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Ausgabe 1, Band 14 – März 2025

Leben ist Schwingung, ist Fuge

Hannah Arendt über Arbeiten, Natur und politische Ökologie

Caner Doğan

Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politische Wissenschaft an der RWTH Aachen mit dem Schwerpunkt Politische Theorie und Ideengeschichte.

Das seit 1927 philosophisch so bezeichnete In-der-Welt-Sein ist entweder eine hohle Formel, oder es bedeutet: Auf-Gaia-Sein und Dasein in der sensiblen Zone.

Peter Sloterdijk

Mit nur wenig hermeneutischer Freiheit könnte man die These aufstellen, dass Hannah Arendt in allen menschlichen Verhaltensweisen eigentlich eine Stellungnahme des Menschen zur Natur andeutet. Sie beschreibt die drei Tätigkeiten – Handeln, Herstellen und Arbeiten – in der Vita activa als die grundlegenden Weisen, wie Menschen sich in der Welt verhalten und bewegen.1 Wir sind Handelnde – wir sprechen miteinander, versammeln uns, bilden Kreise –, damit wir angesichts der abgründigen Indifferenz der Natur eine Ordnung menschlicher Beziehungen, der Freundlichkeit und Verlässlichkeit stiften können. Wir sind Herstellende – bauen Häuser, Straßen, schreiben Geschichten –, damit wir diese Menschenwelt bewohnen und auf Dauer stellen können. Wir sind Arbeitende – putzen, kochen oder gehen täglich ins Büro oder auf den Bau –, um unseren eigenen körperlichen und gattungsmäßigen Bestand zu gewährleisten, oder einfacher gesagt: um zu leben.

Das Handeln und das Herstellen werden in der Regel als die höheren Formen dieses Verhaltens und Bewegens in der Welt beschrieben,2 da sie genuin menschliche und vor allem kulturell bedeutsame Phänomene stiften und sinnhafte Orientierung sowie Objekte in die Welt bringen. Wie das Herstellen von Werkzeugen bis zu Kunstwerken Kulturobjekte in die Welt bringt, stiftet das politische Handeln die Beziehungen, durch die sich Menschen organisieren können, bringt politische Entscheidungen hervor, die maßgeblich die Zukunft unserer Angelegenheiten beeinflussen und ist letztlich der Stoff, aus dem die Geschichten bestehen, die sich die Nachwelt erzählt. Eigentümlicherweise sind aber diese beiden ‚höheren‘ Tätigkeiten des Menschen bei Arendt dadurch gekennzeichnet, dass sie eine Angst vor und Distanz zur Natur ausdrücken.3 Allein im Arbeiten ist für Arendt ein anderes Naturverhältnis beschrieben. Oder um es zugespitzt zu formulieren: Das Arbeiten gleicht in seinen wesentlichen Strukturen der Natur, die der Mensch auch ist, und im Arbeiten ist daher auch ein ursprüngliches Vertrauen in die Natur aufgehoben (vgl. auch Sigwart 2020, 574).

In dem vorliegenden Beitrag geht es darum, Arendts Konzept des Arbeitens vor allem mit Blick auf eben solche Naturerfahrungen im Kontrast zu den anderen Tätigkeitsformen zu konturieren. Dafür gehe ich zunächst auf ihre spezifische phänomenologische Methode ein, mit der sie sich Karl Marx Begriff der Arbeit auf innovative Weise aneignet und differenziert. Im Kern werde ich dabei die zwei Metaphern4 bzw. Konzepte der Schwingung und des Verfugens entwickeln, mit denen ich die zentralen Naturerfahrungen des Arbeitens bei Arendt bezeichne.

In einem zweiten Schritt will ich die Erfahrungen des Arbeitens vor dem Hintergrund aktueller politisch-ökologischer Ansätze auslegen. Hierdurch lassen sich die Erfahrungen, die Arendt im Arbeiten rekonstruiert als solche charakterisieren, die bemerkenswerte Parallelen zu aktuellen politisch-ökologischen Ansätzen aufweisen und sie durchaus fruchtbar ergänzen. Das heißt nicht, dass Arendt hier als eine proto-politisch-ökologische Denkerin gelesen wird. Es ist aber durchaus so, dass sie gerade in ihren zeitdiagnostischen Überlegungen das Verhältnis von Mensch und Natur in der Moderne als zentrales politisches Problem anerkannt hat. Vorab sei gesagt, dass es hierbei weniger um einen politischen, soziologischen oder ökonomischen Blick auf die Arbeitswelt geht, sondern um philosophisch-anthropologische Grundbestimmungen des Arbeitens.

Hierdurch sollen vor allem zwei Dinge hervorgehoben werden, nämlich erstens: Die Naturerfahrungen, die Arendt in ihrer Konzeptionalisierung des Arbeitens herausarbeitet, können angesichts aktueller ökologischer Herausforderungen dazu beitragen, Konstellationen, in denen die Natur zum zentralen Bezugspunkt politischer Aktivität wird, beschreibbar zu machen. Jenseits von technologischer Innovation (Herstellen) und klassischer politischer Aktivität (Handeln), können somit vor allem auch eine veränderte Wahrnehmung von Mensch-Natur-Verhältnissen zum Anlass genommen werden, ökologische Probleme politisch zu adressieren.

Damit lässt sich, wie ich zeigen werde, zweitens ein Brückenschlag zu antihumanistischen Perspektiven politisch-ökologischer Ansätze herstellen. Diese sind darum bemüht, eine komplexe Handlungstheorie zu formulieren, die die Verhältnisse in die Mensch und Natur sowie Mensch und Ding sich begeben, stärker betonen als übliche Handlungstheorien. Dabei werden die Natur und die Dinge nicht nur als Randbedingungen menschlichen Handelns behandelt, sondern sie erhalten einen gewissen Akteursstatus. Eine solche Handlungstheorie kann mitunter auch in der Arendtschen Konzeption des Arbeitens gefunden werden. Gerade für diese Perspektive sollen die Naturerfahrungen des (Mit-)Schwingens und des (Ver-)Fugens zentralgestellt werden.

Die Unterscheidung der Tätigkeiten

Die wesentlichen Unterschiede, die Arendt in den verschiedenen Tätigkeitsbereichen der Vita activa beschreibt, liegen nicht unbedingt in dem Vollzug, den Eigenschaften und den Formen der Tätigkeiten selbst, sondern in dem Verhältnis, in das uns diese Tätigkeiten zur Welt und zur Natur stellen. Zur Unterscheidung der Tätigkeiten ist es daher nötig zu wissen, an welchem Punkt genau sie zu unterscheiden sind. Anders formuliert stellt sich hier die Frage nach der phänomenologischen Methode, die Arendt zur Beschreibung der verschiedenen Tätigkeiten nutzt.

So werden die jeweiligen Unterschiede, wenn man sich allein die Form der Tätigkeiten ansieht, vage. Etwa meint Arendt, dass eigentlich in jeder Tätigkeit ein Moment der Spontaneität und des Anfangens enthalten ist, die für Arendt eigentlich aus dem Register des Handelns kommen. Jeder Arbeitsprozess und jedes Herstellen hat ein minimal initiatives Moment: „Im Sinne einer Initiative – ein initium setzen – steckt ein Element von Handeln in allen menschlichen Tätigkeiten, was nichts anderes besagt, als daß diese Tätigkeiten eben von Wesen geübt werden, die durch Geburt zur Welt gekommen sind und unter der Bedingung der Natalität stehen.“ (Arendt 2020b, 25). Es gibt auch allerlei Mischformen der Tätigkeiten, wie Arendt hin und wieder anmerkt:

Ein Element des Arbeitens ist in allen, selbst in den höchsten menschlichen Tätigkeiten vorhanden, sofern sie als die ‚Routinejobs‘ ausgeübt werden, durch die wir unseren Lebensunterhalt verdienen und uns am Leben erhalten. Ihre völlige Monotonie, die wir meistens als eine uns erschöpfende Last empfinden, ist es, die uns jenes Minimum an animalischer Zufriedenheit gibt, für das die großartigen und bedeutungsvollen Zauber des Glücks, die selten sind und nie andauern, niemals ein Ersatz sein können und ohne welche die länger andauernden, wiewohl ebenso seltenen Zauber von wirklichem Leid und Gram kaum ertragen werden könnten. (Arendt 1998, 1002)

Darüber hinaus meint Arendt, dass etwa auch die Arbeitsteilung im herkömmlichen Verstand, verstanden nämlich als „Spezialisierung in Berufe“ (Arendt 2020b, 164), aus dem Bereich des Handelns und des Politischen kommt, da sie ein Organisationsprinzip einer politischen Gemeinschaft beschreibt und gerade die Fähigkeit sich zu organisieren neben dem initiativen Moment das zweite Charakteristikum des Handelns beschreibt. „Das Einzige, was die Berufsspezialisierung mit der Arbeitsteilung gemein hat, ist das allgemeine Prinzip der Organisation, das seinerseits weder aus dem Herstellen noch dem Arbeiten als solchen entspringt, sondern aus dem politischen Bereich stammt, bzw. der menschlichen Fähigkeit zu handeln geschuldet ist.“ (Arendt 2020b, 164)

Sie dagegen versucht ganz im Sinne einer antihumanistischen und einer nicht anthropozentrischen Perspektive die Unterschiede in den menschlichen Tätigkeiten in ihren jeweiligen Bedingtheiten freizulegen. Um einen adäquaten phänomenologischen Blick auf die menschlichen Tätigkeitsbereiche zu bekommen, wie Arendt sie beschreibt, ist es daher nötig zu klären, was es mit diesen Bedingtheiten auf sich hat. Be-dingt-heiten5 sind hier in ihrem vollen Wortsinn zu verstehen; also erstens als Voraussetzung von menschlichen Handlungen, aber auch zweitens als Orientierung der Tätigkeiten an den Dingen, mit denen sie zu tun haben.

Konzentriert man sich nun, wie in der Moderne und vor allem in Marx‘ Werk, ausschließlich auf die Tätigkeit des Subjektes und läßt die objektiv weltlichen Eigenschaften der produzierten Dinge – ihren Ort, ihre Funktion, ihre Beständigkeit in der Welt – ganz und gar außer Acht, so wird die Unterscheidung zwischen Arbeiten und Herstellen in der Tat zu einem Gradunterschied. Der Unterschied zwischen einem Brot, dessen ‚Lebensdauer‘ in der Welt kaum mehr als einen Tag betrifft, und einem Tisch, der manchmal Generationen von Benutzern überlebt, ist zweifellos viel schlagender als der Unterschied in dem Leben der produzierenden Subjekte, also der Unterschied zwischen einem Bäcker und einem Tischler. (Arendt 2020b, 128)

Was die Tätigkeiten also im Wesentlichen ausmacht, ist die ‚Lebensdauer‘ und der Grad an Objektivität der Dinge und Phänomene, die sie zum Erscheinen bringen oder präziser: anhand deren die Tätigkeiten selbst überhaupt erst erscheinen. Die verschiedenen Tätigkeiten sind Spiegelungen der Dinge und der Phänomene, mit denen sie zu tun haben. Sie erscheinen am Ding und an ihrer Sache selbst. In der Beschreibung des menschlichen Tätigseins in der Welt kommt es also ganz auf das Verhältnis an, das der Mensch zur Welt und zur Erde hat.6 Gerade auch in der Absetzung von Marx entwickelt Arendt eine Phänomenologie der Tätigkeiten, die eben nicht die Tätigkeit des Subjekts, sondern die Bedingtheit der Tätigkeit in den Vordergrund rückt. Worauf die Tätigkeiten gleichsam Antworten sind, ist daher die Frage, die ein solches Vorgehen in den Vordergrund rückt.

