
„Kants Sichtweise ist eine andere: man zieht sich auch auf den theoretischen, den be­trachtenden Standpunkt des Zuschauers zurück, aber diese Position ist die Position des Richters. Die ganze Kantische Philosophie ist mit Metaphern aus der Rechtssprache durchschossen: es ist der Gerichtshof der Vernunft, vor dem die Begebenheiten der Welt erscheinen.(...) Kant würde gesagt haben: Ich habe einen allgemeinen Standpunkt er­reicht, die Unparteilichkeit, die vom Richter erwartet wird, wenn er sein Urteil fällt. Die Griechen hätten gesagt: wir haben (...) doxa (...), Meinung und Ruhm aufgegeben.“42
Dieses Zuschauerurteil führt Arendt mit dem reflektierenden Urteil aus der Kritik der Urteilskraft eng43, so dass sie das ästhetische Urteilen Kants auf den Bereich des Han­delns, und das meint bei Arendt in einem spezifischen Sinn „politisches“ Handeln44, be­ziehen kann45. So reflektiert „das Urteil (...) über die anderen und ihren Geschmack, be­rücksichtigt ihre möglichen Urteile. Das ist notwendig, weil ich ein Mensch bin und nicht außerhalb der Gemeinschaft der Menschen leben kann. Ich urteile als Mensch der Ge­meinschaft und nicht als Mitglied der übersinnlichen Welt.“46
Der „Maßstab“ der Operation der Reflektion ist dabei der Gemeinsinn47. Die Maximen des Gemeinsinns, des sensus communis, sind: „Selbstdenken (die Maxime der Aufklä­rung), - an der Stelle jedes andern denken ( die Maxime der erweiterten Denkungsart) - Jederzeit mit sich selbst einstimmig denken (die Maxime der Widerspruchsfreiheit)“48. Dies sind nach Arendt im Unterschied zu Wissenschaft und Philosophie gerade „keine Angelegenheiten der Erkenntnis; die Wahrheit ist zwingend, man braucht keine ‚Maxi­men‘. Maximen gibt es nur für Angelegenheiten der Meinung und bei Urteilen; hier wer­den sie auch benötigt.“49
Wenn wir dies auf den Richter übertragen, heißt das zusammengefasst, dass er kein einsamer, deduktiv ein Ergebnis ermitteltender Zuschauer ist. Stattdessen ist er im Durchlaufen potentiell unendlicher Positionen gebunden an empirische Subjekte, die mit­berücksichtigt werden; unter den Kriterien von Autonomie, intersubjektiver Gültigkeit und Kohärenz50.

Was hat das mit legal reasoning zu tun?

IV.

Nun möchte ich Leora Bilskys Vorschlag anschließen, die wie Taylor das juristische Urteil als legal reasoning versteht und explizit zur bestimmenden Urteilskraft rechnet51. Für den „nonprecedent case“, den neuen Fall, setzt sie zusätzlich in ihrer Arendt-Inter­pretation die im Zuschauerurteil entwickelte reflektierende Urteilskraft ein und stellt so den Eichmann Text in den Kontext der späteren theoretischen Schrift über das „Urteilen“ als einer Kritik und Korrektur am subsumierenden juristischen Urteil52.
Das neue Verbrechen im Fall Eichmann ist nach Bilsky ein anderes Problem als die in der juristischen Literatur üblicherweise diskutierten Auslegungsprobleme, denn hier wür­de jede interpretierende Modifikation der Regel den Richter gerade daran hindern, eine gerechte Lösung zu finden53. Beim bestimmenden Urteil zu bleiben und den Fall unter traditionellen rechtlichen Kategorien54 zu behandeln, würde, so Bilsky, nach Arendt gera­de die Neuheit des Verbrechens verdunkeln. Es gehe Arendt im Fall Eichmann gerade um das Scheitern der bestimmenden Urteilskraft55.

Weil also das Besondere als Besonderes im Fall des neuen Verbrechen nicht durch Re­gelauslegung zu beurteilen ist, muss hier mit der reflektierenden Urteilskraft ohne Regel geurteilt werden.

Wäre nach diesem Modell ein Zusammenhang der beiden Urteilsansätze von Akteurs- und Zuschauerurteil herzustellen?

