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Ausgabe 1, Band 13 – Dezember 2023

Eva von Redecker, Bleibefreiheit


Rezension: Eva von Redecker: Bleibefreiheit, S. Fischer Verlag, 2023. 160 S.,

22,00 EUR

Eva von Redecker betrachtet in „Bleibefreiheit“ das Spannungsfeld zwischen Maßnahmen und Aktivismus zum Schutz des Klimas, im Folgenden kurz als Ökologie bezeichnet, und einer auf den ersten Blick aus diesen resultierenden Einschränkung von Freiheit aus einer begrifflich-philosophischen Perspektive. Im Mittelpunkt steht dabei der Begriff der Freiheit, wobei die Autorin ihre Reflexion hierzu einerseits auf Basis einer geschichtsphilosophischen Rekonstruktion und andererseits anhand von zahlreichen Beispielen, die jeweils als Ausgangspunkte der einzelnen Kapitel dienen, aus dem Blickwinkel einer Kritik des Eigentumskonzepts vornimmt. Ich werde im Folgenden einige zentrale Schritte aus dem vergleichsweise umfangreichen Projekt herausgreifen, um die allgemeine Richtung der Argumentation nachzuzeichnen.

Von Redecker argumentiert für die Etablierung des alternativen Begriffs der Bleibefreiheit, um den vermeintlichen Widerspruch zwischen persönlichen Einschränkungen und Ökologie aufzulösen oder zumindest eine andere Deutungsmöglichkeit in Bezug auf dieses Spannungsfeld anzubieten. Die Untersuchung beginnt mit der Behauptung, dass der Freiheitsbegriff „in der westlichen Tradition stets untrennbar mit Bewegungsfreiheit verknüpft“ (S. 9) sei, wodurch ein Bezug zur Freiheit anderer Menschen entsteht. Diese „liberale“ (S. 12) Auffassung des Freiheitsbegriffs wird in Rekurs auf, unter anderem, John Stuart Mill konkretisiert, da nach diesem „alles, was seine [Mills] Existenz wertvoll mache, von Einschränkungen des Handelns anderer abhinge“ (S. 27).

Von Redecker stellt damit zunächst ein klassisches, mit diesem Begriff verbundenes Dilemma dar, indem sie argumentiert, dass das liberale Konzept von Freiheit nur durch das gegenseitige Begrenzen der Freiheit anderer und dennoch nur in bestimmten Grenzen realisierbar sei. So liege diesem „vernünftigen Kompromiss“ (der Beschränkung auf jeweils zugewiesene Sphären) eine „Unvernunft zugrunde“, die in der Tendenz bestehe, „doch alle Schranken niederzureißen und gerade darin eine wahre, größere Freiheit spüren zu wollen.“ (S. 27/28).

Mit dieser zentralen These weist von Redecker auf die Individualitätsbezogenheit dieses Freiheitskonzepts („Freiheit ist, wenn nichts im Weg steht“ (S. 28)) hin, die in einem gesellschaftlichen Kontext stets als Widersprüchlichkeit zwischen ihrem Anspruch und der Möglichkeit dessen Verwirklichung besteht, wobei der Anspruch stets als Ideal im Hintergrund stehe, was das Konzept inkonsistent macht. So bestehe „unsere Freiheitssemantik“, wenn sie konsequent zu Ende gedacht wird, in einer Kombination aus „extreme[r] Reisefreiheit“ mit dem „ultimativen Willensradius“ (S.26). Diese Vorstellung beruhe auf der „Freiheit des modernen Eigentümers“, da das Konzept von Freiheit als „Vollverfügung“ nicht rein negativ und damit die Abwesenheit von Zwang sei, sondern auch die positive Komponente des „Selbstbesitz[es]“ (S. 43-44) beinhalte, wodurch die Bezeichnung als negative Freiheit nicht adäquat sei. Durch diese These stellt die Autorin das Selbstverständnis des liberalen Freiheitsbegriffs in Frage.