Das Arbeiten bei Marx

Wie also steht der Mensch als arbeitendes Wesen zur Welt und zur Natur oder zur Erde? An dieser Stelle kommt man nicht darum herum, die Grundzüge der Aufnahme und Kritik von Marxschen Konzepten bei Arendt zu konturieren. In erster Linie ist es dabei so, dass Arendt wesentliche Elemente von Marx für ihre Beschreibung des Arbeitens und des Herstellens übernimmt. Die Auseinandersetzung mit dem Arbeitsbegriff bei Marx rührt daher, dass sie in ihm die zentralen Weichenstellungen seiner Theoriebildung sieht, aber auch die zentralen Widersprüche und Probleme, welche „zweitrangigen Autoren selten“ unterlaufen und „in den Schriften großer Autoren […] in den Mittelpunkt ihres Werkes [führen]“ (Arendt 2020b, 140).

Marx bestimmte das Arbeiten bekanntlich als einen Prozess, „worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigene Tat vermittelt, regelt und kontrolliert“ (Marx 1972, 192). Dieser Stoffwechsel ist bei Marx allerdings nicht als organischer Zusammenhang verstanden. Marx geht zwar auch davon aus, dass der Mensch ein Naturwesen ist und von der Natur abhängig ist; der Stoffwechsel aber ist im Wesentlichen als ein planender Zugriff auf die natürlichen oder auch raffinierten Ressourcen der Natur zu verstehen. Anders als etwa der körpereigene Stoffwechsel ist er kein autopoietisches System. Er muss durch Arbeit nicht nur geregelt werden, sondern planend instandgehalten werden. „Was aber von vorneherein den schlechtesten Baumeister vor der besten Biene auszeichnet, ist, daß er die Zelle in seinem Kopf gebaut hat, bevor er sie in Wachs baut. Am Ende des Arbeitsprozesses kommt ein Resultat heraus, das beim Beginn desselben schon in der Vorstellung des Arbeiters, also schon ideell vorhanden war.“ (Marx 1972, 193) Marx versteht Arbeit als „produktive Arbeit“. „Im Arbeitsprozeß bewirkt also die Tätigkeit des Menschen durch das Arbeitsmittel eine von vorneherein bezweckte Veränderung des Arbeitsgegenstandes. Der Prozeß erlischt im Produkt.“ (Marx 1972, 195) Marx versteht den Menschen im Wesentlichen durch seine Arbeit und versucht eigentlich alles ins Verhältnis zu diesem speziellen Tätigsein des Menschen zu setzen und auf die Bedingungen, mit denen es konfrontiert ist, zurückzuführen. Der Mensch ist ein animal laborans, ein arbeitendes Tier, um es in der Sprache Arendts auszudrücken.

Es ist nicht so sehr die Konzeption des Arbeitens selbst, die Arendt zum Anlass ihrer kritischen Aufnahme von Marx Überlegungen motiviert. Zwar vermischt Marx laut Arendt Elemente des Arbeitens und des Herstellens. Aber was Arendt im Wesentlichen kritisiert, ist vielmehr die Radikalisierung und die Engführung der Beschreibung des Menschen als Arbeiterin, insofern „die Arbeit die produktivste, die eigentlich weltbildende Fähigkeit des Menschen darstellte“ (Arendt 2020b, 137). Denn für Marx lässt sich nicht nur die Geschichte des Menschen anhand der Verhältnisse, in denen das Arbeiten sich vollzieht, beschreiben. Das Arbeiten selbst ist die geschichtliche Tat schlechthin. Dies ist für Marx in zweierlei Hinsicht der Fall. Einerseits als rein faktische Gegebenheit. Durch das Arbeiten macht der Mensch Geschichte. Er produziert „Mittel zur Befriedigung [seiner] Bedürfnisse“ (Marx 1968, 354). Dadurch entstehen neue Bedürfnisse, was wiederum eine Entwicklung der Bedürfnisse und damit auch eine Entwicklung der Mittel, um diese zu befriedigen, bewirkt. Und schließlich „produzieren“ die Menschen auch anderes Leben. „Die Produktion des Lebens, sowohl des eignen in der Arbeit wie des fremden in der Zeugung“ (Marx 1968, 356), sind also die wesentlichen Elemente der Geschichtlichkeit des Menschen. Die geschichtliche Entwicklung wird also maßgeblich durch die Orientierung des Menschen an seinen Bedürfnissen und diese zu befriedigen bestimmt.

Andererseits versteht Marx das Arbeiten allerdings nicht nur als rein faktisches und naturgeschichtlich zu untersuchendes Phänomen. Es beschreibt und bestimmt die menschliche Situation schlechthin („denn was ist Leben (anderes) als Tätigkeit“ (Marx 1973, 515)), und Tätigkeit heißt bei Marx Arbeiten). Diese anthropologische Grundbestimmung reichert er mit der ganzen Motivik der philosophischen Tradition an. Marx verknüpft die uralte philosophische Aufgabe der Selbsterkenntnis mit John Lockes Theorie der Arbeit, indem er davon ausgeht, dass der Mensch etwas von sich selbst in den bearbeiteten Gegenstand hineinfließen lässt. Er geht dann nicht wie Locke davon aus, dass eine solche Vermischung von Menschen mit ihren bearbeiteten Gegenständen ein Eigentumsrecht begründen können, in dem Sinne, dass, worin meine Arbeit fließt, ein Stück von mir selbst enthalten ist und daher ein legitimer Eigentumsanspruch begründet werden kann.7 Sondern er geht davon aus, dass die Menschen sich dadurch, dass sie sich in Objekten und ihrer Arbeit verdinglichen, in eben diesen spiegeln können. Das Arbeiten ist also die sinnvolle und sinnbildende (Bewusstsein stiftende) Tätigkeit schlechthin, weil sie die Bedingung der Möglichkeit von Selbsterkenntnis ist. Marx versteht den Arbeiter gleichsam als einen Künstler, der seine Schöpfung bewundert.

Eben in der Bearbeitung der gegenständlichen Welt bewährt sich der Mensch daher erst wirklich als ein Gattungswesen. Diese Produktion ist sein werktätiges Gattungsleben. Durch sie erscheint die Natur als sein Werk und seine Wirklichkeit. Der Gegenstand der Arbeit ist daher die Vergegenständlichung des Gattungslebens: indem er sich nicht nur wie im Bewußtsein intellektuell, sondern werktätig, wirklich verdoppelt und sich selbst daher in einer von ihm geschaffenen Welt anschaut.“ (Marx 1973, 517)

Das Arbeiten und die Schwingungen der Natur

In gerade dieser Fähigkeit zur Verdinglichung, die bei Marx in der produktiven Arbeit liegt, sieht Arendt wiederum die Probleme des Marxschen Arbeitsbegriff, die sie zur Unterscheidung des Arbeitens vom Herstellen bringt. In Arendts Verständnis ist gerade das Arbeiten als einzige unter den drei Tätigkeiten der Vita activa, die sie unterscheidet, nicht zu dieser Verdinglichung fähig.8 Diese fehlende Fähigkeit zur Verdinglichung bringt Arendt dazu, das Arbeiten als die genuin weltlose Tätigkeit zu charakterisieren. Es ist ein direkter Ausdruck des natürlichen Lebens, in dem es durchaus, wie bei Marx den Stoffwechsel mit der Natur regelt. Anders als bei Marx ist das Arbeiten bei Arendt aber ein Modus menschlicher Tätigkeit und nicht die wesentliche anthropologische Bestimmung des Menschen, aber eben auch keine unwichtige. Während für sie das Herstellen Objekte in die Welt bringt, die überdauern und der Natur widerstehen, das Haus etwa, das uns Unterkunft vor den Naturkräften bietet, bringt sie die Tätigkeit des Arbeitens in unmittelbare Nähe zu den Naturprozessen und damit zum Lebensprozess selbst. Diesen Letzteren versteht sie nicht im Sinne einer Marxschen „Philosophie der Tat“ (produktive Arbeit), sondern parallel zu den immer und ewig laufenden Kreislaufprozessen der Natur selbst. Das Leben in seiner ihm eigenen Natürlichkeit schwingt in diesen Kreisläufen mit.

Und ein in der Arbeit sich verbrauchendes Leben ist der einzige Weg, auf dem auch der Mensch in dem vorgeschriebenen Kreislauf der Natur verbleiben kann, in ihm gleichsam mitschwingen kann zwischen Mühsal und Ruhe, zwischen Arbeit und Verzehr, zwischen Lust und Unlust mit derselben ungestörten und unstörbaren, grundlosen und zweckfreien Gleichmäßigkeit, mit der Tag und Nacht, Leben und Tod, aufeinanderfolgen. (Arendt 2020b, 143f.)

Hier wird deutlich, dass zwar das Arbeiten natürlich auch bei Arendt einen instrumentellen Zug hat, indem es wie bei Marx den Zwecken der Bedürfnisbefriedigung dient. Aber in der Erfahrung des Arbeitens, die Arendt in den Blick nimmt und freilegt, gerät dieser Zweck-Mittel-Zusammenhang in den Hintergrund. Idealtypisch gesehen ist es nämlich gerade nicht die instrumentelle Logik, mit der wir uns der Natur nähern, um sie zu bearbeiten. Wir müssen ‚mitschwingen‘, in etwa, wie man sich in der Landwirtschaft an die klimatischen und geologischen Gegebenheiten anpassen muss, aber auch in dem Sinne, dass man Pflanzen und Vieh wachsen lassen muss, und sie ihren eigenen Bedürfnissen nach hegen, pflegen und kultivieren muss. Aber auch in den Bereichen der Care-Arbeit rückt diese Erfahrung des Mitschwingens in den Vordergrund, wenn man etwa pflegebedürftige Personen in ihren alltäglichen Situationen unterstützt oder ein Kind stillt. Das Arbeiten zeichnet sich also für Arendt dadurch aus, dass wir uns zunächst einmal gegenüber den natürlichen Prozessen anpassen müssen, um dann in ihren eigenen Schwung und Rhythmus einzusteigen, so wie man beim musikalischen Jam auch zunächst Tonart, Rhythmus und die wiederkehrenden Akkordfolgen für einen kurzen Moment inkorporieren und habituell antizipieren muss, um dann seinen eigenen Beitrag in der Runde von anderen Musikern zu leisten.9 (Dass wir es hier insgesamt mit einem Wortfeld und mit Metaphern aus der Hydrodynamik zu tun haben,10 ist ebenso kein Zufall. Gerade in dem Überlassen an die natürlichen Kreisläufe ist ein Moment des Zerfließens und Auflösens, des Selbstverlustes, der Selbstlosigkeit und des Dienens, das durchaus auch mit meditativen und mystischen Zuständen in Verbindung gebracht werden kann, enthalten. Wassermetaphern sind üblich für solche Zustände, gleich wie es Freud in Antwort auf Romain Rolland treffend als ein „ozeanisches Gefühl“ (Freud 1974, 197) bezeichnet, wenn man sich in charismatische und spirituelle Zustände begibt.)

