Ausgabe 1, Band 12 – Dezember 2022
In der Welt der Vielen
Arendts sokratisches Ethos weltbürgerlicher Existenz im Lichte der Pluralität
Till Heller
M.A.
- Doktorand - Bergische Universität Wuppertal :: ITP - Institut für
Transzendentalphilosophie und Phänomenologie /
Université
Grenoble Alpes :: IPhiG - Institut de Philosophie de Grenoble -
wissenschaftliche Hilfskraft - Universität zu Köln :: FID
Philosophie
Einleitung
Was genau bedeutet es, politisch zu sein? Die rasante Entwicklung einer techno-ökonomischen Globalisierung, deren systemische Funktionszusammenhänge heute alle Bereiche der menschlichen Lebenswelt zu kolonialisieren drohen, stellt die Philosophie vor die anhaltende Herausforderung, Wesen und Bedingungen des Politischen neu zu befragen. Wie ist eine selbstständige politische Praxis jenseits bloß zweckrationaler Handlungsprinzipien zu denken, die nicht in ökonomischen Zwängen, bürokratischen Verwaltungsakten oder diskursiven Machtstrukturen aufgeht, sondern sich vielmehr an den mannigfaltigen Anforderungen des menschlichen Gemeinwesens selbst ausrichtet?
Diejenige Denkerin, die Wesen und Wesensort des Politischen angesichts der Totalitarismen und Kataklysmen des 20. Jahrhunderts neu bestimmen und dabei zugleich die fragile Eigenständigkeit der politischen Sphäre herausarbeiten konnte, ist bekanntlich Hannah Arendt. In ihren Rückbesinnungen auf das Politische legt Arendt dieses – in oftmals ausdrücklicher Abgrenzung zur platonisch-metaphysischen Tradition – als einen originären Weltbereich frei, der als solcher niemals einfach vorliegt, sondern im zwischenmenschlichen Handeln und Miteinandersprechen allererst entsteht und offengehalten wird. Auf diese Weise, so Arendts grundlegende Einsicht, konstituiert und aktualisiert sich ein öffentlicher Erscheinungsraum menschlicher Pluralität, in dem die Bürger1 ihre Angelegenheiten nach dem Vorbild der antiken Polis in gewaltloser Weise als Freie unter Gleichen argumentativ aushandeln und selbstverantwortlich handeln können.
Mit dieser Neubestimmung des Politischen aus dem praktischen Vollzug des tätigen Lebens heraus gehen weitreichende Konsequenzen nicht nur für die politische Theorie, der die ‚Grenzgängerin‘ Arendt selbst sich bekanntlich noch am ehesten zugehörig gefühlt hat, sondern auch für die phänomenologische Philosophie und ihre Kernfragen nach dem Wesen der erscheinenden Welt und des im Dativ der Gegebenheit stehenden Selbst einher. Einerseits versteht Arendt den immer nur im Plural und im Horizont einer gemeinsamen Welt existierenden Menschen in Anknüpfung an Aristoteles wesentlich als einen in Gemeinschaft handelnden Bürger: Ein zoon politikon, dessen gemeinschaftliche (Ko-)Existenz in der im plural hergestellten Welt vom Ideal der Freundschaft bestimmt und als Kernbestand der vita activa ausgewiesen werden kann.2 Die antike Unterscheidung zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten aufnehmend, schließt Arendt dabei bekanntlich nicht nur ökonomische Bestimmungen aus der Polis als welthaftem Entfaltungsraum der politischen Existenz aus, sondern klammert auch rechtsphilosophische Problematiken, wie die Frage nach dem allgemeinen Menschen- oder Völkerrecht, zunächst aus deren Erörterung aus. Andererseits erkennt Arendt den Menschen im Plural zugleich als ein vernunftbegabtes, geistig tätiges Wesen an, das sich in der vita contemplativa aus der politischen Welt der öffentlichen Angelegenheiten zurückzieht, um sich der ‚Ortlosigkeit des Denkens‘ im stillen Zwiegespräch mit sich selbst hinzugeben.3 Vor diesem zweifachen Hintergrund legt sie im Spätwerk zumindest nahe, dass die politische Existenz durchaus weltbürgerliche Züge annehmen muss, um sich gegen den ökonomischen Druck und die ideologische Anfälligkeit (oder gar ‚Gedankenlosigkeit‘) moderner Massengesellschaften zu wappnen.4 Allerdings konnte Arendt selbst diesen Gedanken nicht mehr weiterverfolgen oder gar eine eigenständige, positive Konzeption des Weltbürgerlichen systematisch ausarbeiten.
Im Zentrum des vorliegenden Beitrags steht daher die beide Stränge miteinander verbindende Frage nach einer philosophischen Neubestimmung des Weltbürgerlichen bei Arendt, die am Leitfaden ihres in sich vielschichtigen Denkens der Pluralität in phänomenologischer Sicht erörtert werden soll. Damit schreibt sich diese Untersuchung in eine in den letzten Jahren deutlich an Kontur gewonnene Forschungslandschaft ein, in der Arendts reichhaltiges Denken unter phänomenologischen Gesichtspunkten noch einmal neu erschlossen (Vasterling 2015, Mensch 2018) und u.a. als eine dezidiert politische ,Phänomenologie der Pluralität‘ ausgelegt worden ist (Loidolt 2018). Wie insbesondere Loidolt zeigen konnte, greift Arendt – in zumeist impliziter Anknüpfung an Denker wie Husserl, Heidegger oder Merleau-Ponty – phänomenologische Grundkonzeptionen (wie Existenz, Intersubjektivität und Welt) in produktiver Weise auf, um sie im Rahmen ihres Pluralitätsdenkens zu transformieren und zu politisieren.5 Statt die Tätigkeit des Denkens zur gesicherten Methode eines selbstgenügsamen und weltlosen Subjekts zu verschließen, die das Andere auf das Selbe, die Pluralität auf Identität reduziert, vollzieht sie dabei ein performativ-intervenierendes,6 sich ins Offene der Welt wagendes ‚Denken ohne Geländer‘, das der irreduziblen Vielgestaltigkeit menschlicher Perspektiven und Angelegenheiten Rechnung zu tragen versucht.