Denkbar wäre, den Richter mit Bilsky56 nicht nur als unparteiischen Zuschauer, son­dern, zumindest innerhalb der juristischen Sphäre auch als politischen Akteur zu verste­hen. Dann müsste der Richter einerseits als Akteur subsumieren und andererseits diesen Urteilstyp korrigieren, indem er den Perspektiven der anderen Rechnung trägt, ihre Posi­tionen durchspielt und sich so selbst auf die Finger schaut. Dann wäre der Richter selbst der Ort, an dem sich Zuschauer und Akteur treffen. „Und dieser Zuschauer befindet sich in jedem Akteur (...), ohne dieses kritische urteilende Vermögen wäre der Handelnde oder Schaffende so losgelöst vom Zuschauer, dass er nicht einmal wahrgenommen werden würde“57. Bilsky spricht von einer dialogischen Konzeption des Urteilens und meint damit anscheinend nicht nur die Aufspaltung in der Person des Richters, sondern auch die Prot­agonisten vor Gericht. Zuschauer sei auch Arendt als Berichterstatterin58.
Dieser Vorschlag trifft einige der Charakterisierungen von Akteurs- und Zuschauerur­teil59. Während der Akteur Zukunft gerichtet und parteiisch urteilt, involviert und enga­giert ist60, urteilt der Zuschauer retrospektiv, unparteiisch und aus interesseloser Di­stanz61. Das kann man übersetzen, denn als Teil der Institution ist der Richter z.B. daran interessiert, dass sein Ergebnis in der nächsten Instanz standhält; bezogen auf den Fall urteilt er retrospektiv und interesselos.
Allerdings entspricht die in der Literatur entwickelte Unterscheidung von Akteurs- und Zuschauer nicht ohne weiteres der Unterscheidung von bestimmender und reflektieren­der Urteilskraft, schon, weil der Akteur in Arendts Essays augenscheinlich nicht subsu­miert. Stattdessen bezieht sich das Akteursurteil auf den sog. „gesunden Menschenver­stand“62 als Ausgangspunkt und urteilt in einem bereits gegebenen Kontext. Deshalb han­delt es sich eher um die Fähigkeit, Situationen richtig einzuschätzen und ähnelt damit dem aristotelischen Begriff der phronesis63 - Arendt nennt selbst die phronesis in dem Essay Kultur und Politik64 (1958). Deshalb wird das Arendtsche Akteursurteil oft als eine Mischung aus strategisch-machiavellistischer und aristotelischer Klugheit gesehen65, wo­bei übrigens noch offen bleibt, ob oder in welchem Sinne der Akteur eigentlich hand­lungsorientiert urteilt und ob ein Ziel orientiertes Urteilen nicht unter Arendts Terminus vom Herstellen fiele66. Wenn wir also davon ausgehen, dass sich Zuschauerurteil und re­flektierendes Urteil entsprechen, dann sind mit aristotelischem Akteursurteil und kanti­schem bestimmendem Urteil inzwischen drei Urteilstypen bei Arendt aufzufinden.

V.

Versteht man nun aber Arendts Einleitung in „Das Urteilen“ so, dass sie die Urteils­kraft nur auf das Besondere beziehen will67, dann wäre das bestimmende Urteilen für Arendt gar kein „echtes“ Urteilen: „Ich werde zeigen, dass meine Hauptannahme für das Herausstellen der Urteilskraft als einer sich von den anderen deutlich unterscheidenden Fähigkeit unseres Geistes darin liegt, dass Urteilen weder durch Deduktion noch durch Induktion zustande kommen. Kurz gesagt, mit logischen Operationen - etwa der Art der folgenden: alle Menschen sind sterblich, Sokrates ist sterblich, also ist Sokrates ein Mensch - haben Urteile nichts gemein.“68

Nun möchte ich einen Vorschlag machen, wie die drei Urteilstypen zu harmonisieren wären und wieso der Richter dabei eine Rolle spielen soll. Die These lautet, dass Arendt der Meinung war, dass es kein „reines“ bestimmendes Urteil gibt und dass deshalb der rechtspositivistische Richter eine Art „falscher Zuschauer“ i. S. v. falscher Reflexion dar­stellt.

Dafür spricht, dass Arendt in ihrer Ideologiekritik der Ansicht war, dass logische Ope­rationen das Urteilen nur unvollständig ersetzen69. In „Verstehen und Politik“ setzt sie den gesunden Menschenverstand mit dem common sense, dem Gemeinsinn gleich und äußert: „wo immer uns der Gemeinsinn, der politische Sinn par excellence, bei unserem Verstehensbedürfnis im Stich lässt, sind wir nur allzu schnell geneigt, das logische Schlussfolgern als Ersatz zu akzeptieren.“70 Man kann hinzusetzen, dass schon nach Kant das bestimmende Urteil nicht auf mechanische Operation reduziert werden kann, weil die Einbildungskraft die Verbindung zwischen Begriffen und Fakten herstellt71.
Für das juristische Urteil könnte man dann behaupten, dass es kein reines bestimmen­des Urteilen gibt, weil ein impliziter Bezug auf Rechtsprinzipien und doxa hergestellt wer­den muss, um unter die Regel subsumieren zu können. Deshalb fließen bei der Subsumti­on sozusagen an beiden Seiten der Verbindung von Normenset mit Situationsdeutungs­set, sowohl bei der Frage, welche Norm relevant und anwendbar ist, als auch bei der Fra­ge, welches die vollständige und angemessene Situationsdeutung ist, bereits vorentschie­dene „Mikroparadigmen“72 ein. Wenn man diese Auslegungselemente in jedem Urteil als so genannte „politische“ Elemente des Akteursurteils versteht, dann wären so bestimmen­de Urteilskraft und Akteursurteil unter einen Nenner gebracht.
Das juristische Subsumieren wäre dann bestimmendes Urteilen, das stets implizit durchsetzt ist mit den „politischen“ Elementen eines Akteursurteils73. Der Bezug zu doxa und „gesundem Menschenverstand“ könnte für Juristen heißen: Anlehnung an die gängi­ge Rechtsprechungspraxis, an die herrschende Meinung der Rechtslehre und an den ge­sellschaftlichen Konsens als Ausgangspunkt; evtl. auch die „Judiz“des geübten Rich­ters.
Die Folgethese ist nun, dass dieser implizite Bezug auf die doxa im reflektierenden Ur­teil überprüft wird. Dafür müssen bestimmendes Urteil und reflektierendes Urteil ins Verhältnis zueinander gesetzt werden können. Vermutlich würde Bilsky zustimmen, dass die reflektierende Urteilskraft entscheiden muss, ob der neue Fall vorliegt. Das spricht dafür, dass sie zumindest der Kontrolle halber jedes Mal durchgespielt werden müsste74.