Nun ist es aber nicht so, dass das Arbeiten ein reines Dienstverhältnis, nur Selbstverlust und Unterwerfung darstellt. Das Mitschwingen beschreibt nicht reine Unterwürfigkeit unter die Zwänge der Natur; es ist eben Mit-Schwingen. Im Arbeiten, sei es in der Kultivierung von Natur oder bei der Pflege von Menschen, stehen wir mit Hartmut Rosa gesprochen in Resonanzbeziehungen, nämlich insofern „die Materie dem Arbeitenden entgegenzukommen oder zu antworten scheint“ (Rosa 2020, 396). Die Arbeit trägt Früchte. Der Weizen, den wir säen, wächst und wird erntefertig, die Person, die wir pflegen, lässt sich auf uns ein und wir gewinnen gegenseitiges Vertrauen, das Kind, das wir stillen, nährt sich ruhig werdend und schläft friedlich ein – dies alles selbstverständlich idealiter. Es ist diese Freude an dem lebendigen Zusammenhang einer solchen Resonanzbeziehung, die Arendt im Blick hat, wenn sie von dem Glück und dem Segen des Arbeitens spricht. Denn Arendt meint, dass es eben nicht aus der Ermüdung und wohligen Entlastung nach dem Arbeiten selbst resultiert, sondern aus der Teilhabe (Resonanzbeziehung) an den natürlichen Kreisläufen der Natur selbst. Den

Segen, den das Arbeiten über ein ganzes Leben breiten kann, kann das Herstellen niemals leisten, denn es handelt sich hier keineswegs um die immer kurzen Augenblicke der Erleichterung der Freude, die sich einstellen, wenn eine Leistung vollendet ist. Der Segen der Arbeit ist, daß Mühsal und Lohn einander in dem gleichen regelmäßigen Rhythmus folgen wie Arbeiten und Essen, die Zubereitung der Lebensmittel und ihr Verzehr, so daß ein Lustgefühl den gesamten Vorgang begleitet, nicht anders als das Funktionieren eines gesunden Körpers. (Arendt 2020b, 144)

Es ist zugleich die Erfahrung des Glücks, sich als Teil eines ganz natürlichen Zusammenspiels und einer Fügung zu erfahren und eben im eigentlichen Sinne des Wortes die Natur, die wir auch sind, mit der „anderen“ Natur zu verfugen, in den Worten Arendts „der Seligkeit des schier Lebendigen teilhaftig zu werden, die wir mit allen Kreaturen teilen. (Arendt 2020b, 143)

Ver-fugen als Antwort auf Unverfügbarkeit

Ich habe bereits angedeutet, dass ein solcher Arbeitsprozess, wie Arendt ihn beschreibt, sich auf seinen Gegenstand einlassen muss. Sowohl funktional als auch, um eine gelingende Resonanzbeziehung zu stiften, ist die Anerkennung der je eigenen Rhythmik dessen, womit es das Arbeiten zu tun hat, unerlässlich. Funktional gilt es sogar noch unter Laborbedingungen, unter denen Organismen auch nicht einfach hergestellt werden können, wie ein Zimmerer Planken herstellt. Mit Hartmut Rosa können wir hier bis zu einem gewissen Grad von einer Unverfügbarkeit natürlicher Prozesse sprechen: „Im Ergebnis bedeutet dies, dass die Natur in der Kultur der Moderne als zentrale Resonanzsphäre des Menschen konzipiert wird. In ihr begegnen Subjekte einer Entität, welche die für Resonanz konstitutive Bedingung des tendenziell Unverfügbaren, Widerständigen, Eigensinnigen, aber eben auch des Antwortenden erfüllt.“ (Rosa 2020, 457). Die Rede von der Unverfügbarkeit geht davon aus, dass gelingende Beziehungen und Weltverhältnisse ganz wesentlich davon abhängen, dass wir nicht gänzlich über Dinge und Menschen verfügen können, sondern sie auch in ihrer Eigenständigkeit gewähren lassen müssen, ganz in etwa so, wie wir keine große Freude an einer Beziehung zu einer Person empfinden, die wir dazu zwingen, Zeit mit uns zu verbringen oder so wie die Liebe nur dann erfüllend ist, wenn sie auf gegenseitiger Freiwilligkeit beruht. So beruht jedes Anerkennungsverhältnis auf der Freiheit innerhalb einer Beziehung. Das Anerkennungsverhältnis besteht gerade darin, dass jemand freiwillig entscheidet, Teil einer Beziehung zu sein und sie zu pflegen und eben nicht aus Zwang und Verpflichtung.

So erkenntnisreich und für Fragen der Ethik relevant dieser Sachverhalt auch ist, ist es eigentlich irreführend, von Unverfügbarkeit zu sprechen, um den Zusammenhang zu beschreiben, dass wir es im Umgang mit Natur mit notwendigen und uns immerzu entgleitenden Prozessen – und in diesem Sinne mit dem philosophisch herausfordernden Unverfügbaren oder Absoluten – zu tun haben. Denn tatsächlich ver-fugen wir uns in Arbeitsprozessen im Sinne Arendts immerzu. Was wir üblicherweise meinen, wenn von Verfügung die Rede ist, nämlich eine Herrschaftsbeziehung, ruft dann ein ganz falsches Bild auf. Etwas zu verfugen und nicht über etwas zu verfügen ist hier das richtige Bild. Man muss den Blick wenden von der Fliesenlegerin oder vom Komponisten hin zur Fuge selbst. Eine Fuge ist das Bindeglied zwischen zwei Elementen, etwa zwischen Kacheln, aber auch zwischen zwei verschiedenen musikalischen Themen. Insofern bedeutet das Sich-Fügen nicht nur Unterwürfigkeit, sondern für Menschen auch Fuge-Sein, und damit die Fähigkeit Beziehungen zu stiften, Verschiedenes zu verfugen. Man könnte sagen, dass jede Tätigkeit des Menschen eine Ver-fugung darstellt, nämlich in dem Sinne, dass durch menschliche Tätigkeiten Verbindungen und Fugen entstehen.11 Das Unverfügbare ist dann eigentlich die falsche Begrifflichkeit, um etwas Absolutes zu bezeichnen. Denn es bleibt eben die Fähigkeit, Gegebenes und bis zu einem gewissen Grad Unveränderbares – Absolutes –, über das man nicht verfügt, im Sinne einer Fuge zu verfugen. Eben dieses Verfugen meint das Mit-Schwingen mit den natürlichen Prozessen mit all seinen aktiv-passiven Konnotationen.

Das (Ver-)Fugen und das (Mit-)Schwingen stehen dabei in einem engen Wechselverhältnis. Es sind keine entgegengesetzten, sondern geradezu voneinander abhängige Phänomene. Schwingungen können nur über ein Medium übertragen werden, während Fugen ja nicht dazu da sind, um Dinge zu fixieren, sondern dazu, ihnen gerade ihre Beweglichkeit gewährleisten. Fugen ermöglichen Kacheln in einer Wand einen Grad an Beweglichkeit und gewährleisten damit gerade die Stabilität der Wand. Beim Übergang von einem musikalischen Thema zum nächsten gewährleistet die Fuge eine Öffnung und einen Moment an Beweglichkeit, um einen harten Bruch zwischen zwei Themen zu überbrücken. Fugen bedingen Schwingung und Beweglichkeit, wo Fugenloses und Differenzloses Unbeweglichkeit und Eintönigkeit bedeuten würden.12 Wo das Fugenmaterial alt wird und die Schwingungen des Verfugten nicht mehr aufnehmen kann, dort gibt es Brüche. Ins Empirische übertragen kann es also heißen, dass, wo menschliches Handelns bzw. Arbeiten nicht auf veränderte Kontextbedingungen reagiert, etwa veränderte klimatische Verhältnisse oder in Care-Verhältnissen veränderte Bedürfnisstrukturen, auch die Beziehung, an der man arbeitet, zu brechen droht.

Der Eigenwert natürlicher Erscheinungen

Mit dieser ganz spezifischen Auslegung des Arbeitens als Mitschwingen mit den natürlichen Prozessen, die nichts mit der Fähigkeit zur Verdinglichung von Arbeitsprodukten zu tun hat, verbindet Arendt ihre Kritik an der Marxschen oder vielmehr neuzeitlichen und ökonomisch geprägten Werttheorie (vgl. auch Sigwart 2020, 551).13 Sehen wir einmal vom Tauschwert ab, ergibt sich der Wert von Dingen von Locke bis Marx im Wesentlichen durch die Arbeit, die in das Objekt hineinfließt. In Arendts Auslegung geht bei Marx „alle Arbeit an einem Vorgefundenen vonstatten […]“ und „fügt in der Tat ‚Wert‘ einem ‚wertlosen‘ Ding zu, d. h. ‚entwertet‘ die Natur als solche“ (Arendt 2002, 111). Die Welt und die Natur haben in der Lesart Arendts keinen Eigenwert bei Marx insofern, als jeder Wert durch menschliche Betätigung entsteht. Das ist ein gängiges Motiv der Kritik bei Arendt. Überall dort, wo die weltlichen und natürlichen Dinge ihren Eigenwert verlieren, hat sie den Verdacht, dass das Absprechen eines objektiven Wertes der Dinge, der Welt und der Natur den Menschen zum alleinigen Maßstab der Wertbildung macht. Eigentümlicherweise führt sie eine ganz ähnliche Kritik gegenüber Kant an, dessen Setzung des Menschen als Selbstzweck eigentlich alle weltlichen Dinge degradiere: „Wenn der Mensch als Nutzer der höchste Zweck, ‚das Maß aller Dinge‘ ist, dann ist nicht nur die Natur, die beim Fabrizieren als fast wertloses Material behandelt wird, das zu bearbeiten ist und dem Wert zu verleihen wäre (wie Locke sagte), sondern dann sind die ‚wertvollen‘ Dinge selbst zu bloßen Mitteln geworden, die dadurch ihre immanente Bedeutung verlieren“ (Arendt 1998, 1005).

Nun ist es aber so, dass Arendt meint, dass Arbeitsergebnisse in diesem Sinne überhaupt keinen Wert haben, zumindest nicht so, wie Gebrauchsgegenstände und veredelte Gegenstände. „In Wahrheit ist bei den Arbeitserzeugnissen das Verhältnis zwischen dem, was die Natur selbst gibt, den ‚guten Dingen‘ der Erde, und der menschlichen Arbeitsleistung genau umgekehrt wie bei den Produkten des Herstellens. Die guten Dinge, die wir verzehren, verlieren ihre Natürlichkeit niemals gänzlich, das Korn verschwindet in einem Brot nie so vollständig, wie der Baum im Tisch verschwunden ist.“ (Arendt 2020b, 139) Der „Wertlosigkeit“ von Arbeitsergebnissen entspricht die Weltlosigkeit des Arbeitens selbst. Da das Arbeiten in Arendts Verständnis Teil eines ewig währenden Kreislaufprozesses ist, sozusagen der ewigen Wiederkehr des Gleichen (Arbeiten, Essen, Schlafen und von vorne), hat es keinen festen Ort in der Welt, ist keine Bedingung für Stabilität, ja ganz im Gegenteil: Da der Verzehr von Konsumobjekten ein wesentlicher Bestandteil des Arbeitsprozesses ist, ist das Arbeiten eine Tätigkeit, das jegliche Stabilität verhindert. Wenn dauerhafte Objekte durch ihren Gebrauch definiert werden, also durchaus wiederholbar nützlich sind, sind Arbeitsprodukte (oder Konsumobjekte) für Arendt durch ihren Verbrauch definiert. „Die ausgeprägte Weltlosigkeit der Erfahrungen des Arbeitens, auf die Arendt immer wieder hinweist, ergibt sich vor allem aus der Tatsache, dass sie sich gerade aufgrund ihrer ausgesprochen starken und geradezu natürlichen ‚Lebendigkeit‘ einer solchen Transformation in eigentümlicher Weise entziehen und daher ‚außerstande sind, eine Welt zu errichten‘.“ (Sigwart 2020, 566–567) Die ausgesprochene Lebendigkeit in natürlichen Vorgängen und im Arbeiten, also gleichsam ständige Bewegung, Hervor- und Vergehen, verhindert jede Form der Verdinglichung und damit auch im eigentlichen Sinne jegliche Form der Wertbildung. Umgekehrt ist es aber nicht nur so, dass das Arbeiten eine tendenziell weltlose Tätigkeit darstellt. Es bedarf auch einer gewissen Abkehr von der Stabilität der weltlichen Dinge, um sich überhaupt erst auf das stets wechselhafte und lebendige Treiben der Natur einzulassen. Auch im Umgang mit der Natur deutet sich eine Art von Pluralität an, nämlich insofern, als man es mit dem stets Vergänglichen und damit auch gewissermaßen Einzigartigen zu tun hat.