Vom konstitutiven ‚Zwischen‘ jener ursprünglichen Pluralität der Weltzugänge ausgehend, entfaltet Arendt in ihrer mittleren und späten Schaffensperiode – so die diesem Beitrag zugrundeliegende Hypothese – ein ihrer theoretischen Neubestimmung des Politischen korrespondierendes, sokratisches Ethos weltbürgerlicher Existenz, das sich praktisch als ‚Sorge um die Welt‘ im Urteilen, Sprechen und Handeln artikuliert. Ethos darf hier nach Arendt, die sich auf Grund der anfänglichen Offenheit und Vielheit menschlichen Handelns, Denkens und Sprechens bewusst gegen eine universale Ethik oder globale Politik verwahrt hat, keinesfalls mit einer Moralphilosophie oder Handlungslehre verwechselt werden.7 Vielmehr soll mit dem wörtlich zu verstehenden Ethos (ēthos) weltbürgerlicher Existenz eine spezifische Weise des gemeinsamen Weltaufenthalts zum Ausdruck gebracht werden, die sich durch eine besondere, von Sokrates paradigmatisch verkörperte Redlichkeit sowie Beweglichkeit zwischen Denken und Handeln auszeichnet. Damit knüpfen wir an die semantische Vielfalt des altgriechischen ēthos an, die sich schon Heidegger im berühmten ‚Humanismusbrief‘ (1947) zu Nutze gemacht hat: Ursprünglich bezeichnet ēthos nicht nur Gewohnheit, Sitte, Gesinnung oder Gemüt, sondern auch Aufenthalt, Wohnort oder Wohnsitz – der gemeinsame Ort aber, den die Menschen als sterbliche bewohnen, ist die plurale Welt.8 Statt einen normierenden Zugang zu einer die endliche Welt transzendierenden Moral anzubieten, zielt Arendts sokratisches Ethos nicht nur darauf ab, im Einklang mit dem logos gewissenhaft Rechenschaft vor sich und anderen abzulegen (logon didonai), sondern auch im jeweiligen Urteilen und Handeln performativ mit sich selbst übereinzustimmen. Wie deutlich werden soll, handelt es sich dabei um eine ethischexistenzhermeneutische Perspektive im Denken Arendts, die nicht einfach zu ihrer politischen Theorie hinzutritt, sondern dieser gleichsam eingeschrieben ist, sofern sie sich aus Arendts phänomenologischer Grundkonzeption von pluraler Existenz und den ihr inhärenten ethischen Ansprüchen selbst ergibt.
Eine zentrale Rolle bei der Grundierung dieses Ethos kommt der phänomenologischen Sichtbarmachung einer ebenso ontologischen, wie politischen Pluralität des Erscheinens zu, die insbesondere im ersten Band des posthum veröffentlichen Werkes Vom Leben des Geistes (‚Das Denken‘) genauer untersucht wird. Pluralität darf dabei nicht als bloß vorhandene Verschiedenheit vorgestellt werden, sondern erweist sich vielmehr aufs Engste mit Arendts eigenen Bestimmungen von Welt als wesentlich sozialer oder zwischenmenschlicher Erscheinungs- und Gestaltungsraum sowie von Denken als aufspaltendes Selbstgespräch verzahnt. Wie deutlich werden soll, bezeichnet Pluralität eine multidimensionale, das Seiende im Ganzen durchziehende Mannigfaltigkeit an welterschließenden Perspektiven, die nicht nur für die plural verfasste conditio humana und den öffentlichen Raum des Politischen charakteristisch ist, sondern deren Bezugsgewebe allererst eine gemeinsame Welt konstituiert. Weil der Vollzug der je-meinigen Existenz nach Arendt immer schon in eine interpersonal erschlossene Welt eingebettet ist, auf deren Bühne der in Gemeinschaft sprechende und handelnde Bürger erst als ein solcher erscheint, gehört der (immer auch ethisch-politische) Bezug auf andere und anderes wesentlich zum menschlichen Selbstbezug.
Nur vor dem Hintergrund dieser in sich vielschichtigen Pluralität in actu, die unscheinbar im Erscheinen und Denken alles Seienden waltet, konnte der Welthorizont den alten Griechen als wohlgeordnetes Ganzes (Kosmos) des Seienden erscheinen, dessen Bewohner der freie und in der Polis unter Gleichen organisierte Bürger (Polites) ist. Indem sie die metaphysische ‚Zwei-Welten-Theorie‘ abendländischer Prägung destruiert und die Welt nicht mehr als Totalität des Seienden (Kosmos), sondern als politische Sphäre menschlicher Angelegenheiten (Polis) fasst, betrifft und verwandelt Arendts politische Konzeption von Pluralität auch den Weltbürgergedanken, der bis in die Anfänge des okzidentalen Philosophierens zurückreicht und in der Neuzeit durch Kants ,erweiterte Denkungsart‘ neu fundiert worden ist. Dabei wendet Arendts eigenes weltbürgerliches Ethos des einsamen Denkens und gemeinsamen Handelns sich gerade gegen den klassischen Kosmopolitismus und seinen universalistischen Anspruch, welcher der Pluralität des Menschen und seiner politischen Welt widerspricht.