Ein solches Besitzdenken sei in einem „monströsen“ Ausmaß im sogenannten „Longtermism“ implementiert und präge in einem erheblichen Maße die weltweite wirtschaftliche Aktivität (S. 55). Die darin enthaltene utilitaristische Grunddisposition enthalte die Problematik, dass in ihr das Glück der größten Anzahl für das Handeln ausschlaggebend sein soll, wobei sie im Kontext des Longtermism erweitert worden sei, indem die Anzahl der Menschen von der Gegenwart gelöst werde.

Von Redecker führt als Ausgangspunkt ihrer Kritik am Utilitarismus eine Version des klassischen Gedankenexperiment Beispiels von Philippa Foot (das Trolley-Problem) ein, in dem ein Güterzug, der auf eine junge Familie zurollt, aber durch das Umstellen einer Weiche auch auf einen korpulenten alten Mann umgeleitet werden könnte, wobei Foot hier als sadistisch abgelehnt und als für utilitaristisches Denken typisch bezeichnet wird (S. 56). Im Longtermism werde als Folgerung aus derartigen Denkexperimenten die Anzahl der Menschen von deren Gegenwart gelöst, was dazu führe, dass dem Longtermism „die Welt insgesamt gleichgültig ist“, da das einzige Ziel nur noch im Erhalt der Menschheit besteht (S. 57).

Durch das Konzept des Longtermism werde so zwar zunächst auf die langfristigen Folgen der eigenen Handelns Bezug genommen, das eigentliche Problem dieses Konzepts, in dem die Vorstellung von Eigentum mit derjenigen der Freiheit verknüpft wird, besteht jedoch nach von Redecker in der nach wie vor vorhandenen Konzeption der Vollverfügung bzw. des uneingeschränkten Eigentums, die sich im Aneignen der Zukunft als höchstem Zweck ausdrückt.

Dieser Drang zur Aneignung zeige sich auch in Zukunftsvisionen, in denen den Menschen, beispielsweise, die Kontrolle der eigenen Sinneseindrücke möglich wäre oder ihre Lebenserwartung drastisch ansteigen würde. Dies stelle dann insgesamt sogar eine Verschärfung der Reichweite des Konzepts des Eigentums am eigenen Körper dar, indem dieses auf die „Erfahrungen“ und „Lebensdauer“ ausgeweitet werde. Dann würde „[d]er Widerstand einer mir anderen geteilten Welt […] vollends an den eingekapselten Monaden abprallen“ (S. 58).

An dieser Stelle der Argumentation zieht von Redecker das Denken von Hannah Arendt hinzu, da nach ihr „die bürgerliche Gesellschaft der Neuzeit ihre politischen Kategorien dem Paradigma des Eigentums nachordnete“ (S.59). In diesem Rahmen liegt das Interesse auf der „neuen, frühkapitalistischen Akkumulationsfunktion von Eigentum“, in der der einzige Zweck das quantitative Wachstum um seiner selbst willen sei. Qualitatives Wachstum werde vollkommen außer Acht gelassen (S. 59). Weiterhin könne „eine Besitzakkumulation nicht ohne eine parallele Akkumulation von Macht“ gelingen (S. 60), wodurch von Redecker eine gewisse Nähe des Longtermism zum Totalitarismus impliziert, denn „[f]ür Arendt wäre bereits das Projekt, die Pluralität und Spontaneität menschlichen Zusammenlebens einem übergreifenden historischen Prozess [wie beispielsweise dem Fortbestand der Menschheit, Anm. des Verfassers] unterzuordnen, totalitär.“ (S. 61).

Im nächsten Schritt verkoppelt von Redecker das kritisierte Konzept von Freiheit über den Begriff des Eigentums mit dem „Überflusswunsch“, indem sie ihn als verzweifelte Reaktion auf die Notwendigkeit der Befriedigung von basalen Bedürfnissen und durch das Konzept des Eigentums entstandene Knappheit beschreibt (S. 70). So besteht die Möglichkeit, durch die Abkehr vom Konzept des Eigentums in Bezug auf die Freiheit den Überflusswunsch abzuschwächen, sobald basale Bedürfnisse befriedigt sind, wodurch die durch den Überflusswunsch entstandene Knappheit in Bezug auf das Eigentum und damit die liberale Freiheit vermieden werden kann.