Es gibt Andeutungen, die in diese Richtung gehen. Der Versuch einer objektiven Bestimmung des Wertes der weltlichen und natürlichen Dinge und Erscheinungen zeigt sich insbesondere in ihrer Diskussion von Adolf Portmann, die sie resümiert mit den folgenden Sätzen: „Es ist gerade so, als hätte alles, was lebt – neben der Tatsache, daß seine Oberfläche zum Erscheinen da ist, daß sie gesehen werden und anderen erscheinen soll –, einen Drang, zu erscheinen, sich in der Welt der Erscheinungen einzufügen, indem es – nicht sein ‚inneres Selbst’, sondern – sich als Individuum darstellt und zeigt.“ (Arendt 2016, 39) Es ist dies ihr Versuch, einer a-funktionalen Beschreibung der Welt, indem sie nicht die Funktionalität der Welt- und Naturdinge betont, sondern ihre Performanz im Erscheinen. Wie Laura Ephraim betont, hat Arendt dabei eine Beschreibung der Natur vor Augen, die vielmehr die Freude an dem und das Staunen über das wechselhafte Treiben natürlicher Erscheinungen in den Vordergrund rückt. In dieser, freilich ein wenig an Spruchweisheiten erinnernden Formulierung, kommt Arendt aktuellen Versuchen eines Neo-Vitalismus im Sinne einer lebhaften Materie durchaus nahe, wie er etwa von Jane Bennett vorgeschlagen wurde, auf die ich später noch einmal zurückkommen werde.

Überfluss und Fruchtbarkeit

Diese Lebendigkeit zeigt sich allerdings nicht nur in der Kurzweiligkeit und der fehlenden Möglichkeit zur Verdinglichung, sondern allen voran in dem, was Arendt nach der alttestamentlichen Überlieferung als Fruchtbarkeit bezeichnet.14 „Die Fruchtbarkeit des Stoffwechsels des Menschen mit der Natur, die aus dem natürlich gegebenen Überschuß an Arbeitskraft, über den ein jeder verfügt, herauswächst, gehört zu dem Überfluß und der Überfülle, die wir überall im Haushalt der Natur beobachten können.“ (Arendt 2020b, 143) Die Fruchtbarkeit des Arbeitens zeichnet sich dadurch aus, dass sie Überfluss generiert. Es geht hierbei nicht um irgendeine Art von Mehrwert oder überschüssige Arbeitskraft. Es geht vielmehr um einen ganz natürlichen und verschwenderischen Überfluss, wie er überall in der Natur zu finden ist. Die ursprünglichste Form eines solchen Überflusses erscheint natürlich bei allen Akten der Zeugung, also im Geschlechtsakt und bei der Fortpflanzung. Im Gegensatz zum Herstellen, das es prinzipiell mit einem Mangel an Material zu tun hat, dieses darüber hinaus im Prozess der Herstellung und Veredelung durchaus auch mit Gewalt in Form bringen muss (wie ja bei jeder Fertigung gehobelt, gebogen, geschliffen usw. werden muss) und dadurch das vorhandene Material noch einmal minimiert,15 assoziiert Arendt das Arbeiten eher mit der Pflege, Kultivierung und dem Wachstum von natürlichen Dingen. Erst bei der Herstellung von Konsumobjekten kommen Elemente der Gewalt ins Spiel, wenn etwa Schrot zu Mehl gemahlen werden muss oder natürlich beim Schlachten von Tieren.

Dieser Überfluss meint natürlich etwas ganz anderes als die faktische Verfügbarkeit von Konsumobjekten und materielle Sättigung. Natürlich ist es nicht so, dass nur weil im Arbeiten die Erfahrung des und die Fähigkeit zum Überfluss zur Geltung kommt, man selbstverständlich im Überfluss lebt. Diese Erfahrung des Überflusses betrifft in der Tat nur die elementarsten Prozesse des Arbeitens. Was wir heute unter Überfluss verstehen, ist in der Regel die Lebensweise der westlichen Moderne, die zumindest, was den globalen Norden betrifft, ja ganz und gar nicht auf der guten Organisation der Arbeit beruht, sondern vor allem auf der Ausbeutung großer Teile der Welt und des Erdballs seit der frühen Neuzeit, die zuallererst die Grundlage für Freiheit und emanzipierte Lebensformen bildeten. Das meint Pierre Charbonnier, wenn er davon spricht, dass Überfluss und Freiheit zusammengehören, indem er die Freiheit und Emanzipationsmöglichkeiten moderner Gesellschaften darauf zurückführt, dass die Ausbeutung von Menschen immer mehr der Ausbeutung der Natur gewichen ist. Insofern bezeichnet er Freiheit als materiell: „Es gibt nichts, was materieller ist als die Freiheit, insbesondere die Freiheit der modernen Gesellschaften“ (Charbonnier 2022, 22).

Es gibt aber noch eine ganz andere „materielle“ Dimension der Freiheit, die bei Arendt angedeutet ist. Selbstlosigkeit (oder Selbstverlust) und Überfluss gehören in den selben Phänomenbereich. Dafür gibt es verschiedentliche Hinweise. Bei Arendt ist gerade die Fruchtbarkeit des Arbeitens, wie bereits umschrieben, mit einem durchaus körperlich verstandenen Überlassen und Hinziehen-lassen des Selbstes, sprich Selbstverlust, verbunden. Man findet dieses Motiv der Freiheit im Selbstverlust immer wieder in der Geschichte des Denkens, etwa bei Nietzsche: „Ich liebe den, dessen Seele sich verschwendet, der nicht Dank haben will und nicht zurückgiebt; denn er schenkt immer und will sich nicht bewahren.“ (Nietzsche 1988, 17). Das Nicht-Zurückgeben ist in diesem Kontext nicht egoistisch zu verstehen in dem Sinne, dass diejenige, die Nietzsche hier im Blick hat, nicht zurückgeben will. Er formuliert vielmehr eine Kritik an einem Verständnis von menschlichen Beziehungen, das sie als Tauschverhältnis, als ein Geben und Nehmen versteht, das im Kern instrumentell orientiert ist als eine menschliche Beziehung, die als ökonomische Beziehung Geben als einen Akt der Selbsterhaltung versteht. Nietzsche deutet hier an, dass ein gelungenes menschliches Leben allein im Geben besteht, das kein Zurückgeben erwartet. Nietzsches Gebende ist verschwenderisch und gibt immer mehr als ein Zurückgeben leisten könnte. So wie im gesamten mystisch-meditativen Denken das Einfließen von Gottes Gnade als Überfluss in die menschliche Seele gedacht wird. Nicht zuletzt solche Bezüge zur Spiritualität nimmt auch Sigwart zum Anlass von einem „spirituell inspirierten Verständnis des Arbeitens als ‚Dienen‘“ (Sigwart 2020, 574) zu sprechen. In ihm äußert sich, wie Arendt im Denktagebuch sagt, auch „im Rahmen der Notwendigkeit eine Möglichkeit der Freiheit“ (Arendt 2002, 366; vgl. auch Sigwart 2020, 574), die in der Möglichkeit des Gebens und des Schenkens liegt.

Ein Aspekt, der bei Arendt weitestgehend ausgespart bleibt, aber dennoch für eine Konzeptionalisierung des Arbeitens relevant ist, sind Prozesse der Energieumwandlung. Im Verlauf der Geschichte des Menschen hat sich der Energiehaushalt des Menschen immer weiter externalisiert. Rolf-Peter Sieferle (1982) macht in seinem Buch Der unterirdische Wald den eigentümlichen Versuch die Geschichte der Menschheit als Geschichte der Energieumwandlung zu erzählen. Die Arbeitskraft und auch die eigentümliche Fruchtbarkeit des Arbeitens kann somit als ein komplexer Prozess der Energiewandlung vor allem der Sonnenenergie16 verstanden werden. Insofern steht die Geschichte des Arbeitens in engstem Zusammenhang mit der Geschichte des Feuers und der Verbrennung.17 Besonders von der Ersetzung des Holzes durch die Kohle, dem unterirdischen Wald, als Brennmaterial, ging ein immenser Schub für die Bedingtheit des Menschen aus. Wie es auch immer um all diese Entwicklungen steht, die eigentümliche Lebendigkeit allen Lebens wird nicht verständlich, wenn man sie nicht als Teil eines globalen Energiewandlungsprozesses versteht, in dem der Mensch auch als eine Energiewandlerin verstanden wird. Eine solche Perspektive dient einer weiteren Dezentrierung der Betrachtung auf die vielfältigen Verflechtungen, in die sich Mensch und Natur begeben, die im Folgenden nun Gegenstand sein werden.

Politische, moralische und (sozial-)ontologische Antworten auf das Anthropozän

Ich möchte nun von hier aus Bezüge herstellen zu aktuellen politisch-ökologischen Diskursen, die ganz wesentlich philosophisch-anthropologische Fragestellungen in den Vordergrund rücken. Arendt spielt immer wieder eine Rolle in Fragen der politischen Ökologie oder des Anthropozäns. Maike Weißpflug formuliert etwa in ihrem Buch über Arendt: „Dass sich der Mensch auf der Erde einrichten und sich eine Welt schaffen kann, in der er heimisch ist, basiert in diesem […] Naturbegriff nicht auf der absoluten Autonomie gegenüber der Natur. Ziel ist nicht, sich ganz und gar unabhängig zu machen, sondern die eigene Bedingtheit, das Eingebundensein in die natürliche Umwelt auf der Erde zu akzeptieren“ (Weißpflug, 245f.). Sie versucht auf dieser Grundlage der Thematisierung der menschlichen Bedingtheit eine Politik der Sorge um die Erde zu plausibilisieren.18 Oder wie es bei Vlasta Jalušič (2022, 366) im Arendt-Handbuch heißt: „Die Möglichkeiten eines nicht destruktiven Umgangs mit der Natur liegen daher in der spezifischen, nicht-souveränen Erhaltung und Pflege der Natur und der Welt, das heißt ‚weder Beherrschen noch simples Belassen von nicht-menschlichen Dingen‘.“ Woher aber die Erfahrungen kommen, die eine solche Sorge um die Erde vergegenwärtigen können, bleibt ungeklärt. Weißpflug versucht, gewiss als politische Theoretikerin, die Sorge um die Erde zu einem politischen Problem zu machen und rückt die Frage in den Vordergrund, wie die Natur zum Thema politischen Handelns werden kann. Die Probleme im Umgang mit der Natur thematisiert sie allen voran vor dem Hintergrund von Arendts Technikkritik als Kritik der technischen Beherrschung der Natur und der Erde und der Frage, wie die Natur zum Gegenstand politischer Narrationen werden und damit politisch bearbeitbar. Einen anderen Bereich der Vita activa hebt Dipesh Chakrabarty hervor. Chakrabarty begreift das Handeln und das Herstellen als Bereiche menschlicher Tätigkeit, die es vor allem mit Überdauerndem zu tun haben, und versucht aus diesen beiden Registern menschlicher Betätigungsfelder Grundlagen für eine Plausibilisierung intergenerationalen Denkens in Fragen der Naturzerstörung zu schaffen.

Dagegen hat ‚Herstellen‘ mit allen möglichen menschlichen Vorrichtungen zu tun – von Sprache über Institutionen zu menschengemachten Dingen –, die notwendigerweise generationenübergreifend sind. Das Herstellen bringt mithin die für es selbst konstitutive, generationenübergreifende Zeit hervor. Der Gedanke generationenübergreifender Zeit ist in dem Argument enthalten, dass durch das Herstellen Sachen erzeugt werden, die von Dauer sind, obwohl sich ihre Dauerhaftigkeit und Haltbarkeit durch den Gebrauch ‚abnutzt‘. Die Welt, die uns zeitlich vorausgeht und uns trotzdem dauerhafte Institutionen, Gedanken, Praktiken und Dinge hinterlässt, muss generationenübergreifend ausgerichtet sein. Arendt verbindet dies [Handeln, Weltbildung und Dauerhaftigkeit C. D.] mit dem Gedanken der Wohnstätte: ‚(D)ie Welt (ist) eine wirkliche Heimat für sterbliche Menschen nur in dem Maße‘, als sie ‚Sprechen und Handeln (…) eine bleibende Stätte sichert.‘ Damit menschliche Vorrichtungen als eine solche Stätte fungieren können, müssen sie die Logik reiner Konsumption und Nützlichkeit überdauern. (Chakrabarty 2022, 23f., herv. im Orig.)