Wie Arendt in ihrer Vorlesung zu Sokrates (1954) betont, äußert sich die unaufhebbare Pluralität des Menschen keineswegs nur intersubjektiv in der genuin politischen Sphäre des öffentlichen Miteinander-Sprechens und -Handelns, sondern vielmehr bereits intrasubjektiv in der Zurückgezogenheit des entzweienden Dialogs der Denkenden mit sich selbst: „Selbst wenn ich ganz alleine leben würde, so lebte ich doch mein Leben lang im Zustand der Pluralität. Ich muss mit mir selber zurechtkommen, und nirgends zeigt sich dieses Ich-mit-mir deutlicher als im abstrakten Denken, das immer ein Denken in der Gespaltenheit, zwischen den Zweien-in-Einem ist.“9 Aus den privaten Aufzeichnungen des Denktagebuchs (1950-1973) geht hervor, dass sich in diesem denkerischen Selbstgespräch des ,Zwei-in-einem‘ bereits der unabweisbare Anspruch von Pluralität als „politische Seite allen Denkens“10 bekundet. Zur politischen Freundschaft im Sinne des sokratischen Ethos weltbürgerlicher Existenz gehört es dann, nicht nur mit anderen in der Polis, sondern ebenso mit sich selbst sorgsam zusammenzuleben. Die endliche Existenz des Daseins in der Lebenswelt erweist sich so als eine eminent politische, zugleich an die ethisch-sokratische Forderung des gewissenhaften Selbstgesprächs gebundene Koexistenz, die sowohl von denkerischer Selbstreflexion, als auch vom freien Austausch der Meinungen im öffentlichen Miteinandersprechen und reflektierenden Ineinanderhineinversetzen der Bürger getragen wird.
Um jene unaufhebbare Pluralität von Welt und Existenz freizulegen, welche zugleich die von der metaphysischen Tradition verdeckte Keimzelle des Politischen und weltbürgerlichen im wörtlichen Sinne ausmacht, geht Arendt daher wiederholt auf einen Denker zurück, der gleichsam noch am Scheidepunkt der folgenreichen Trennung von Theorie und Praxis, von vita contemplativa und vita activa steht: Sokrates. Weil die weltbürgerliche Existenz nach Arendt – dem Vorbild des Sokrates folgend – in der Sphäre des Denkens und des Handelns gleichermaßen zu Hause sein soll,11 kann sie die Pluralität der Menschen in einer gemeinsamen Welt der Vielen reflektiert anerkennen, ohne ihr die Universalität eines globalen Kosmopolitismus überzustülpen. Im Unterschied zur weltbürgerlichen Existenz sokratischer Prägung bleibt der klassische Kosmopolitismus – mit dessen Universalismus stets ein gewisser ,Eurozentrismus’ einhergeht – ja der metaphysischen Illusion verhaftet, durch die Vernunft an keine konkrete politische Weltgemeinschaft (Polis) mehr gebunden und stattdessen im Seienden im Ganzen (Kosmos) beheimatet zu sein. Damit aber setzt sich der an allgemeinen Vernunftprinzipien orientierte Kosmopolitismus jener ‚Denker von Gewerbe‘, welche die abendländische Philosophie als Denken der Totalität geprägt haben, unweigerlich über die gemeinsame Welt menschlicher Angelegenheiten als Sphäre der Pluralität hinweg – wodurch er das eigentliche Wesen des Politischen nach Arendt geradezu bedroht. Anstatt die lebensweltliche Kluft zwischen Denken und Handeln, Philosophie und Politik erneut zu schließen und die Dualität beider Lebensformen aufzuheben, wird sie in der weltbürgerlichen Existenz sokratischer Prägung daher vielmehr nach gleichermaßen bestem Wissen und Gewissen neu befragt und ausgetragen.
Um Arendts sokratisches Ethos weltbürgerlicher Existenz im Lichte der Pluralität systematisch zu beleuchten, soll erstens auf ihr methodisches Vorgehen eines ‚Denkens ohne Geländer‘ eingegangen werden, das tradierte Denkmuster und Begriffsbestimmungen destruiert, um sie produktiv auf die relationale Pluralität des Menschen und seiner Welt hin abzubauen. Der zweite Teil schlüsselt Arendts Weltdenken von jener Pluralität des Erscheinens her auf, der das perspektivische und für den politischen Austausch unumgängliche ‚Mir scheint‘ (dokei moi) der griechischen doxa entspricht. Dabei soll herausgearbeitet werden, wie Arendt den platonischen Primat der Theorie vor der Praxis relativiert, indem sie die doxa in Anknüpfung an Sokrates gegenüber der episteme rehabilitiert. Darin klingt bereits jenes vielzitierte Spannungsverhältnis von Philosophie und Politik an, das in einem dritten Schritt anhand der Verurteilung des Sokrates skizziert und systematisch am Leitfaden der beide Bereiche miteinander verbindenden Urteilskraft rekonstruiert werden soll. Daraus ergeben sich viertens weitreichende Konsequenzen für das sokratische Ethos weltbürgerlicher Existenz, das sich nicht aus einer universalen Vernunft, sondern aus der ebenso denkerischen wie lebensweltlichen Praxis des reflektierenden Urteilens und der politischen Freundschaft speist.
1. ,Denken ohne Geländer‘: vom Paradigma der Identität zur Apologie der Pluralität
Was heißt Denken und was bringt uns überhaupt zum Denken? Wenn wir denken, wo befinden wir uns dann und wie denken wir oder worüber denken wir etwas? Wer genau ist dieses ‚wir‘ und was dieses ‚etwas‘?