Wie aber können die beiden Urteilstypen aneinander angeschlossen werden?

Ulla Holm hat in einem Vortrag der IAPh in Göteborg auf die zwei verschiedenen Be­griffe von common sense hingewiesen, die sich durch Arendts Werk ziehen. Einmal wird der common sense mit „gesundem Menschenverstand“ gleichgesetzt und fungiert als (hermeneutischer) „starting point“.

Zum anderen ist nach Arthur Herzog, den Arendt in ihrem Denktagebuch75 zitiert, in der Moderne der common sense nicht mehr der Ausgangspunkt, sondern nur noch das, was erstrebt wird:

„Experience won’t serve as a guide any more to practical affairs. The world has become to complicated. (Experience says that none of the worlds we can predict for the year 2000 will work, yet we know that one of them will have to work if there is going to be a world.) It‘s only common sense. So, in a way, common sense is what we aspire to, not what we start off with.“

Mit diesem Befund möchte ich jetzt die These aufstellen, dass sich beide Urteilstypen auf den common sense beziehen, allerdings in verschiedener Weise. Das subsumierende Urteil des Richters ist mit seinen in Form von impliziten Rechtsparadigmen notwendig enthaltenen „politischen“ Anteilen rückbezogen auf den common sense als hermeneuti­schem Ausgangspunkt und eingeübter Rechtsprechungspraxis. Insofern verstehe ich in Anlehnung an Arendts Urteilsmodell das richterliche Urteil als Mischung aus kantisch be­stimmendem Urteil und aristotelischem Akteursurteil.

Bei diesem bestimmenden Urteil ist der common sense als „gesunder Menschenver­stand“ zunächst noch nicht normativ qualifiziert und steht in der Nähe der doxa, des Aus­gangspunktes für ein Urteilen. Ich nenne ihn deshalb den faktischen Menschenverstand. Bei Arendt, so meine These, ist aber der gesunde Menschenverstand nicht nur als herme­neutischer Ausgangspunkt und neutral verwendet, sondern qualifiziert das Urteil. Im re­flektierenden Urteil wird der faktische Menschenverstand überprüft und zwar, in dem er mit dem common sense in einem qualifizierten Sinn überprüft wird: Ist der faktische common sense tatsächlich ein Gemeinsinn oder nur ein Klischee?

Diese Interpretation läßt sich erstens ablesen an Arendts historischer Analyse, in der der gesunde Menschenverstand als phronesis in der Neuzeit und Moderne schrittweise verloren- oder untergegangen ist. Zweitens stellt sie einen Zusammenhang her zum Nega­tivbeispiel des defizienten Urteilsvermögens von Adolf Eichmann, der nach Arendt nur noch „in Klischees“76 denke. Arendt nennt diese Defizienz Gedankenlosigkeit und Verlust des Wirklichkeitsbezugs 77 und spielt dabei auf die realitätsherstellende Wirkung des com­mon sense an, der die Sinne ordnet78 in eine so genannte Realität, und die setzt bei Arendt Perspektivenvielfalt voraus79.
Angesichts der historischen Transformation des common sense bis zu seiner Perversion muss der faktische Menschenverstand ersetzt werden durch einen qualifizierten Gemein­sinn und den findet Arendt in der Interpretation der Kritik der Urteilskraft. Dieses Erset­zen des faktischen Menschenverstandes im Urteil ist notwendig vor allem im totalitären Regime oder Unrechtsstaat, wie Arendt in PV nahe legt. Denn um der persönlichen Ver­antwortung gerecht werden zu können, muss man in der Lage sein festzustellen, dass „jede moralische Tat ungesetzlich und jede rechtmäßige Handlung ein Verbrechen“80 ist. Wenn nämlich Arendt der Ansicht ist, dass Urteilen trotz historisch untergegangenem Menschenverstand zu fordern sei und also möglich sein muss81, lässt sich daraus folgern, dass Arendt eine Konzeption des Urteilens sucht, die in beiden Fällen, dem rechtsstaatli­chen und dem des Unrechtsstaates funktioniert.

Fazit

Es ergibt sich für das Verhältnis von Akteurs- und Zuschauerurteil, dass sie der Anfor­derung sowohl des rechtsstaatlichen Normalfalls als auch des Krisenfalls entsprechen müssen. Dabei stellt sich heraus, dass das reflektierende Urteilen eine doppelte Aufgabe leisten muss: es soll erstens die Ausnahme, den Unrechtsstaat, überhaupt erkennen kön­nen und steht insofern außerhalb der doxa, des allgemeinen, möglicherweise gesunden Menschenverstandes.