Die konsumorientierte kapitalistische Wirtschaft, die ganz wesentlich aus der Erfahrung des Arbeitens stammt, zerstört die Möglichkeit einer solchen Dauerhaftigkeit, um die die anderen Tätigkeiten besorgt sind. Auch Arendts eigene Kapitalismuskritik liegt darin, dass sie meint, dass seit der frühen Neuzeit das Arbeiten und das Konsumieren einen unerhört großen Stellenwert in der Praxis, aber auch in der Selbsterfahrung spätestens der modernen Menschen einnimmt und dadurch die beiden anderen Tätigkeitsbereiche des Menschen, das Herstellen und das Handeln, in den Hintergrund rücken. Arendts Diagnose nach ist, wie man heute sagen würde, die ‚Spätmoderne‘ eine Gesellschaft „von Jobholders“ (Arendt 2020b, 456), in der einerseits Individualität und Kreativität zugunsten konformistischen Verhaltens und des Nachjagens von Moden in den Hintergrund gedrängt kaum mehr vorhanden sind. Andererseits und damit zusammenhängend erkennt eine solche Gesellschaft von Jobholders keinen Sinn mehr in Stabilität und Dauerhaftigkeit, weil sie dermaßen von der Erfahrung der ewigen Kreislaufprozesse des Arbeitens und Konsumierens beeinflusst ist, dass sie jedes (Gebrauchs-)Objekt, das ursprünglich den Sinn hatte eine überdauernde Welt zu bilden, etwa Möbelstücke, Kleidung, aber auch technische Geräte wie Smartphones zu einem Konsumobjekt degradiert, das alle paar Tage, Monate oder Jahre verschrottet und ersetzt wird durch ein neues Möbel- und Kleidungsstück oder Smartphone. Diesen Prozess nennt sie ein „[u]nnatürliches Wachstum des Natürlichen“ (Arendt 2020b, 72), weil hier die Logiken natürlichen Verhaltens, nämlich Arbeiten und Konsumieren, Kreation und Zerstörung, die Tagesordnung moderner Gesellschaften dominieren und eben auf Bereiche übergreifen, die ursprünglich eigentlich eher Dauerhaftigkeit und Stabilität gewährleisten sollten.19

Aber diese Überlegungen und Kommentare zu Arendt bleiben gleichsam im Rahmen einer traditionellen politischen Theorie und können wenig plausible Ansätze bereitstellen, woher die Erfahrungen von Nicht-Souveränität und der Sorge um die Erde kommen könnten. Im Folgenden will ich mit dem oben Vorbereiteten andeuten, dass gerade diese Erfahrung für Arendt im Bereich des Arbeitens gemacht werden. Gerade diese Erfahrungen, die der Mensch als Arbeitender macht, findet man in jüngeren politisch-ökologischen Ansätzen von Donna Haraway, Bruno Latour und Jane Bennett wieder. Bei aller Heterogenität der genannten Autorinnen und Autoren der politischen Ökologie könnte Arendts Perspektive auf die Natur und das Arbeiten eine interessante Perspektive auf die von ihnen aufgeworfenen Fragen ermöglichen. Die Gemeinsamkeit solcher politisch-ökologischen Ansätze ist ein Denken in Relationen. Sie alle versuchen, die Grenze zwischen Mensch und Umwelt, Mensch und Ding, Mensch und Natur nicht unbedingt vollständig aufzulösen, aber sie dennoch zu verwischen, indem sie menschliches Handeln ganz wesentlich in Verbindung bringen mit den verschiedensten Bezugsobjekten, etwa Tieren, Objekten oder Infrastrukturen. Sie versuchen so eine Art komplexe Handlungstheorie zu formulieren, die die Bezüge der Menschen zu ihrer Umgebung offenlegt. Aus ihnen versuchen sie dann wiederum normative Rückschlüsse zu ziehen hinsichtlich einer Berücksichtigung von Dingen im politischen Handeln.

Diese Dimension politischen Handelns der Berücksichtigung und der Vorsicht stellt Arendt ganz besonders heraus, wenn sie von der Sorge um die Welt spricht. Die Sorge um die Welt meint, dass es im Politischen gerade nicht um den Menschen oder um das Leben geht, sondern darum, was sich zwischen den Lebenden ereignet. Dass gerade die Natur zum Gegenstand der Sorge und menschlichen Handelns wird, ist für Arendt ein genuin modernes Phänomen. Denn ihrer Diagnose nach ist es nun nicht mehr das Arbeiten, mit dem wir in den Stoffwechsel mit der Natur treten, sie ist auch nicht mehr bloßes Reservoir für das Material, das wir zum Herstellen brauchen, sondern das Handeln wird der zentrale Modus, mit dem wir der Natur begegnen:

Bis in unsere jüngste Gegenwart hinein war menschliches Handeln mit seinen von Menschen entfesselten Prozessen immer auf die eigentliche Menschenwelt beschränkt geblieben, während des Menschen praktisch-technischer Umgang mit der Natur darin bestand, ihr das notwendige Material für Herzustellendes zu entnehmen und das von Menschenhand geschaffene Weltgebilde gegen die Elementargewalten der Naturkräfte zu schützen und zu verteidigen. Seit der Spaltung des Atoms hingegen greifen wir nicht nur handelnd in die Natur ein oder tun ihr mehr Gewalt an als irgendein Geschlecht vor uns, sondern beginnen zum ersten Mal die Naturprozesse direkt in die Menschenwelt hineinzuleiten und die festgelegten und schützenden Grenzen zwischen Naturgewalt und Menschenwelt, welche alle früheren Zivilisationen eingeschlossen und eingehegt hatten, niederzureißen. (Arendt 2015, 75)

Das wesentliche Problem des Handelns, das Arendt in ihrer ganzen politischen Theorie beunruhigt, ist, dass es Prozesse losschlägt, die es selbst nicht kontrollieren kann: „ein Prozeß, der, hat er erst einmal begonnen, weitgehend nach seinen eigenen Gesetzen verläuft und weitgehend der Kontrolle dessen sich entzieht, der ihn begonnen hat, ist das unweigerliche Ergebnis jeder menschlichen Handlung.“ (Arendt 2015, 71) Handeln wuchert in den Raum und in die Zeit hinein. Es ist schrankenlos, weil es Beziehungen stiftet, deren räumliches Ausmaß nicht kontrollierbar ist (im Beispiel, das Arendt am ‚Atomzeitalter‘ beunruhigt, ist es natürlich die Kettenreaktion der Kernspaltung, die diese schrankenlose Prozesshaftigkeit des Handelns darstellt), und ferner, weil die Auswirkungen des Handelns für die Zukunft schwer kalkulierbar sind, zumindest aber unbeabsichtigte Folgen zeitigen. Das ist alles wohlbekannt.

Bemerkenswert sind aber die Bemerkungen, die Arendt am Schluss ihres Textes zur Natur und Geschichte macht. So ist die übliche Lesart des Arendtschen Werkes daran orientiert, dass das politische Handeln und seine spezifische Logik der Praxis in der Moderne weitestgehend vergessen ist. Ihre Geschichten von den europäischen und atlantischen Revolutionen und ihre konzeptionellen Vorschläge stellen sodann einen großangelegten Versuch dar, sich auf dieses verschollene Erbe des politischen Handelns zu besinnen. In dem besagten Aufsatz meint sie aber ganz in dem Sinne, wie es oben anklang, dass die Moderne im Unterschied zum 18. und 19. Jahrhundert, die maßgeblich durch das Herstellen und Arbeiten bestimmt waren, eine Epoche sei, die maßgeblich durch das Handeln als zentrale Tätigkeitsform des Menschen geprägt sei: „so wäre vielleicht die unserer eigenen Zeit entsprechende Bestimmung des Menschen eine solche, welche alle menschlichen Kapazitäten um die des Handelns zentrierte.“ (Arendt 2015, 79) Und darüber hinaus stellt sie fest, dass gerade eine solche Zeit, in der die wesentliche Praxis des Menschen darin besteht, vermittelt durch Technik in die Natur hineinzuhandeln, ein politisches Denken benötigt, das diesen Erfahrungen gerecht wird. Ihre Überlegungen in Natur und Geschichte möchten daher „eine Besinnung einleiten, deren vielleicht noch in weiter Ferne liegendes Endresultat eine unserer eigenen Zeit und unseren Erfahrungen gemäße Philosophie der Politik sein würde.“ (Arendt 2015, 79) Eine solche neue Philosophie der Politik hat es mit dem eigentümlichen Phänomen zu tun, dass der Mensch, nimmt man das Konzept des Anthropozäns ernst, nun wirklich das Subjekt der Geschichte geworden ist.20 Allerdings in ganz anderer Weise als es die ehrwürdigen Hoffnungen sozialistischen Denkens sich vorgestellt haben. Der Mensch ist das Subjekt der Geschichte geworden, insofern er die Naturprozesse auf der Erde in einem Maße zu beeinflussen in der Lage ist, dass tatsächlich die Geschichte der Erde maßgeblich von dem Handeln des Menschen auf ihr abhängig ist. Tatsächlich sind ähnliche Diagnosen auch mit Blick auf Arendt bereits gestellt worden. Ari-Elmeri Hyvönen etwa meint ganz explizit, dass „[from] the viewpoint of the Anthropocene, labor is action.” (Hyvönen 2020, 251; herv. im Orig.) Damit meint er anders als Arendt selbst, dass gerade die moderne Organisation der Arbeit dazu führt, dass wir die Erdgeschichte dermaßen prägen, dass wir vom Anthropozän sprechen können, insofern, dass gerade unsere Art der Organisation der Arbeit maßgeblich auf CO2-Produktion fußt.21

Wenn man nun diese Sätze Arendts und den Kontext, in dem sie formuliert sind, ernst nimmt, dann kann man politisches Handeln eigentlich nicht mehr so verstehen, dass es rein als Bezugsgeflecht zwischen Menschen und anthropozentrisch zu denken sei, sondern ferner so, dass das Handeln in der Moderne im Wesentlichen mit der Niederreißung der Grenzen zwischen der Menschenwelt und der Naturwelt befasst ist. Das ist die wesentliche Bedingung, unter denen die Menschen im Anthropzän stehen und vor denen sich auch politisches Denken vollziehen muss. Arendts wesentliche Unterscheidungen werden in der Moderne in besonderem Maße herausgefordert, und an dieser Stelle sieht sie dieses Problem sehr klar. Es kann nämlich nicht darum gehen, diese Grenzen ganz einfach wiederherzustellen. Wie bereits angedeutet, sind es daher vielleicht die Erfahrungen des Arbeitens, die in diesen Fragen weiterhelfen können, da das Arbeiten des Menschen eigentliche und ursprüngliche Form eines Lebens in und von der Natur beschreibt.