Die in Arendts‘ Spätwerk neu aufgerollte Frage, was (uns) denken heißt, kann als eine Grundfrage okzidentalen Philosophierens bezeichnet werden, welche die philosophische Tradition seit ihren metaphysischen Anfängen herausgefordert hat. Dabei handelt es sich bekanntlich um eine Denktradition, die klassischerweise nach den ersten Gründen und Ursachen sowie den allgemeinsten Grundstrukturen oder obersten Prinzipien des Seins fragt.12 Als sogenannte ,erste Philosophie‘ (,prōtē philosophia‘), die sich allgemein mit dem Seienden als Seienden (to on hê on) beschäftigt, versteht sich die abendländischen Metaphysik seit ihren beiden Gründungsvätern Platon und Aristoteles zugleich als oberste Form des Wissens überhaupt.13 Weil diese ,erste Philosophie‘ die letzten Ursachen und obersten Prinzipien des Seienden schlechthin zum Gegenstand hat, die als solche metá ta physiká liegen, d.h. gleichsam hinter den sinnlich wahrnehmbaren Erscheinungen zu suchen sind oder über das physisch Wirkliche hinausgehen, ist ihr bekanntlich der treffende Name ‚Metaphysik‘ zugewachsen.
Folgt man dieser metaphysischen Grundausrichtung der Philosophie, dann gründen Unterscheidbarkeit, Verstehbarkeit und Wahrheit all dessen, was ist, im anfänglichen Prinzip einer ursprünglichen Einheit, die bereits in dem berühmten Lehrgedicht des Parmenides anklingt: to gar auto noein estin te kai einai - „denn dasselbe ist Denken und Sein.“14 Darin spricht sich eine ontologische Selbigkeit aus, die es den Philosophierenden erlauben soll, sich von ihren täuschungsanfälligen Meinungen (doxai) über das Seiende freizumachen, um es wissend als das zu erkennen, was es seinem Wesen nach ist. Diese Selbigkeit impliziert, dass überall dort, wo gedacht wird, etwas (ti) und also ein Seiendes (on) gedacht wird: Chrē to legein te noein t’ eon emmenai: esti gar einai, mēden d’ ouk estin – „Nötig ist zu sagen und zu denken, daß nur das Seiende ist; denn Sein ist, ein Nichts dagegen ist nicht; das heiße ich dich.“15 In diesem Sinne heißt (uns) Denken, eben gerade das, was ist, d.h. ein Seiendes oder etwas zu denken; wer hingegen kein Seiendes, nicht eines oder etwas denkt, der denkt in der Tat nichts oder – was dasselbe ist – überhaupt nicht. Im Denken lässt sich demnach immer nur das aussagen, was etwas ist und also in irgendeiner Art und Weise als Selbstidentisches erkennbar ist: das Nichtseiende aber lässt sich schlechterdings nicht denken.16 Um überhaupt etwas zu denken und nicht vielmehr nichts, muss man also zugleich etwas Einheitliches im Mannigfaltigen denken, das unter allen kontingenten Umständen und durch den Wirbel der Zeit hindurch als es selbst und in seinem Sinn fixiert werden kann. Zum metaphysisch bestimmten Denken des Menschen, der Platon und Aristoteles zufolge ‚von Natur aus‘ nach Wissen (episteme) oder systematischer Erkenntnis des Seiendem als solchem und im Ganzen strebt,17 gehört somit der wesentliche Bezug auf eine unveränderliche Einheit in der Vielheit. Um das Seiende als Seiendes in seiner Anwesenheit – das heißt im Unterschied zum bloßen Werden und zum schier Nichtseienden – denkerisch in den Blick nehmen zu können, muss die Mannigfaltigkeit alles Wirklichen auf ein einheitliches Wesen (ousia) oder intelligibles Sein (einai) zurückgeführt werden, das als tragender Grund (archē) der Wirklichkeit bestimmbar und allein durch erfahrungsunabhängige Vernunft (lógos) erschaubar ist.
Der Weg der Philosophie, der vom anfänglichen Staunen zum wahren Wissen der ersten und letzten Dinge führen soll, wurde in der metaphysischen Tradition daher stets als ‚Rückgang zum Selben‘ oder ,Aufstieg zum Einen‘ zu beschreiten versucht. Von Anfang an hat das begriffliche Denken der abendländischen Metaphysik, in der die ontologische Frage nach dem Sein von Mensch und Welt erstmals ausdrücklich gestellt und mit den der Vernunft zugänglichen Grundprinzipien des Seienden als solchem und im Ganzen in Verbindung gebracht worden ist, sich im Rückgriff auf das Identische entfaltet. Die Mannigfaltigkeit des Seienden im Ganzen kann als solche ja nur gedacht, d.h. kategorial ausgesagt und in ihrem substanziellen Wesen erfasst werden, indem sie unter allgemeine Begriffe subsumiert und auf ein ihr zugrunde liegendes Einheitsprinzip zurückgeführt wird.18 Demgemäß hat der über das einzelne Seiende hinaus- und aufs Ganze des Seienden ausgreifende lógos der abendländischen Metaphysik nicht nur die Naturerscheinungen des wohlgeordneten Kosmos auf eine ihnen innewohnende Zweckmäßigkeit befragt, sondern auch selbst das telos verfolgt, alles in seinem Wesen zu begreifen und auf seinen allgemeinen Begriff zu bringen. Am Leitfaden der Kausalität, dem der nach Erkenntnis des Wahren und Guten strebende ‚theoretische Mensch‘ (Nietzsche) der alteuropäischen Tradition Kraft seines ordnenden Verstandes folgt, sollte alles Seiende auf seine metaphysischen Anfangsgründe zurückverfolgbar und im Horizont des Selben gegenwärtigbar gemacht werden.