Zentral für die Abkehr vom Konzept des Eigentums ist vor diesem Hintergrund die Auslegung des Freiheitsbegriffs entlang der Zeit als Bleibefreiheit und nicht entlang der Räumlichkeit als Freiheit zum Eigentum an der Bewegung. Für das Bleiben ist im Gegensatz zum Bewegen bzw. Besitzen die „Wahrung einer bewohnbaren Welt“ von basaler Bedeutung (S. 17), wodurch eine Koppelung mit der Ökologie erfolgt. Der Kontrast zum Longtermism besteht trotz der Ausrichtung auf die Zukunft in der dennoch vorhandenen Bejahung der Bedürfnisse der Gegenwart (S. 107), wodurch Arendts Kritik des Totalitarismus erneut aufgefangen wird.

In Arendts Geiste appelliert von Redecker auf unsere „Vorstellungskraft“, durch welche die Zeit „vielfach aufgebrochen von Entwürfen und Anfängen“ (S. 108), womit die Freiheit als „Selbstwiedergeburt“ gedacht werden kann (S.84). In diesen „Neuanfängen“ werde die Zeit vervielfältigt (S. 109), wodurch unter einer zeitlichen Sichtweise auf die Freiheit die Vermehrung letzterer möglich ist. Durch diese wird das Eigentums für die Freiheit irrelevant. So entstehe „ungezwungene Zeit“ im Kontrast zu der Vorstellung, Zeit besitzen zu können, die in Form des „störungsfreien“ und damit „eigentumsförmigen“ Raumes als Ausdruck des liberalen Freiheitsbegriffs (S. 63) fungieren würde.

Damit identifiziert von Redecker das Konzept des bürgerlichen Eigentums als Grundproblematik in dem Spannungsfeld zwischen Ökologie und Freiheit, da es zu einem Freiheitskonzept führe, dessen Ideal die kompromisslose Aneignung der Umgebung sei. Demgegenüber würden auch die Aspekte der Ökologie irrelevant. Eine Lösung sieht sie in der „Verzeitlichung“ von Freiheit, nach der sich diese auf Zeit und nicht mehr auf Räumlichkeit bezieht. Dadurch entfällt auch die Bindung an das Konzept des Eigentums, da Freiheit als „ungezwungene Zeit“ unter einem nicht-linearen Verständnis durch Handeln nahezu unendlich vermehrt werden könne.

Insgesamt stellt von Redeckers Buch einen Versuch dar, über ein extrem weites und komplexes Feld philosophische Reflexionen anzustellen und neue Konzepte vorzuschlagen. Dabei fällt insbesondere eine Art aphoristischer Charakter ins Auge, der sich durch die Vielzahl der vergleichsweise knappen, aber inhaltlich reichen Kapiteln und durch das Fehlen eines Inhaltsverzeichnisses zeigt. Das Buch ist trotz der Breite des Projektes beim gleichzeitig kompakten Umfang eine angenehme Lektüre, bei der Bezug auf zahlreiche Autorinnen und Autoren sowie unterschiedliche Themenkomplexe genommen wird. Dabei vermeidet die Autorin extreme Positionen und moderiert vielmehr zwischen verschiedenen, möglichst vielen Perspektiven, was den Eindruck erzeugt, dass sie nach einem ehrlichen Dialog mit ihrer Leserschaft sucht.

Es muss kritisch nachgedacht werden, inwiefern die Entkopplung des Freiheitsbegriffs von der Bewegungsfreiheit und dem Eigentumsbegriff durch die Kontextverlagerung auf die Zeit diese auf eine Frage der inneren Disposition jedes Einzelnen reduziert. So könnten in einer extremen Interpretation sämtliche materiellen Aspekte des Zusammenlebens als irrelevant deklassiert werden. Die argumentative Ehrlichkeit der Autorin hilft aber dabei, diese komplizierte Überlegung anzugehen. Deshalb ist Buch als Vorspiel zu einer intensiveren Beschäftigung mit der Thematik sehr geeignet und stellt eine gute Einführung in die Ethik der Ökologie dar.

Gabriel Jira

Freier Forscher, Lektor und Übersetzer