Hannah Arendt und die politische Ökologie

Von dem bisher Gesagten lässt sich nun eine Brücke schlagen zu aktuellen politisch-ökologischen Ansätzen. Denn alle diese Ansätze sind gewissermaßen damit befasst die Grenzen zwischen der Menschenwelt und der natürlichen Welt zu demontieren. Es geht ihnen dabei selbstverständlich nicht um eine technische Beherrschung der Welt, sondern ganz im Gegenteil um einen Blick auf die natürlichen Dinge, der gerade die vielfältigen Beziehungen zwischen Kultur und Natur, Menschenwelt und natürlicher Welt freilegt und sichtbar zu machen sucht. Donna Haraway versucht etwa die Beziehungshaftigkeit aller Lebewesen in besonderer Weise herauszustellen, indem sie von „Krittern“ spricht und in ihrem Ansatz von einer „Sympoiesis“, das sie als ein „Mit-Machen“ und „Mit-Werden“ aller Lebewesen versteht (vgl. Haraway, 85 ff.). Haraway versteht poiesis (dt. herstellen) hier durchaus auch in Arendts Sinne als einen instrumentellen Vorgang, indem sie ihn vor allem an Symbiose-Zusammenhängen konturiert. Es geht hier aber sicher nicht um ein Verständnis des Herstellens, das die instrumentellen Aspekte eines handwerklich tätigen Wesens ins Zentrum einer solchen sympoietischen Beziehung stellt. Zwar geht es bei ihr mit der Betonung von Symbiosen bzw. Symbiogenesen um eine Beziehung, in der sich verschiedene Lebewesen „ausnutzen“ im poietischen Sinne. Bei diesen symbiotischen Ausnutzungsverhältnissen stehen aber vielmehr ihrer Ansicht nach eine grundlegende Bezogen- und Abhängigkeit verschiedener Lebewesen voneinander im Vordergrund. Ganz so, wie es Arendt mit ihrer Formulierung des Mitschwingens mit den natürlichen Prozessen meint, ist die Symbiose natürlich eine Beziehung, in der sich die Symbionten aufeinander beziehen und einlassen müssen. Parasiten etwa, die ihren Wirt töten, und in diesem extremen Sinne instrumentalisieren, sind ja kaum überlebensfähig.

Bruno Latour und an ihn anschließend auch Jane Bennett versuchen den Akteurstatus, der traditionell Menschen vorbehalten war, zu verteilen und nicht nur auf ihn zu begrenzen. Sie sprechen daher von Aktanten. Besonders auch bei Jane Bennett steht die ‚Materialität‘ politischer Praxis im Vordergrund. Sie geht mit John Dewey und Bruno Latour davon aus, dass der öffentliche Raum eigentlich nicht durch initiales Handeln von Menschen entsteht, sondern ganz wesentlich von Ereignissen, die Körpern schaden und sie in die Öffentlichkeit werfen. Dort verflechten sie sich und gehen eine „sympoietische“ Beziehung ein: „Dewey presents members of a public as having been inducted into rather than volunteering for it: each body finds itself thrown together with other harmed and squirming bodies.“ (Bennett, 101) Bennett versteht hier Öffentlichkeit weniger als etwas, das zumindest initiativ von Taten und Werken instandgesetzt wird, sondern vielmehr als etwas, das unter dem Zugzwang eines Ereignisses steht, das selbst erst einmal als Problem erscheint und verschiedene Aktanten in eine Situation hineinfallen lässt. Erst dann entstehen die möglichen und vielfältigen Beziehungsgeflechte zwischen Dingen und Menschen. Sie nimmt dabei nicht notwendig eine völlige Symmetrie der Beziehungen an. Dinge und Menschen können durchaus in einem nicht ganz gleich gestellten Verhältnis stehen. Aber sie fordert gewissermaßen ein, dass angesichts eines Ereignisses, auf das es politisch zu reagieren gilt, die Dinge und nicht-Menschen nicht allein als Randbedingungen aufgefasst werden, vor deren Hintergrund dann handelnde Menschen ihre Entscheidungen treffen. Die Anerkenntnis einer solchen Verflechtung von Menschen und Dingen unter Zugzwang eines Ereignisses kann dann die eigenständige Wirksamkeit von nicht-Menschen vergegenwärtigen und damit auch die Notwendigkeit diese in politischen Handlungen zu verfugen.

Tatsächlich sind diese Bezüge, wenn man Arendt allein konzeptionell liest, nicht ganz einfach herzustellen. Denn Arendt hält immer noch fest an der begrifflichen Unterscheidung von Natur und Kultur, Arbeiten und Herstellen usw. Aber man würde Arendt ebenso missverstehen, wenn man sie allein konzeptionell liest. Ihre konzeptionellen Überlegungen werden erst dann produktiv, wenn man sie im Kontext ihrer Zeitdiagnosen versteht, in denen ihre konzeptionellen Ansätze ein hohes Maß an Beweglichkeit zulassen. Wenn man will, sind es genuin praktische Konzepte, die gerade die Vermischung verschiedener Tätigkeitsbereiche besonders fruchtbar analysierbar machen. Wie bereits erwähnt, geht Arendt davon aus, dass die letzten Entwicklungen der Moderne nicht nur solche sind, die eine Arbeitsgesellschaft hervorbringen, die von einer „nivellierten Mittelstandsgesellschaft“ (Helmut Schelsky) beherrscht wird, die ferner deswegen nur noch Mittelmäßigkeiten hervorbringt, die nicht an dem würdevollen Treiben des öffentlichen Sprechens und Erscheinens interessiert sind. Das sind die üblichen, aber unproduktiven, wenn nicht grob vereinfachenden Beschreibungen von Arendts Sicht auf die Moderne, die ihr den Ruf als konservative Kulturkritikerin einbringen.22 Sondern neben diesen Entwicklungstendenzen stellt sie außerdem solche in den Vordergrund, in denen mit den modernsten Mitteln der Technik in die Natur hineingehandelt wird und innerhalb der Natur Prozesse losgelassen werden, die unkontrollierbar werden. Die natürlichen Kreislaufprozesse werden durch dieses Handeln also unterbrochen und es werden gerichtete Entwicklungen losgetreten, die für Arendt zuvor allein der Menschenwelt zuzurechnen waren. Nun geht auch Arendt nicht davon aus, dass diese Entwicklungen einfach rückgängig gemacht werden können und diese tendenzielle Entgrenzung der Menschenwelt und der Natur einfach dadurch wieder aufgehoben werden kann, dass man zurückkehrt zu einer Ordnung, in der alle Tätigkeiten allein an ihrem ihnen zugewiesenen Ort praktiziert werden.

In diesem Zusammenhang wird eine ‚neue politische Philosophie‘, die Arendt am Ende ihres Aufsatzes zur Natur und Geschichte einfordert, möglicherweise auf interessante Art ergänzt durch ein neues Welt- und Naturverständnis, wie es in unvergleichlich produktiver Art Bruno Latour innerhalb der letzten Jahrzehnte versucht hat zu entwickeln. In seinen letzten Arbeiten nimmt Latour vor allem Bezug auf das Konzept Gaia, das James Lovelock mit Anleihen an einem Humboldtschen Naturverständnis geprägt hat.23 Es geht bei Gaia für Latour nicht darum, die Erde als ein Ganzes, als eine Totalität oder einen Organismus vorzustellen. Es geht vor allem nicht darum, Gaia als ein harmonisches Ganzes zu verstehen, indem jeder Teil funktional seine Rolle in einem Ganzen spielt. Für Latour ist mit Letzterem ein Bild der Erde verbunden, das dem einer von einem Demiurgen geschaffenen Maschine entspricht.

Sobald Sie sich Teile vorstellen, die innerhalb eines Ganzen „eine Funktion erfüllen“, sind Sie unvermeidlicherweise gezwungen, sich auch einen Ingenieur vorzustellen, der sie zusammenfügt. Denn nur in technischen Systemen kann man zwischen Teilen und einem Ganzen unterscheiden […]. Offenkundig ist keine technische Metapher dauerhaft auf die Erde anzuwenden: Sie ist nicht fabriziert worden; keiner ist für ihre Wartung zuständig; und selbst wenn sie ein ‚Raumschiff‘ wäre – eine Metapher, die Lovelock unablässig bekämpft –, gäbe es keinen Piloten. Die Erde hat eine Geschichte, aber sie ist nicht konzipiert worden. Da es keinen Ingenieur gab, der sie einrichtete, keinen göttlichen Uhrmacher, ist eine holistische Konzeption von Gaia nicht aufrechtzuerhalten. (Latour 2017, 168–70)

Das Problem einer solchen Perspektive ist, dass sie zwangsläufig im Metaphorischen bleibt, weswegen sich Latour auch vermeintlich widerspricht, wenn er in einem sagen kann: „Aus einer solchen Verteilung von Endzwecken geht kein oberster Endzweck hervor, sondern schlicht ein wüstes Gewirr. Dieses Gewirr ist Gaia.“ (Latour 2017, 176) Und zum anderen: „In diesem Sinn ist Gaia kein Organismus, und sie geht in keinem technischen oder religiösen Modell auf. Sie hat vielleicht eine Ordnung, aber keine Hierarchie; sie ist nicht nach Ebenen geordnet; ist aber auch nicht chaotisch.“ (Latour 2017, 187) Ein solche vermeintlich paradoxe Konzeption der Erde als chaotisch und geordnet zugleich dient dem Versuch der Komplexität einer amechanischen und nicht funktionalen Ordnungsbildung gerecht zu werden. Wir haben es hier mit chaotischen Verflechtungs-, Vernetzungs- und Beziehungsdynamiken zu tun, wie sie allerdings durchaus auch bei Arendt zu finden sind. Latour spricht in einer an Arendt erinnernden Formel von grenzenlosen Handlungswellen, allerdings ohne die Unterscheidung zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Aktanten zu machen.

[N]icht weil es irgendwo einen Gesamtplan gäbe, der die Verkettung der Akteure anordnen würde; sondern weil die Interaktion zwischen einem Nachbarn, der seine Nachbarn aktiv manipuliert, und allen anderen, die ihn manipulieren, etwas darstellt, was man wohl als Handlungswellen bezeichnen muß – Phänomene, die sich um keinerlei Grenze scheren, und wichtiger noch: die niemals einen festen Maßstab beachten. Akteure, sie wären bis zuletzt zu verfolgen, wohin immer sie führen mögen, und bei der internen Grenze eines isolierten Akteurs, der als Individuum ‚innerhalb‘ einer Umwelt gilt, ‚an die‘ er sich anpaßt, sollte nicht innegehalten werden. (Latour 2017, 177f.; herv. im Orig.)

Latour orientiert sich hier an der Prozessphilosophie Alfred North Whiteheads und der Assoziationsphilosophie John Deweys und verbindet beides zu einem Konzept von Beziehungsstiftung, das alle klassischen Ebenen und Unterscheidungen der Sozialtheorie – Mikro, Meso und Makro, sowie Subjekt und Objekt – unterläuft. Das heißt, dass er keine klaren Grenzen zwischen diesen Ebenen setzt, sondern sie verwischt und prozessualisiert. Subjekt und Objekt sind dann etwa keine Zustände oder Entitäten mehr, sondern prozesshaft aufeinander bezogen. Auch die Welt und die Natur können aus dieser Sicht keine stabilen Gebilde mehr sein, sondern können nur als stets wechselhafte, sich entwickelnde, entfaltende Prozesse beschrieben werden. Eine solche Prozessualisierung widerspricht Grundanliegen Arendts. Ihr politisches Denken kreist gerade darum, dass politische Ordnungen einen Anker der Stabilität stiften sollen gegenüber der unvermeidbaren Prozesshaftigkeit der Natur und des gesellschaftlichen Wandels. Dieser konservative Zug ihres politischen Denkens widerspricht aber keinesfalls der rein faktischen Feststellung von Latour und vielen anderen, dass eben die Natur, die Welt, die Geschichte, Gesellschaft etc. in einem stetigen Prozess sich wandeln und eben keine stabilen Gebilde sind. Es ist eben der Versuch, der Faktizität einer solchen Prozesshaftigkeit der Welt und der Erde Rechnung zu tragen, die man durchaus auch bei Arendt findet. Es ist dann die Aufgabe politischen Handelns Stabilität in den menschlichen Angelegenheiten zu stiften. Mit Blick auf die politische Ökologie könnte man nun noch ergänzen: Stabilität zwischen allen Aktanten zu stiften.