Mit dem Aufkommen der Metaphysik im antiken Griechenland ist somit ein am Ideal der theoretisch-wissenschaftlichen Erkenntnis ausgerichtetes Denken des Seins als Präsenz auf den Weg gebracht, das nicht nur den philosophischen Diskurs, sondern auch unser menschliches Selbstbild und unsere alltägliche Lebenswelt bis heute maßgeblich prägt. Alles, was gedacht wird oder zu Denken gegeben ist, erschiene dann nach Maßgabe einer Identität, die dem nach Sinnerfüllung und Wahrheit strebenden lógos als Richtschnur bei der Erlangung und Fundierung von Erkenntnis dient. Allerdings sind damit bereits implizite ontologische Voraussetzungen im Spiel oder theoretische Vorentscheidungen getroffen, die erst im Rahmen eines dezidiert metaphysikkritischen oder ,nachmetaphysischen‘ Denkens ans Licht gekommen sind und die von der metaphysischen Tradition als solche nicht mehr eingeholt werden können. Um der in der Identität von Denken und Sein bestehenden Wahrheit habhaft zu werden, musste das Denken sich immer wieder aufs Neue der Reinheit und Einheit eines lógos versichern, der sich stets zu einer geschlossenen Ordnung von binär-hierarchisch organisierten Begriffspaaren – wie Sein und Nichts, Geist und Materie, Endlichkeit und Unendlichkeit, Subjekt und Objekt, Theorie und Praxis etc. – zu verschließen droht, indem er das eine dem anderen unterordnet oder es ganz aus sich ausschließt. Der Vielfalt des in Raum und Zeit Erscheinenden, das als solches dem Wandel der Erfahrung und der Kraft des Zufalls unterworfen ist, wird dabei ein höchstes oder allgemeinstes, unbedingt wahres und notwendiges Seiendes untergeschoben, das in seiner Transzendenz und Stetigkeit rein bleiben und vor jeder Kontamination durch das Faktische und Kontingente geschützt werden muss.19 Um sich als Ontologie, die das Sein selbst in seiner Identität mit dem Denken sagt, legitimieren und behaupten zu können, muss die Metaphysik in einem konstitutiven Ausschluss daher all dasjenige ausgrenzen, was nicht in ihr aufgeht und ihrem klassischen, längst auch für die positiven Einzelwissenschaften leitend gewordenen Anspruch auf Wahrheit, Allgemeinheit und Notwendigkeit widerspricht. Das paradoxe Los der Geschichte der Metaphysik und der episteme scheint es zu sein, gerade dasjenige zu vergessen oder zu verdrängen, was sie vereinnahmen oder unterdrücken musste, um sich als solche überhaupt erst konstituieren zu können. Aus der Keimzelle des Identischen hat sich so ein am Ideal der ,vita contemplativa‘ orientiertes Denken des Seins als Präsenz entfaltet, welches – Platons paradigmatischer Bestimmung im Sophistes gemäß – das notwendige und wahre Sein mit dem beständigen Guten und Einen, das Nicht-Sein hingegen mit dem kontingenten und unbeständigen Anders-Sein des Mannigfaltigen identifiziert.
Gerade dieser Primat des unveränderlichen Selben und Einheitlichen vor dem unsteten Anderen und Vielen in der theoretischen Einstellung zur Welt ist es, der den lógos der metaphysischen Philosophie – in welcher Grundgestalt (Idee, Substanz, Subjektivität, Wille zur Macht usw.) er sich selbst im Verlauf seiner Geschichte auch erschienen sein mag – wesentlich auszeichnet. Längst hat die okzidentale Philosophie all-umfassende Systementwürfe und beeindruckende Gedankengebäude hervorgebracht, die alle Phänomene der Welt begrifflich einzuholen versuchen, um sie einer in sich geschlossenen Ordnung des Selben einzugliedern. An die Stelle eines eigenständigen metaphysischen Grundprinzips ist mit dem Anbrechen der Neuzeit ein selbstgenügsames und selbsttransparentes Ich-Subjekt getreten, das der episteme nunmehr als unumstößliche Erkenntnis- und Seinsgrundlage dienen sollte: Ein von Descartes als res cogitans vorgestelltes Ego, das sich von der reichhaltigen Fülle der Welt gerade abkapselt, um sich zum ‚maitre et possesseur de la nature‘ aufzuschwingen und Herrschaft über sie zu erlangen.20
Diese Zentrierung des sich methodisch absichernden Denkens der Präsenz auf die universalen Grundprinzipien eines selbstpräsenten und selbstgründenden lógos aber, der stets das Viele zusammen- und auf das Eine zurückführt, kommt nicht ohne historische Kosten aus. Indem sie alles Seiende unter einheitliche Prinzipien ordnet, die als Allgemeinstes des Besonderen das Wirkliche alles Wirklichen ausmachen, tendiert die synthetisierende Vernunft dazu, das Nichts dem Sein, das Kontingente dem Notwendigen und die Differenz der Identität unterzuordnen. Dadurch aber kann sie dem in sich differenzierten Vielen sowie dem an sich fremden Anderen nur habhaft werden, indem sie es in der reinen Selbstgegenwart eines sich selbst durchsichtigen lógos vergegenwärtigt und von der universalen Sichtweise des Selbigen her sehen lässt. Das Andere des Denkens selbst zu denken, bedeutet dann immer schon, es vom objektivierenden Gesichtspunkt des Identischen und Eigenen aus in den Blick zu nehmen, um es intentional zu fixieren oder zu identifizieren – und die Vielfalt menschlicher Angelegenheiten damit auf das Selbe zu reduzieren.21