Das kann es nur, wenn man sich klar macht, dass Arendt auch das Akteursurteil auf den Gemeinsinn bezieht, auch wenn sie das Kriterium des Gemeinsinns erst in der Kant-Interpretation im Zuschauerurteil entwickelt und vorher nur von „erweiterter Denkungs­art“ spricht. Beim Akteursurteil beschreibt sie den Bezug der Einbildungskraft auf den ge­sunden Menschenverstand, der als phronesis in der Moderne unterging. Deshalb ver­stehe ich den „gesunden Menschenverstand“ als „faktischen Gemeinsinn“, der ins Ver­hältnis zum idealen, oder normativen Gemeinsinn gesetzt werden kann.

Mit der ersten, der erkennenden Aufgabe also, so meine jetzige These und der Versuch, Bilskys Arendt-Interpretation, die im Bezug auf den Gemeinsinn einen Spiegel des Plura­litätskriteriums aus „Vita activa“ sieht, zu konkretisieren, mit dieser Aufgabe prüft die re­flektierende Urteilskraft, ob sich Normalfall und Ausnahmefall decken und der faktische Gemeinsinn „gesunder Menschenverstand“ ist und dem normativen Gemeinsinn ent­spricht. Wenn ja, besteht der Normalfall, und die Subsumtion entspricht dem Korrektiv der Pluralität - und einem Zweiten, das Natalität heißt82.
Wenn nein, leistet die reflektierende Urteilskraft ein zweites: sie ersetzt das bestim­mende Urteil und muss ein Ergebnis produzieren. Dies ist ein Ausnahmeurteil, insofern es keinen Regeln gehorchen kann; Arendts viel zitiertes Urteilen „ohne Geländer“83. Die­ses Ergebnis ist nicht aus dem Begriff eines idealen Gemeinsinns oder den Kriterien von Pluralität und Natalität ableitbar sondern muss, so Arendt mit Kant, mit „Beispielen als Vehikeln der Urteilskraft“ entworfen werden84. Nachträglich, so wäre zu ergänzen, kön­nen die so entwickelten Ergebnisse erneut die Kontrolle von Pluralität und Natalität durchlaufen85. In diesem Ausnahmefall ersetzt der Richter den Gesetzgeber und deshalb sei die Parallele zu Vertretern der Radbruchlehre erwähnt, die stets betonen, sie seien rechtspositivistisch orientiert, bis auf den Ausnahmefall, in dessen Extrem das Recht durch Gerechtigkeit ersetzt werden müsse. Geklärt ist damit noch nicht, wer „der Richter“ ist86.

Anmerkungen

1 Vgl. Arendt, Hannah: Verstehen und Politik (1953), und Kultur und Politik (1958), in: diess.: Zwischen Vergangenheit und Zukunft. Übungen im politischen Denken I, Piper München 20002, S. 110 - S. 127 und S. 277 - S. 252. Im Folgenden zitiert als VuP und KuP.

2Arendt, Hannah: Vom Leben des Geistes, 2 Bde, Piper München, 19892. Im Folgenden zitiert als LdG. Der Text wurde erstmals 1977 postum von Mary McCarthy unter dem Titel „The Life of the Mind“ herausgegeben.„Das Urteilen“ erschien 1982 auf englisch, 1985 auf deutsch. Es wurde von Roland Beiner rekonstruiert aus drei Texten: dem „Postscriptum“ aus LdG (1977/78), den Vorlesungen „Über Kants Politische Philosophie“ (1970) und dem Seminar „Die Einbildungskraft“ (1970). Im Folgenden zitiert als U nach: Arendt, Hannah: Das Urteilen. Texte zu Kants Politischer Philosophie, herausgegeben von Ronald Beiner, Piper München 1998.

3 Bernstein, Richard: Judging - the Actor and the Spectator, S. 221, in: ders.: Philosophical Profiles, Polity Press Cambridge 1986, S. 221 - S. 237.

4 U, S. 46.

5 Ich beziehe mich auf meine persönliche Mitschrift des Vortrags von Dianna Taylor: Instructive Contradictions: Hannah Arendt and the Eichmann Trial vom 18. Juni 2004 auf dem XI. Symposium of International Association of Women Philosophers in Göteborg. Der Vortrag wurde zur Zeit der Abfassung dieses Artikels noch nicht publiziert.

6 Arendt, Hannah: Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen, Piper München 200111. Im Folgenden zitiert als E.

7 Bilsky, Leora Y.: When Actor and Spectator Meet in the Courtroom: Reflections on Hannah Arendt’s Concept of Judgment, S. 140, in: History and Memory 2 (1996), S. 137 - 173.

8 Vgl. U, S. 15.

9 Vgl. U, S. 76.

10Bilsky 1996, S. 151.

11 Ich beziehe mich auf meine persönliche Mitschrift des Vortrages von Ulla Holm: Common Sense - Hannah Arendt on Judgment in Dark Times vom 17. Juni 2004 auf dem XI. Symposium of International Association of Women Philosophers in Göteborg. Vgl. auf Schwedisch: Holm, Ulla: Common Sense - Att utga ifran eller strätva mot? in: Ord & Bild 2/3, 2002, S. 38 - S. 51.