Um einen solchen Blick zu gewinnen, sind die Naturerfahrungen des Arbeitens, die Arendt beschreibt, zentral. Denn wie oben umschrieben ist es gerade das Arbeiten, das die Erfahrung von Prozesshaftigkeit produktiv integriert. Gerade in der Formulierung des Mitschwingens mit den natürlichen Prozessen ist eine Perspektive geöffnet, in der gegenüber dem prozess- und ereignishaften Geschehen Gaias die Erfahrungsgehalte des Arbeitens für eine Art des Umgangs mit der neuen Konstellation einer schwindenden Grenze zwischen Natur und Kultur aufgehoben sind. Zugleich hat der Fugencharakter aller menschlichen Tätigkeiten das Potential eben solche komplexen Handlungswellen beschreibbar zu machen. Die Erfahrungen des Arbeitens sind in diesen politisch-ökologischen Ansätzen insofern die Voraussetzung für politisches Handeln, wie etwa in aktuellen Debatten über die Rechte der Natur. Denn in den Schwingungs- und Fugenerfahrungen des Arbeitens und des natürlichen Lebens werden die durchaus auch konfliktiven Beziehungen, in die uns Gaia immer schon verstrickt, überhaupt erst erfahrbar.

Dass das keine narrative Spinnerei von Intellektuellen ist, zeigt sich auch darin, dass mittlerweile renommierte Verfassungsjuristinnen und -juristen in diese Richtung denken, insofern sie über Möglichkeiten nachdenken der Natur Rechte zu verleihen. Jens Kersten etwa bemerkt, dass „die Anerkennung der Rechte der Natur kein kategoriales verfassungsrechtliches Problem darstellt. Es handelt sich eher um eine Frage der alltäglichen Gewöhnung, die Rechte der Natur zu akzeptieren.“ (Kersten 2022, 23) Damit meint er, dass auch das Recht durchaus abhängig ist von einer Kultur und eingewöhnten Praxis innerhalb von sich entwickelnden Gesellschaften. Insofern kann gerade ein Verständnis der Erde als Gaia dazu beitragen, ein Verfassungsverständnis zu entwickeln, das auf die ökologischen Probleme unserer Jetztzeit reagiert. Kersten geht davon aus, dass die Verfassungen immer auch Reaktionen auf die jeweiligen Zeitumstände und vor allem Revolutionen waren. Die politische Neuordnung der alten absolutistischen Staaten hin zu demokratischen Systemen war Produkt der bürgerlichen Revolutionen. Die Integration des Sozial- und Wohlfahrtsstaates in Verfassungen war ein Produkt der sozialen Revolution. Und so sieht er jetzt angesichts der ökologischen Probleme auch die Möglichkeit einer ökologischen Revolution.

Schluss

Bennett, Latour und Haraway eint unter vielem anderen ein interessanter methodischer Ansatz. Um die Lebendigkeit von Materie zu zeigen, um die symbiotische Beziehung zwischen verschiedenen Lebewesen aufzuzeigen, um eine komplexe Handlungstheorie zu zeigen, die nicht von einer einfachen agency, die bei Menschen liegt, sondern von komplexen wechselwirkenden „Wirkungsmächten“ ausgeht, greifen alle drei auf Erzählungen zurück. Sie versuchen anhand ihrer Erzählungen nicht zu erklären, sondern schlicht und ergreifend zu zeigen, zu demonstrieren, in Darstellung zu bringen, wie das (nicht nur) menschliche Leben auch interpretiert werden kann. Es ist somit der Versuch eines Nachweises einer sozialontologischen Dimension der Verbindung, der Vernetzung und Beziehung zwischen allen Dingen in der menschlichen Praxis freizulegen, die Voraussetzung für neue Ansichten und Überzeugungen sein können in Richtung eines ökologischen Denkens, wie es von ihnen vorgeschlagen wird. Insofern entsprechen sie, wenn sie sich auch als politische Interventionen verstehen, einer „Politik der Wahrnehmung“ im Sinne Jacques Rancières (2008). Diese ist in der Tat weit entfernt von einem Verständnis des politischen Handelns, wie es Arendt versteht und von dem alltäglichen Geschäft von Berufspolitikerinnen und Berufspolitikern. Sie ist vielmehr beheimatet im Aufgabenbereich der politischen Theorie. Auch Arendt hat eine solche Politik der Wahrnehmung im Blick, wenn sie in der Einleitung der Vita activa von einer Besinnung spricht, die das Buch leisten soll. Es ließe sich noch ergänzen, dass Arendt mit ihrer Bestimmung des Arbeitens solchen Narrationen und anderen Sichtweisen der Verfugung menschlicher und natürlicher Welt nun auch einige konzeptionelle Ergänzungen gibt. Von Arendt kann eine politische Ökologie also lernen, dass es einen genuinen Erfahrungsbereich menschlicher Tätigkeit gibt, der das Verhältnis von Mensch und Natur auch konzeptionell und ganz praktisch greifbar macht. Dabei rücken die Erfahrungen des (Mit-)Schwingens und des (Ver-)Fugens mit der Natur in den Mittelpunkt der Betrachtung und können auch eine Art eigenständige Wirksamkeit der Naturerscheinungen konzeptionell greifbar machen.

In Zeiten des Anthropozäns, die dadurch gekennzeichnet sind, dass die Menschen in die Natur hineinhandeln und die natürlichen Prozesse in die Menschenwelt hineinleiten, kann also die Forderung nach einer neuen Wissenschaft der Politik nur durch eine politische Ökologie beantwortet werden. Arendt war eigentümlich sensibel für eine solche. Sie bietet mit ihren Zeitdiagnosen einerseits und mit ihrer Wiederentdeckung von Naturerfahrungen andererseits, die Menschen im Arbeiten machen können, eine interessante Perspektive auf politisch-ökologische Zusammenhänge. Diese Naturerfahrungen mit den beiden Konzepten der Schwingung und der Fuge erfassend, könnte man sagen, dass das schiere Leben darin besteht, die Schwingungen der Natur um uns herum zu verfugen, sie mithin dadurch aus der Umwelt in eine Mitwelt zu übersetzen. In diesem Sinne können Menschen in ein Resonanz- und Antwortverhältnis zur Natur eintreten. Arendt bietet immer wieder Anknüpfungspunkte für eine solche Perspektive und vielleicht auch für eine Selbstinterpretation unseres ganz aktuellen Daseins auf Gaia.

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1Diese Auflistung ist nach Arendts eigener Aussage unvollständig. Im Denktagebuch deutet sie immer wieder an, dass auch das Lieben eine solche Tätigkeit darstellt (Etwa Arendt 2002, 203f.; 289). In der „gültigen“ Systematik der Vita activa sind aber nur das Arbeiten, Herstellen und das Handeln aufgenommen. Allerdings spielt die Liebe an entscheidender Stelle ihrer Konzeption des Handelns eine Rolle: nämlich der bei Frage, welche Rolle das Verzeihen im (politischen) Handeln spielt. Verziehen werden kann nur aus Liebe seitens der Verzeihenden und Menschen, die von Vielen geliebt werden, seitens denjenigen, denen verziehen wird (vgl. Arendt 2020b, 344f.; konzise zusammengefasst auch in Arendt 2002, 110; 376).

2Arendt selbst legt diese Deutung immer wieder nah, indem sie dies entweder explizit (jedoch mündlich) betont, etwa wenn sie sagt, dass das „Konsumieren“ in der Moderne „an die Stelle aller eigentlich relevanten Tätigkeiten tritt“ (Arendt 2005, 70) oder aber eine eudäumonistisch imprägnierte Vorstellung von Existenz nahelegt, in dem bestimmte Bereiche des menschlichen Glücks nicht erschlossen werden können, wenn wir eben nicht politisch handeln: „Das heißt, daß sich dem Menschen, wenn er öffentlich handelt, eine bestimmte Dimension menschlicher Existenz erschließt, die ihm sonst verschlossen bleibt und die irgendwie zum vollgültigen ‚Glück‘ gehört.“ (Arendt 2019, 109) Die große Ausnahme bei den Kommentaren zu Arendt bildet Hans-Jörg Sigwart (2016; 2020, 566f.; 572– 577), der hier und da auf die unausgeschöpften Potentiale des Arendtschen Verständnis des Arbeitens hinweist. Weit mehr als die vereinzelten Verweise hier andeuten, verdankt dieser Text maßgebliche Anregungen den Arbeiten von Sigwart, was natürlich nicht heißt, dass die hier vorgebrachten Überlegungen in seinem Sinne zu verstehen sind.

3Arendt beschreibt das für das Handeln, für das diese These vermutlich weniger einleuchtend als für das Herstellen ist, an dem von ihr als einen genuin politischen Gründungsakt verstandenen Mayflower Compact. Dort verbinden sich – in der Darstellung Arendts – die Menschen auf der Mayflower auf dem Weg in die Neue Welt und stiften eine Gemeinschaft angesichts der drohenden Gefahren einer wilden und unentdeckten Welt (vgl. Arendt 2020a, 250f.). Aber auch in den vormodernen Vorstellungen von politischen Gemeinschaften, die immer darauf bedacht waren „die ungeheueren Elementargewalten der Natur von der Menschenwelt abzuhalten und diese vor ihnen zu schützen.“ (Arendt 2015, 72).

4Zwischen metaphorischer und konzeptioneller Sprache besteht zumindest für Arendt kein kategorialer Unterschied, sondern ein Zusammenhang. „Alle philosophischen Termini sind Metaphern, gewissermaßen erstarrte Analogien, deren eigentlicher Sinn sich erschließt, wenn man ihren ursprünglichen Kontext aufsucht, der ja dem ersten Philosophen, der sie gebrauchte, lebhaft vor Augen gestanden haben muß.“ (Arendt 2016, 107ff., hier 108). Darin folgt sie, wie ich in diesem Text noch das eine oder andere Mal betonen werde, Martin Heidegger, der ebenfalls einen engen Zusammenhang zwischen Dichten und Denken angenommen hat (vgl. Heidegger 1959, 195f.). Dafür spricht zweitens auch ihre Interpretation von Walter Benjamins Arbeit, die sie als ein dichterisches Denken charakterisiert hat (Arendt 1989, 242) und darüber hinaus in ziemliche Nähe zu Heideggers Sprachphilosophie bringt. Dichterisches Denken ist im Übrigen auch etwas ganz anderes als narratives Denken (vgl. hierzu auch die innovative lyrical sociology von Andrew Abbott 2001). Während eine narrative Perspektive nach der klassischen Poetik von Aristoteles vor allem eins ist, nämlich Struktur: „Anfang-Mitte-Ende“, innerhalb derer Ereignisse und Handlungen durch die Zuschreibung von Kausalität ihren Sinn erhalten, beschreibt dichterisches Denken etwas anderes: nämlich den Erfahrungsreichtum der Sprache auszunutzen, um möglichst viele Erfahrungsbereiche des menschlichen Lebens zu versprachlichen, die wiederum ihrerseits in theoretischer Sprache zu Konzepten abstrahiert werden können. Metaphern behalten dabei dadurch, dass sie einen Bezug zur sinnlichen Erfahrungswelt herstellen, die Möglichkeit jenseits abstrakter Sprache Sachverhalte, wie es so schön heißt, sinnfällig zu machen.