Mit Hannah Arendt betritt im 20. Jahrhundert eine Denkerin die Bühne der Welt, die am Ende der skizzierten Traditionslinien der abendländischen Metaphysik steht. In kritischer Auseinandersetzung mit der darin überlieferten Zwei-Welten-Theorie, welche die Pluralität faktischer Weltzugänge zu transzendieren und zu nivellieren versucht, stellt Arendt den damit einhergehenden Primat der Theorie vor der Praxis, des Bewusstseins vor dem Sein radikal in Frage, um dem Paradigma der Identität eine Apologie der Pluralität entgegenzusetzen. Ausgehend von den Schreckenserfahrungen des Totalitarismus reagiert Arendt damit auf einen doppelten Bruch, der nicht nur für die mitunter ,traumatische‘ Erfahrung der Moderne, sondern auch für die damit einhergehende Neuverortung des Denkens ‚zwischen Vergangenheit und Zukunft‘ charakteristisch ist: den des Traditions- und Geschichtsbruchs.22 Zum einen nötigt die ‚totale Politik‘ des Totalitarismus, welche die Entfaltungsmöglichkeiten der menschlichen Pluralität durch Terror, Vernichtungskriege und Völkermorde geradezu im Keim erstickt hat, zu einer verantwortungsbewussten Neuausrichtung der politischen Praxis. Zum anderen geht Arendt traditionskritisch davon aus, dass damit auch „der Ruin unserer Denkkategorien und Urteilsmaßstäbe ans Licht gebracht worden“23 sei. Dem nachmetaphysischen Denken, das sich nicht mehr vorbehaltlos auf einen vermeintlich neutralen und universalen lógos stützen, noch (wie dies laut Arendt im 19. Jahrhundert bei Kierkegaard, Marx und Nietzsche der Fall war)24 auf eine einfache Umkehrung der tradierten begrifflichen Gegensätze oder moralischen Wertvorstellungen hoffen kann, ist dadurch in der Tat jedes Halt und Orientierung gebende ,Geländer‘ abhanden gekommen.25
Weil die Geschichtlichkeit für Arendt aber auch nach diesem doppelten Bruch noch eine eigene „Tiefendimension“26 des menschlichen Lebens bleibt, die auf ein Bewahren und Weitergeben von Traditionsbeständen in der Weltöffentlichkeit angewiesen bleibt,27 darf ihre Neuverortung von Denken und Politik keineswegs mit einer schlichten Relativierung oder bloßen Abschüttelung des Vergangenen verwechselt werden. Gerade weil im Totalitarismus jedes angemessene Maß des Urteilens und Handelns abhanden gekommen ist, wendet Arendt sich antiken Denkern zu. Ihr ‚Denken ohne Geländer‘ kann daher näher als Versuch charakterisiert werden, überkommene Begriffsmuster und Denkschemata phänomenologisch auf die ihnen verdeckt zugrunde liegenden und sedimentierten, aber ursprünglich motivgebenden Erfahrungen hin abzubauen. Es zielt darauf ab, „unbelastet und ungeleitet von jeder Tradition, die Vergangenheit mit neuen Augen [zu] sehen und damit an einen ungeheuren Schatz unbearbeiteter Erfahrungen heran[zu]kommen, ohne an irgendwelche Behandlungsvorschriften gebunden zu sein.“28 Es geht Arendt folglich keineswegs um eine bloße Überwindung der metaphysischen Denktradition und ihrer Wahrheiten, welche sich bloß negativ auf das Vergangene beziehen würde, sondern vielmehr um eine (re)konstruktive Neubelebung, die das Denken auf absolute Wahrheitsansprüche verzichten lässt und es stattdessen an sinnlich ausweisbare, in der metaphysischen Tradition verschüttete Erfahrungen rückbindet. An Kants grundlegende Einsicht anknüpfend, dass Gedanken ohne Anschauung leer und Anschauungen ohne Begriff blind sind,29 geht Arendt ganz im Sinne der Phänomenologie davon aus, „dass das Denken aus Geschehnissen der lebendigen Erfahrungen erwächst und an sie als die einzigen Wegweiser, mit deren Hilfe man sich orientiert, gebunden bleiben muss.“30 Selbst die „metaphysischen Trugschlüsse“ einer sich über die Pluralität des Menschen hinwegsetzenden Denktradition der sogenannten ‚Denker von Gewerbe‘ erweisen sich so als äußerst aufschlussreich: für Arendt liefern sie geradezu „die einzigen Hinweise darauf, was Denken denen bedeutet, die es betreiben.“31 Auf diese Weise fordern sie geradezu dazu auf, Situation und Existenzbedingungen der im Handeln und Sprechen allererst offenbar-werdenden Menschen neu zu erschließen und diese schließlich auch auf ihre unsichtbaren geistigen Tätigkeiten hin zu befragen. Dazu gehört nicht zuletzt auch die allen Menschen zugängliche, gleichsam unbedingte Erfahrung des Denkens selbst, die sich der bedingenden Welt der Erscheinungen entzieht und in der sich das denkende Ich vorläufig aus ihrer jeweiligen Ordnung zurückzieht, um in kritischer Distanz zu ihr zu einem wohlbegründeten und handlungsleitenden Urteil zu gelangen.