12 Arendt in E, S. 373: „So gibt es in der Tat auf die anläßlich des Prozesses immer wieder erhobene erhobene Frage, was er denn nun eigentlich bezwecke, auch nur eine Antwort: Recht zu sprechen und der Gerechtigkeit Genüge zu tun“, und Arendt in E, S. 76 (gegen den Schaucharakter des Prozesses und gegen politische Vereinnahmung): “Schauprozess“ „Drama“, und in E, S. 77: “Plattform“ und „Demonstration, die Ben Gurion von vorneherein beabsichtigt hatte“, sowie: „einer Person den Prozess machen, nicht einem Ismus“ S. 21 in Arendt, Hannah: „Persönliche Verantwortung in der Diktatur“ (Vortrag von 1964/1965) in: Geisel, Eike und Bittermann, Klaus (Hgg): Arendt, Hannah: Israel, Palästina und der Antisemitismus. Aufsätze, Klaus Wagenbach Berlin, S. 7 - S. 39. Im Folgenden zitiert als PV.

13 Z.B. „inkonsequent“, E, S. 377.

14 E, S. 390: „Dem Ankläger und den Richtern erschien dieser Völkermord nur als der schrecklichste Pogrom in der jüdischen Geschichte. Daher glaubten sie, dass ein direkter Weg von dem anfänglichen Antisemitismus der Nazipartei zu den Nürnberger Gesetzen und von dort zur Austreibung der Juden aus dem Reich und, schließlich, zu den Gaskammern führte.“.

15 E, S. 390: „Politisch und rechtlich aber waren diese Verbrechen nicht nur quantitativ, sondern qualitativ verschieden.“ Vgl. auch E, S. 374 „neuartig“ und E, S. 389 „Beispiellosigkeit“.

16 Dies ist ein Zitat aus PV, S. 31.

17 Vgl. PV, S. 16.

18 Vgl. E, S. 363 f.

19 E, S. 391.

20 „nicht nur quantitativ, sondern qualitativ verschieden“, E, S. 390.

21 Bilsky 1996, S. 151 f.

22 Arendt, Hannah:Vita activa  oder Vom tätigen Leben, Piper München 19816. Im Folgenden zitiert als VA.

23 E, S. 374.

24 Vgl. zum „Räsonnieren“ der praktischen Vernunft im Unterschied zur Urteilskraft: Arendt in U, S. 26.

25 Man beachte allerdings, dass das Denken bei Arendt ein Terminus ist und eine der idealtypischen Tätigkeiten des Geistes, während „legal reasoning“ noch nicht in diese Idealtypisierungen eingeordnet ist.

26 Das übersetze ich so in Anlehnung an U, S. 26:“praktische Vernunft räsonniert“.

27 Dann wird unverständlich, warum Arendt, wie Dianna Taylor sagt, optimistischer als Jaspers sein soll, wenn sie in einem Brief vom 23. Dezember 1960 proklamiert, dass uns keine anderen als rechtliche Mittel zur Verfügung stünden. Postone meint wohl deshalb, Arendt kritisiere den Eichmann-Prozess, insbesondere die Anklage, oft so, als ob das bestehende Rechtssystem und die juristischen Begriffe bereits ausreichend wären und würden nur falsch angewendet und mit dieser Verschmelzung von tatsächlich rechtlichen Normen und Arendts erweiterter Interpretation überwinde sie das rechtliche Problem nur rhetorisch. Vgl. Postone, Moishe: Hannah Arendts Eichmann in Jerusalem: Die unaufgelöste Antinomie von Universalität und Besonderem“, S. 275 f., in: Smith, Gary (Hg.): Hannah Arendt revisited, Suhrkamp Frankfurt/Main 2000, S. 264 - S. 290. Arendts Stil, der eine Tendenz zum Apodiktischen hat, lässt allerdings oft verschiedene Möglichkeiten der Deutung zu, ob es sich jeweils um bloße Deskription oder Zustimmung handelt: „She had a tendency to pontificate“, S. 212, in: Marrus, Michael R.: Eichmann in Jerusalem: Justice and History, in: Aschheim, Steven E. (Hg.): Hannah Arendt in Jerusalem, California Press Berkeley, Los Angeles 2001, S. 205 - S. 213.

28 Vgl. Beiner in U, S. 115.

29 U, S. 15 zu „legein ta eonta“. Hervorhebung der Verfasserin.

30 Zur Frage, wie narrative Elemente in den Gerichtsprozess einfließen können, muss ich erneut auf L. Bilsky verweisen, deren Dissertation hoffentlich bald herausgegeben wird: Leora Y. Bilsky: The narrative turn in Legal Scholarship, J.S.D. diss., Yale Law School, 1995.

31 Kritik der Urteilskraft, B XXV f.

32 U, S. 21. Aber:„Bei Kant ist es die Vernunft mit ihren regulativen Ideen, die der Urteilskraft zu Hilfe kommt. Wenn das Vermögen der Urteilskraft jedoch von anderen Vermögen des Geistes getrennt ist, dann werden wir ihm seinen eigenen modus operandi, seine eigene Vorgehensweise zusprechen müssen.“ U, S. 15.