5Für Arendt bedeutet die Bedingtheit der menschlichen Existenz nicht so etwas, wie eine menschliche Natur, sondern vielmehr, dass alles, „was menschliches Leben berührt, […] sich sofort in eine Bedingung menschlicher Existenz [verwandelt]“ (Arendt 2020b, 26). Menschliche Existenz bedeutet dann vor allem Abhängigkeit und Relation und nicht Wesen und Substanz. Eine solche Perspektive lässt sich m.E. zurecht als antihumanistische Perspektive bezeichnen, weil sie sich so auch bei Martin Heidegger findet, der das Humanismus-Problem explizit adressiert. So heißt es in seinem Ding-Aufsatz: „Wenn wir das Ding in seinem Dingen aus der weltenden Welt wesen lassen, denken wir an das Ding als das Ding. Dergestalt andenkend, lassen wir uns von dem weltenden Wesen des Dinges angehen. So denkend sind wir vom Ding als dem Ding gerufen. Wir sind – im strengen Sinne des Wortes – die Be-Dingten. Wir haben alle Anmaßung des Unbedingten hinter uns gelassen.“ (Heidegger 2022, 208) In diese Richtung argumentiert auch Dana Villa: „Like Heidegger, Arendt sees this total humanization of reality as the most extreme form alienation.“ (Villa 1996, 192) Mit einer solchen ‚totalen Humanisierung‘ meint er ein menschliches Verhalten, das glaubt, es könne alles in seine Verfügungsmacht stellen. Genau damit ist der Humanismus in seiner Extremform beschrieben.

6Gerade in ihrer Phänomenologie der Tätigkeiten knüpft Arendt unmittelbar an antihumanistische Motive Martin Heideggers an, wie sie in seinem Spätwerk verhandelt sind. Neben den konzeptionellen Parallelen kann man auch den Briefen zwischen ihnen entnehmen, dass Arendt einschlägige Schriften von Heidegger zu diesem Thema wertgeschätzt hat. Etwa hatte sie die Wegmarken, das Buch, in dem einschlägige Texte für diese Perspektive wie der Brief über den Humanismus enthalten sind nach eigener Aussage als Talisman und zum Blättern griffbereit auf ihrem Schreibtisch stehen (vgl. Arendt und Heidegger 2013, 165).

7Eine solche Veredelungstheorie, die bei Marx‘ und Lockes Theorien des Arbeitens mitschwingen, und die bei Letzterem auch noch mit Rechtsansprüchen verbunden wird, hat grundlegende Konsequenzen für die Beurteilung von verschiedenen Lebensformen, allen voran wenn sie mit anthropologischen Motiven, wie bei Marx und Locke verbunden werden. Alle Lebensformen, die dann nicht, tendentiell wenig oder vermeintlich nicht Güter herstellen und veredeln, können damit als niederrangig verstanden werden: „Lockes Definition des Eigentums ist daher das Herzstück eines konzeptuellen Fokus, der dazu dient, das‘ von den anderen, den Indianern, zu trennen: Durch diesen Dreh werden die indigenen Gesellschaften von legitimen Rechtsbeziehungen zum Boden ausgeschlossen, da sie nur Jäger und Sammler sind – oder zumindest als solche wahrgenommen werden. Die praktischen Grundlagen der Aneignung durch eine Verbesserung des Bodens ermöglichen es aber auch, die in der aristokratischen Gesellschaft bestehende soziale und ökonomische Hierarchie in den Begriff des Eigentums einzuschließen.“ (Charbonnier 2022, 82)

8Hans-Jörg Sigwart (2020, 573) identifiziert dennoch einige wenige Möglichkeiten, in denen sich das Arbeiten verdinglichen kann.

9Diese spezifische Erfahrung des Mitschwingens, die für Arendt ganz wesentlich im Arbeiten zur Geltung kommt, könnte jenseits der Care-Arbeit auch interessante Anknüpfungspunkte für die Bereiche des kommunikativen und politischen Handelns haben, wie etwa in Situationen, in dem man die Schwingungen und Stimmungen auf einer Party oder einer Peer-Gruppe wahrnehmen muss, um, sofern man anschlussfähig sein will und einen schönen Abend haben will, Verbindungen zu den Menschen zu stiften. Gleiches gilt natürlich für jeden guten Politiker und jede gute Politikerin. In unseren Sprichwörtern gibt es lauter solcher Metaphern, etwa, dass man auf der gleichen Wellenlinie ist, oder etwas neudeutsch, dass man gut miteinander vibet.
Es ist daher im Übrigen auch ganz falsch, dass, wie Axel Honneth meint, „sie an den arbeitenden Tätigkeiten nur die dem Handwerk ähnelnde ‚Arbeit‘ und das durch die Maschine vermittelte ‚Erzeugen‘ [unterscheidet C. D.], wohingegen sie die Dienstleistungen mit keinem Wort erwähnt – eine begriffliche Unachtsamkeit, die bislang wenig Aufmerksamkeit gefunden hat.“ Es fehle jegliche Erwähnung der Tätigkeiten „des Dienens und Pflegens“ (Honneth, 128; 128 FN 129), die Arendt weder mit dem Arbeiten noch mit dem Herstellen adäquat beschreiben könne. Das sind freilich Bagatellen und betreffen nicht den Rest der reichhaltigen Überlegungen, die Honneth anstellt.

10Die Metaphorik der Schwingungen ist natürlich der Akustik entnommen, in der der Schall allerdings Beschreibungen der Hydrodynamik zur Veranschaulichung übernimmt. Schall verbreitet sich in Wellen von einem schwingenden Objekt, wie die Wasserwellen sich konzentrisch um eine Schwingungsquelle verbreiten, etwa einem Stein, der ins Gewässer geworfen wird.

11Mit der Metaphorik der Fuge beziehe ich mich auf Heidegger. In seinem Spätwerk nimmt das Motiv der Fuge und die Möglichkeit des Verfugens eine ganz entscheidende Rolle ein (vgl. etwa Heidegger 1950, 327 ff.). Es wäre allerdings zumindest für Heidegger verkürzt gedacht, wenn man dieses Fugendenken rein konservativ als Anpassung versteht. Es geht natürlich auch darum, die Zeichen der Zeit zu erkennen und diese auch tendentiell verborgenen Zeichen zu erkennen und ggf. zu entfalten und zur Geltung zu bringen und in diesem Sinne mit dem Gegebenen zu verfugen. Man könnte auch Gadamers philosophische Hermeneutik dahingehend lesen, dass sie im Wesentlichen ein Versuch ist, diese Verfugungsdynamik des menschlichen Lebens geschichtstheoretisch auszulegen. „Wir stehen vielmehr in Überlieferung, und dieses Darinstehen ist vergegenständlichendes Verhalten, so daß das, was die Überlieferung sagt, als ein anderes, Fremdes gedacht wäre – es ist immer schon Eigenes, Vorbild und Abschreckung, ein Sichwiedererkennen in dem für unser späteres historisches Nachurteil kaum noch Erkennen, sondern unbefangenste Anverwandlung der Überlieferung zu gewahren ist.“ (Gadamer 1975, 286f.) Allerdings überwiegen bei Gadamer im Gegensatz zu Heidegger die konservativen Momente einer solchen Verfugungsgeschichte, insofern sein Traditionalismus tendentiell nicht das Abseitige und Verborgene zur Geltung bringt.

12Allein in der Liebe gibt es wirklich und auch nur momentweise Fugenloses und Differenzloses. Das ist die Erfahrung der Einswerdung, Selbstauflösung und Verschmelzung von leidenschaftlicher Liebe und Sehnsucht. Deswegen findet man auch immer wieder die Metaphern des Blitzes und des Feuers, die alle Zwischenräume zwischen Menschen verbrennen. Martin Buber konnte daher über ein solches Du der Liebe sagen, dass ebendieses alles, was wir sinnlich erfahren, prägt und in ein anderes Licht stellt: „[N]achbarlos und fugenlos ist er Du und füllt den Himmelskreis. Nicht als ob nichts andres wäre: aber alles andre lebt in seinem Licht.“ (Buber 2018, 9)

13Arendt ist eigentlich skeptisch gegenüber jeder Wertphilosophie und geht selber sparsam oder in ausdrücklicher Fremdbeschreibung mit dem Begriff vor.

14Im Übrigen ist hier das Alte Testament nicht die einzige Referenz, die sie für die Bestimmung des Arbeitens durch die Fruchtbarkeit übernimmt. Eigentlich ist es auch hier Marx, auf den sie sich affirmativ bezieht, allerdings mit der Absicht der Differenzierung. Während Marx das Arbeiten als produktive und fruchtbare Tätigkeit zugleich versteht, und dann vor allem im späteren Werk ersteres in den Vordergrund seiner Analysen der Industrie und des Kapitalismus legt, differenziert Arendt strenger zwischen fruchtbarer Arbeit und produktivem Herstellen. „Das Niveau des Marxschens Denkens zeigt sich vielleicht nirgends deutlicher als darin, daß er diese noch halb metaphorischen Gleichsetzungen von Wirtschafts- und Lebensprozessen auf die beiden fundamentalen Modi zurückführte, in denen der menschliche Lebensprozeß wirklich verläuft und die ihm eigentümliche Fruchtbarkeit entfaltet, nämlich auf die Arbeit und das Zeugen.“ (Arendt 2020b, 142)

15Anders als Ansätze, die in der Hervorbringung von ästhetischen Objekten eine gewaltlose Form des Herstellens und idealiter einen nicht-instrumentellen Umgang mit der Welt sehen, geht Arendt diesen Schritt konsequent. „Aber natürlich tut auch der Dichter seinem Material Gewalt an; er singt nicht, wie der Vogel singt, der in den Zweigen wohnt.“ (Arendt 2015, 291)

16Die Sonnenenergie löst natürlich eine ganze Verkettung an Energieumwandlungen aus. Angefangen beim Pflanzenwachstum, hin zu Herbivoren, die die Pflanzen fressen, welche wiederum von Carnivoren gefressen werden usw.

17Peter Sloterdijk (2023) hat jüngst einen nicht minder eigentümlichen Versuch gemacht, eine Kulturgeschichte des Menschen entlang der Praxis des Verbrennens zu erzählen.

18Ari-Elmeri Hyvönen (2021) hat etwas ähnliches im Blick mit seinem Konzept der „material culture of care“, das er mit Arendt entwickelt. Er erwähnt überdies auch eine Erfahrung des Arbeitens, die in einer solchen Sorgepraxis wichtig wird. Allerdings nutzt er nur konzeptionell das Kultivieren von Natur als Pflege und nicht die gesamte Breite der Erfahrungen des Arbeitens.

19Arendts Kapitalismuskritik ist natürlich viel elaborierter und geht auch zurück auf ihre ausführliche Beschäftigung mit dem Imperialismus. Ich wollte an dieser Stelle nur kurz andeuten, dass ein wesentlicher Aspekt ihrer Zeitdiagnose und Kapitalismuskritik gerade in dem Ausgreifen des Arbeitens auf immer weitere Bereiche des öffentlichen Lebens besteht.

20Auf diese Umdrehung eines Marxschen Motivs hat mich Rebecca Hoppe bei einem Vortrag in dem Kolloquium von Eva Buddeberg aufmerksam gemacht (vgl. Hoppe 2024, 18).

21In der Tat ist es so, dass die Geologinnen, die in Sachen Erdzeitalter die Entscheidungen treffen, vor kurzem den Beschluss gefasst haben, dass man noch nicht von einem Anthropozän sprechen kann. Das hat damit zu tun, dass sich ein Erdzeitalter über eine bestimmte Zeit an Gesteinsschichten ablesen lassen muss und dies wohl für das Anthropozän noch nicht hinreichend bestimmbar wäre (vgl hierzu Witze 2024). Dennoch gibt es gute Argumente, um an dem Konzept des Anthropozäns jenseits der geologischen Bestimmung festzuhalten, wenn auch als Beginn, Richtung und Tendenz einer neuen Epoche (vgl hierzu Zalasiewicz et al. 2024), die sowohl natürliche (Artensterben, Klimawandel) als auch soziale (Etablierung neuer Wissenschaftsfelder wie die Erd-System-Wissenschaften oder Gesetzgebungen) Konsequenzen zeitigt.

22Vgl. für eine besonders aggressive Formulierung dieser Thesen die Ausführungen bei Ingo Elbe (2020, 88–111).

23Vgl. für die Entwicklung des Humboldtschen Naturverständnisses als ein globales Netzwerk die Biographie von Andrea Wulf (2015).