Vielleicht noch wichtiger als das Was, ist für Arendt dementsprechend das im Unterschied zur vita activa als Eigenleben des Geistes zu untersuchende Wie des Denkens, dass sich ihr – ähnlich wie schon Heidegger – als eine Art ,Ungedachtes‘ im Gedachten zu denken gibt. Wie Arendt über ihren früheren philosophischen Lehrer in Erinnerung ruft, habe Heidegger „gerade weil ihm der Faden der Tradition gerissen ist, die Vergangenheit neu entdeckt“32 indem er phänomenologisch zwischen bloßen ,gelehrten Gegenständen‘ und den ‚gedachten Sachen‘ selbst unterschieden hat. Vor diesem Hintergrund kann Arendt den ambivalenten Traditionsverlust der Moderne auch als eine „Tatsache“ kennzeichnen, „die als solche nicht mehr Bestandteil der ‚Ideengeschichte‘, sondern unserer politischen Geschichte, der Geschichte unserer Welt“33 ist.
Nachdem der ‚Ariadnefaden‘ der Tradition, an dessen Richtschnur entlang das Vergangene sich noch bruchlos in die jeweilige Gegenwart tradieren ließ, gleichsam zerschnitten ist,34 lassen sich aus den Trümmern der Geschichte zwar nur noch einzelne ,Bruchstücke‘ des Gedachten ohne feste Behandlungsvorschriften und ,Bewertungsgewissheit‘35 auflesen; doch eröffnet sich gerade dadurch die Möglichkeit, die Bruchstücke aus gewohnten Auslegungsbahnen zu befreien und dergestalt neu zusammenzufügen, dass sich ein neuer und ,wirklichkeitsgetränkter‘ Bezugsrahmen menschlicher Existenz und Urteilskraft bildet, der sich aus den reichhaltigen Quellen lebensweltlicher Erfahrungen speist. Was Arendt über die großen Revolutionäre des 18. Jahrhunderts schreibt, lässt sich daher auch für ihre eigene denkerische Aneignung der alteuropäischen Tradition geltend machen: „Sie wandten sich an die Antike nicht aus Traditionsbewusstsein, sondern, im Gegenteil, weil ihnen klar war, dass sie dort etwas entdecken würden, was die Tradition ihnen nicht überliefert hatte.“36 Dieses Vorgehen aber entspricht per Analogie durchaus Heideggers ,Wiederholung‘ der Seinsfrage und der für Arendt damit einhergehenden ,Revolution des Denkens‘. In diesem Sinne versucht auch Arendt selbst „die totgeglaubten Bildungsschätze der Vergangenheit“ wieder zum Sprechen zu bringen und für die dringlichen Probleme der Gegenwart fruchtbar zumachen, „wobei sich herausstellt, dass sie ganz andere Dinge hervorbringen, als man misstrauisch vermutet hat.“37
Einen wesentlichen Bezugspunkt bildet dabei die selbst nur bruchstückhaft zugängliche und zuvorderst durch Platon vermittelte Erfahrung des sokratischen Denkens und Lebens, in der Arendt sowohl philosophische, als auch ethisch-politische Ansatzpunkte zur Neuorientierung der menschlichen Existenz im Plural ausfindig macht, um den Ruin unserer Urteilsmaßstäbe und die totalitaristischen Tendenzen der modernen Welt zu verwinden. Wie im Folgenden deutlich werden soll, nimmt ihr Denken ohne Geländer dabei die konkrete Gestalt einer ,Demontage‘ der Metaphysik an, die zur phänomenologischen Freilegung einer ursprünglichen Pluralität des Erscheinens dient. ‚Pluralität‘ hat dabei nicht nur eine politische, sondern auch eine phänomenologisch-ontologische Ursprungsdimension, die beide in der von der menschlichen Existenz im Plural aus erschlossenen Welt zusammenlaufen und so den im Folgenden näher zu untersuchenden Entfaltungshorizont für das anschließend herauszustellende sokratische Ethos weltbürgerlicher Existenz bei Arendt bilden.
2. Arendts Phänomenologie der politischen Welt als öffentlicher Erscheinungsraum pluraler Existenzen
Arendts geschichtsphilosophische Diagnose, dass der Faden der Tradition nach ihrem epochalen Bruch unwiderruflich ,gerissen‘ und das Vergangene für uns nunmehr ,zerstückelt‘ ist, verlangt nach einer neuen und „eigenen Methode,“38 wie es im ersten Teil der posthum veröffentlichten Vorlesung Vom Leben des Geistes heißt, der sich mit dem Denken beschäftigt. Weil der Mensch nach Arendt „ein denkendes und handelndes Wesen in einem ist,“39 muss diese Methode aber selbst eine politik-philosophische sein, die beiden Seiten der menschlichen Existenz Rechnung trägt. Wenngleich Arendt – deren interdisziplinäre ‚Grenzgänge‘ sich jeder vereinheitlichenden Theoriebildung entziehen – am Ende der Vorlesung zugibt, auf diese Methode ihres Denkens „nur am Rande“40 eingegangen zu sein, kann sie ihr eigenes Vorgehen doch ausdrücklich als ,Demontage‘ kennzeichnen. Damit reiht sie sich – in Anspielung auf Heidegger – selbst in die Riege derjenigen ein, „die jetzt schon einige Zeit versuchen, die Metaphysik und die Philosophie mit allen ihren Kategorien, wie wir sie seit ihren Anfängen in Griechenland bis auf den heutigen Tag kennen, zu demontieren.“41
Methodisch an Heideggers philosophisches Programm einer ‚Destruktion der Geschichte der Ontologie‘ anknüpfend und dieses zugleich thematisch überschreitend,42 erschüttert Arendt die metaphysischen Grundbegriffe und ‚Trugschlüsse‘, um die von ihnen verdeckte phänomenale Ursprungsdimension der Pluralität sichtbar zu machen und diese in sowohl politiktheoretischer als auch existenzphilosophischer Hinsicht zu deuten. Im Unterschied zu Heideggers Destruktion des überlieferten Seinsverständnisses zielen Arendts Demontagen folglich immer auch darauf ab, die metaphysischen Konstellationen des Politischen, die zur Verdeckung der Pluralität und zum Verfall der politischen Praxis geführt haben, produktiv abzubauen und zugleich auch die klassischen Topoi der Philosophie – wie Sein, Existenz und Denken – unter politischen und handlungstheoretischen Gesichtspunkten neu zu erschließen.43 Sofern die durch Demontage sichtbar zu machende Pluralität beide Wesensbereiche der menschlichen Existenz betrifft, macht sie es möglich, das Handeln vom Standpunkt des Denkens sowie das Denken vom Standpunkt des Handelns aus neu in den Blick zu nehmen. Dadurch aber ergibt sich ein anderer Blick auf die neu aus(einander)zulegende metaphysische Tradition, der sich nicht mehr im Horizont der Seinsfrage einschließen lässt, sondern die klassischen Texte der Philosophie vor dem Hintergrund der Dualität von Denken und Handeln neu befragt und letztlich auf die phänomenologische Grundkonzeption von Pluralität zurückführt. Was also hat es mit Arendts‘ Phänomenologie der Pluralität, welche sich sowohl in der sichtbaren und welthaften Sphäre des Handelns, als auch in der unsichtbaren und weltverlorenen Sphäre des Denkens bekundet, genau auf sich?