33 U, S. 21.

34 U, S. 32, und ebenda weiter: „So bezieht sich die Frage: Was soll ich tun? bei Kant auf das Betragen des Selbst in seiner Unabhängigkeit von anderen - auf das gleiche Selbst, das wissen möchte, was für menschliche Wesen erkennbar ist und was unerkennbar bleibt, aber doch denkbar ist.“

35 U, S. 33.

36 U, S. 33.

37 U, S. 41.

38 Vgl die „Menschengattung und ihr Fortschritt“, U, S. 40.

39 Vgl. dazu die „Menschen als moralische Wesen und Zweck an sich selbst“, U, S. 40.

40 Vgl. auch die „Menschen in der Mehrzahl“, U, S. 40.

41 U, S. 76.

42 U, S. 76.

43 U, S. 89.

44 Handeln, Herstellen und Arbeiten sind bei Arendt als drei „Grundtätigkeiten“ konzipiert (VA S. 12, S. 14), die drei so genannten Grundbedingungen des menschlichen Lebens auf der Erde entsprechen (VA, S. 14). Das Handeln untersteht der Grundbedingung der Pluralität und ist durch folgende Merkmale charakterisiert: Gerichtetheit auf Zwischenmenschliches, Unabsehbarkeit der Folgen und freier Anfang. Zum Handeln als politischer Tätigkeit in diesem sehr spezifischen und emphatischen Sinn vgl. das Fünfte Kapitel: „Das Handeln“ in VA S. 164 - S. 243.

45 Auch hier ist der Geschmack nach Arendt der Träger des Urteils, insofern er Unterscheidungen trifft und sich auf das Besondere als Besonderes bezieht. Die Einbildungskraft verändert in der Reproduktion den Gegenstand zum Vergegenwärtigten, so dass ich „nun von ihm affiziert werde, als wenn es mir von einem nichtobjektiven Sinn gegeben worden wäre“ - es ist „so zubereitet“, dass die „Operation der Reflexion“ einsetzen kann. „ Erst dann spricht man von Urteil und nicht mehr von Geschmack, weil man nun, obwohl noch wie von einer Angelegenheit des Geschmacks affiziert, mittels der Vorstellung einen angemessenen Abstand hergestellt hat (...)Indem man den Gegenstand wegräumt, hat man die Bedingungen für die Unparteilichkeit geschaffen.“ U, S. 90.

46 U, S. 91.

47 „Was sind die Maßstäbe der Operation der Reflexion?“, U, S. 92 und „Das Kriterium ist demnach die Mitteilbarkeit und der Maßstab mit dem darüber entschieden wird, ist der Gemeinsinn“, U, S. 93.

48 Arendt verweist in U, S. 95 auf B 158.

49 U, S. 95.

50 Es bleibt hierbei offen, ob es schon um Normenkohärenz oder zunächst personale Kohärenz geht.

51 Bilsky 1996, S. 143, 149.

52 „in her later writings, under the influence of Kants philosophy, she moved judgment (...) Indeed Arendt‘s report on Eichmann can illuminate the source of her later theoretical reflections on judgment“, Bilsky 1996, S. 139.

53 Vgl Bilsky 1996, S. 143.

54 Das entspräche der Verurteilung nach einem traditionellen Tötungsdelikt wie Mord und unter dem traditionellen Verständnis von Täterschaft und Teilnahme oder von Handeln auf Befehl. Arendt hielt die juristischen Begriffe in dem mit Eichmann vorliegenden Tatbestand für „ungenügend“, E, S. 61.

55 1. Beispiel: Um Verantwortung im Totalitarismus angemessen beurteilen zu können, müsse man gerade auf den Trost des bestimmenden Urteils verzichten und gerade fernab von der traditionellen Lösung beurteilen: Die Verantwortung wächst in diesem Fall mit der Distanz (vgl. Bilsky 1996, S. 144). 2. Beispiel: Um Eichmann und seine Motive weder als fanatisch antisemitisch noch als extrem rechtspositivistisch beurteilen zu können, hätte das Gericht verstehen müssen, wie Totalitarismus funktioniert, nämlich Wirklichkeit verhindernd. So hätte das Gericht Eichmanns Gewissensmangel verstehen und beurteilen können. „For this task, however, determinative judgment, which attempts to explain unfamiliar crimes by analogizing them to more familiar ones, is ill fitted.“ Bilsky 1996, S. 147.

56 Bilsky 1996, S. 151.

57 U, S. 85.

58 Bilsky 1996, S. 152.

59 “der Handelnde (...) ist per definitionem parteilich. Der Zuschauer ist per definitionem unparteilich“, U, S. 75.

60 Z.B. „those who participate and engage in action“, Bernstein 1986, S. 221. Auch Passerin D’Entrèves vertritt die These der „two distinct models“ (S. 247) bei Arendt und stellt das Akteursurteil in den Kontrast zum Zuschauerurteil als „a model of judgment (...) which could be characterized as far more political“. Er versteht es jedoch als „faculty that enables actors to decide"( S. 253), Passerin D’Entrèves, Maurizio: Arendts theory of judgment, in: Villa, Dana (Hg.): The Cambridge Companion to Hannah Arendt, Cambridge University Press, Santa Barbara 2000, S. 246 - S. 260. Ich bin insofern anderer Ansicht, als dann Handeln bei Arendt eher als Taten umsetzen und ausführen verstanden wird. Das widerspricht der Systematik der Tätigkeiten in „Vita activa“, weil es zu dicht am Herstellen liegt. Gegen diese Interpretation spricht auch Arendts Unterscheidung von Willensfreiheit und politischer Freiheit in Freiheit und Politik (1958) in: Zwischen Vergangenheit und Zukunft, Piper 20002, S. 201 - S. 226. Im Folgenden zitiert als FuP. Dort definiert Arendt Willensfreiheit als die Freiheit, zwischen Vorgegebenem eine Entscheidung zu treffen und grenzt sie ausdrücklich von politischer Freiheit ab (vgl. FuP, S. 205). Bernstein versteht dementsprechend das Akteursurteil eher als „debate“: „judging is itself not only the political ability par excellence but is a form of action - debate - which Arendt takes to be the essence of politics.“ Bernstein 1986, S. 231 und ders., S. 222: „debate itself is a form of action, and action (...) is not to be confused (...) with the other forms of the vita activa, labor and work.“

61 Dazu stellvertretend für viele vgl. Hermenau, Frank: Urteilskraft als politisches Vermögen, zu Klampen Lüneburg 1999, S. 68. Er lehnt es jedoch ab, aus dieser Charakterisierung des Zuschauerurteils im Spätwerk Arendts ein resignativeres Verhältnis zur Politik zu folgern. Vgl. auch Benhabib, Seila: Hannah Arendt. Die melancholische Denkerin der Moderne, Rotbuch Hamburg 1998, die das Zuschauerurteil als eine in der Rückschau wirkende Fähigkeit charakterisiert (S. 275). Ähnlich: „non-participating spectators (...) judging in order to cull meaning from the past“, Passerin D’Entrèves 2000, S. 247.

62 In VuP, S. 121 verwendet Arendt den gesunden Menschenverstand als Synonym zum common sense.

63 Die Gleichsetzung des Arendtschen Akteursurteils mit der phronesis vertritt am konsequentesten Lafer, Celso: La Reconstrucción De Los Derechos Humanos, Fondo de Cultura Económica Mexico 1994. Dies kann wegen der Chronologie der Arendt-Texte systematisch plausibel gemacht werden. „Diese Lücke (zwischen Universalien und Partikularien) kann man nicht mit inadäquaten Formeln der Subsumtion füllen (...) Auch aus der aristotelischen Tradition läßt sich die Lücke nicht schließen, die die Problematik der Interaktion zwischen theoretischer und praktischer Vernunft kennt. Dies ist den schon in der Tugend genannten Aspekten der Spezifität des Bruchs geschuldet, der durch den Totalitarismus provoziert wurde. Im Ergebnis hat die Klugheit (Prudentia) als Instrument der praktischen Vernunft in dieser Tradition als Horizont die Vernünftigkeit - und die hat, neben anderen Dingen, die Funktion, ein Verhalten an die Umstände konkret anzupassen“, Lafer 1994, S. 335 (Übersetzung der Verfasserin).

64 KuP, S. 299.

65 „Diese Überlegungen führen ganz in die Nähe der griechischen phronesis und römischen prudentia als der Klugheit“, Heuer, Wolfgang in: Citizen. Persönliche Integrität und politisches Handeln. Eine Rekonstruktion des politischen Humanismus Hannah Arendts, Akad. Verlag Berlin 1992, S. 355. Vgl. auch Bernstein 1986, S. 231:“to think that judgment is similar to what was called phronesis - that form of practical reasoning which deals with the particular which Aristotle sought to discriminate from episteme and techne“.

66 Dies wäre das anhand der Systematik in Vita activa zu untersuchen.

67 „Die Urteilskraft hat mit dem Besonderen zu tun“, U, S. 14.

68 U, S. 14.

69 Hermenau 1999, S. 24.

70 VuP, S. 121. Das passt zu Arendts Unterscheidung von tyrannischer Wahrheit versus verhandelbaren Mei­nungen in der Politik, die sie besonders in „Wahrheit und Politik“ herausarbeitet. Siehe Arendt, Hannah: Wahrheit und Politik (1967) in: diess.: Zwischen Vergangenheit und Zukunft. Übungen im politischen Den­ken I, Piper München 20002, S. 327 - S. 370. Im Folgenden zitiert als WuP.

71 So Bilsky 1996, S. 143 mit Verweis auf Kants Kritik der reinen Vernunft, A 137/ B176 - A 147/B187.

72 Vgl. Günther, Klaus: Ein normativer Begriff der Kohärenz, S. 182 in: Rechtstheorie 1989, S. 163 - S. 196.

73 „Politisch“ ist hier in einem sehr weiten Sinn gemeint. Es umfasst alle Facetten von „Geselligkeit“ und bezieht sich noch nicht auf eine Unterscheidung von politisch versus moralisch oder gar eine Gewaltenteilung von Rechtsprechung versus Gesetzgebung.

74 Vermutlich meint Bilsky auch genau das, wenn sie zusammenfassend sagt: „Having to occupy both roles, judges are trained in both determinative and reflective judgment.“ und: „(...) in reaching a decision, good judges have to play the case all over again (...) from different points of view (...). Bilsky 1996, S. 162.

75 Arendt, Hannah: Denktagebuch, 2 Bde, herausgegeben von Ursula Ludz und Ingeborg Nordmann, Piper München 2002, Bd.2, S. 633. Im Folgenden zitiert als DTB.

76 Eichmann war nach Arendt „von Hause aus unfähig (...), einen einzigen Satz zu sagen, der kein Klischee war“ (E, S.125) und jemand, der „ein spezielles erhebendes Klischee für jeden Abschnitt seines Lebens (...) parat hatte.“ (E, S. 131).

77 „Wir werden sehen, dass diese schaurige Begabung, sich mit Klischees zu trösten, ihn auch in der Stunde seines Todes nicht verließ.“ E, S. 133. Als ein Beispiel für Eichmanns Gedankenlosigkeit nennt Arendt seine groteske Rede auf den eigenen Tod: „Es lebe Deutschland. Es lebe Argentinien. Es lebe Österreich. (...) Ich werde sie nie vergessen“ sage Eichmann - ohne daran zu denken, dass er derjenige ist, der sterben wird; vgl. E, S. 371. Arendt dazu: „als zöge Eichmann selbst das Fazit (...) von der furchtbaren Banalität des Bösen, vor der das Wort versagt und das Denken scheitert.“ E, S. 371.

78 „Common sense: Nichts ist partikularer als sinnliche Erfahrung. Ihr können wir nur trauen, wenn sich zu unseren fünf Sinnen ein sechster gesellt, der (...) uns allen gemeinsam ist: ‚common sense‘.(...) Der (...) dient dazu, die partikularen Erfahrungen der fünf Sinne so zu kontrollieren und abzustimmen, dass sich eine gemeinsame Welt ergibt, in der wir mit unseren partikularen Sinnen funktionieren können.“ Denktagebuch, S. 335.

79 „Realität seblst entsteht erst im ‚common‘. Aus diesem ‚common‘ zieht der Philosoph sich zurück.“ DTB, S. 360.

80 PV, S. 31.

81 „Die Voraussetzung für diese Art der Urteilsbildung ist keine hoch entwickelte Intelligenz oder ein äußerst differenziertes Moralverständnis, sondern schlicht die Gewohnheit, ausdrücklich mit sich selbst zusammenzuleben.“ PV, S. 34.

82 Diese Kriterien konnten hier noch nicht weiter ausgearbeitet werden. Bilsky weist auf beide Kriterien hin, wobei Natalität der Forderung, das Besondere als Besonderes zu beurteilen entspricht, (vgl. Bilsky 1996, S. 49) und Pluralität der Forderung, im reflektierenden Urteil alle Perspektiven zu berücksichtigen (vgl. Bilsky 1996, S. 154). Diese Kriterien möchte ich nicht naturrechtlich verstanden wissen, weil das mit Arendts Kritik am Menschenrechtsbegriff kollidieren würde. Auch geht es nicht um die Sphäre der Moral, weil Arendt strikt Moral und Politik unterscheidet und das moralische Urteil wie ein bestimmendes Urteil versteht. Pluralität und Natalität sind in Vita activa als Grundbedingungen entwickelt, die Handeln in Arendts emphatischem Sinn ermöglichen. Deshalb muss es sich um politische Kategorien handeln. Ob diese Unterscheidugen bloß terminologische sind oder auch sachlich zu halten sind, kann ich hier nicht ausführen und möchte auf mein Dissertationsprojekt verweisen.

83 Genauer:“Thinking without banisters“ bzw. „Denken ohne Geländer“sagt Arendt in Toronto und meint damit die Notwendigkeit eines „bodenlosen Denkens“ nach dem „Zusammenbruch der Tradition“. Vgl. Diskussion mit Freunden und Kollegen in Toronto, November 1972, S. 109 und S. 110, in: Arendt, Hannah: Ich will verstehen. Selbstauskünfte zu Leben und Werk, herausgegeben von Ursula Ludz, Piper München 19972, S. 71 - S. 113.

84 U, S. 101.

85 So verstehe ich Bilskys Vorschlag, mit dem Kriterium der „erweiterten Denkungsart“ der Gefahr einer exzessiven „innovativen“ Regelauslegung als richterlicher Rechtsschöpfung, die gerade für den Nationalsozialismus typisch war, mit reflektierender Urteilskraft zu begegnen. „After all, Hitler’s judges were notorious for their innovative judgments (‚natality‘ played a role in their judgments).“ Bilsky 1996, S. 154. „An importatant difference between the innovative judgments of Hitler’s judges and the type of reflective judgment that Arendt recommends depends upon this process of representative thinking.“ Bilsky 1996, S. 155.

86 Für den juristischen Richter kann eine Aufgabenverteilung z.B. zwischen bestimmend urteilenden Fachgerichten und explizit reflektierend urteilendem Bundesverfassungsgericht erst in einem weiteren Schritt erfolgen.