Bereits in ihrem theoretischen Hauptwerk Vita Activa, in dem das praktische Tätigsein des Menschen im Hinblick auf die Grundbedingungen und Grunderfahrungen seiner welthaften und weltoffenen Existenz untersucht wird, betont Arendt die unhintergehbare conditio humana der Pluralität. Darunter versteht sie zunächst das phänomenologisch in seinem Sinn aufzuklärende Faktum, „dass nicht ein Mensch, sondern viele Menschen auf der Erde leben und die Welt bevölkern.“44 Weil es sich dabei um eine irreduzible, d.h. nicht auf eine Einheit reduzierbare Vielheit an faktischen Perspektiven auf die phänomenale Welt handelt, die alle in ihrer eigenen Art einzigartig sind, schließen Pluralität (Vielheit), Egalität (Gleichheit) und Singularität (Einzigartigkeit) der Menschen sich nach Arendt nicht aus, sondern implizieren einander. Die unumstößliche Tatsache der Pluralität gibt zu denken, dass der Mensch als solcher nirgends existiert, sondern stattdessen stets nur jeweils singuläre Menschen im Plural koexistieren, deren gemeinsamer Erscheinungsraum und Bezugsrahmen die intersubjektiv geteilte Welt der Vielen unter Gleichen bildet.
Arendt geht davon aus, dass es innerhalb der Mannigfaltigkeit des Seienden „nur dem Menschen eigen“ ist, „sich selbst von Anderen zu unterscheiden“, um im Sprechen und Handeln dergestalt offenbar zu werden, dass sich sein singuläres und personales, nicht in ein bestimmtes Was überführbares Wer mit-offenbart. Um aber überhaupt als derjenige Einmalige und Einzigartige in Erscheinung treten zu können, wer man als Individuum ist und sich selbst in seiner eigenen Existenz durchsichtig zu werden, ist der exponierte Mensch darauf angewiesen, unter anderen Menschen zu erscheinen. Als jemand zu erscheinen aber bedeutet, auf der öffentlichen ,Bühne‘ der Welt von seinen koexistierenden Mitmenschen als potentiell gemeinschaftlich Handelnder wahrgenommen und angesprochen zu werden: „Handelnd und sprechend offenbaren die Menschen jeweils, wer sie sind, zeigen aktiv die personale Einzigartigkeit ihres Wesens, treten gleichsam auf die Bühne der Welt.“45 Dieses erstpersonale Wer oder ,Wer-jemand-ist‘, das als solches die unfassbare Einzigkeit des Einzelnen ausmacht, offenbart sich Arendt zufolge bei allem, was wir sagen oder tun und damit beim öffentlichen In-Erscheinung-treten vor anderen unwillkürlich und unthematisch mit, wodurch es sich zugleich jeder thematischen Fixierung und damit der freien Verfügungsgewalt des Menschen entzieht.46 Die ureigene Persönlichkeit und absolute Einzigkeit jedes Einzelnen zeigt sich somit immer nur unter den Blicken der Anderen, die als Individuum wiederum selbst auf das Wahrgenommenwerden von wieder Anderen in der pluralen Öffentlichkeit der Welt angewiesen sind.
Dementsprechend zielt Arendts Phänomenologie der Pluralität auf das konstitutive Zwischen einer vom öffentlichen Erscheinen aus bestimmten Intersubjektivität, das als Konnex der Welt die Grundbedingung des menschlichen Handelns und Sprechens darstellt. Die Pluralität macht nach Arendt daher nicht nur die conditio sine qua non, sondern auch die conditio per quam jeder politischen Praxis aus.47 Um Arendts in sich differenzierte Konzeption von Pluralität systematisch zu rekonstruieren und ihre Tatsächlichkeit phänomenologisch ausweisen zu können, muss daher zunächst ihr eigenes Verständnis von Welt als multiperspektivisches ,Bezugsgewebe menschlicher Angelegenheiten‘ nachvollzogen werden, die als intersubjektiv hergestellter und interpersonal erschlossener Erscheinungsraum zugleich den politischen Entfaltungsort von Pluralität ausmacht. Dadurch kann deutlich werden, wie Arendts phänomenologische Befragung von Welt die ,Zwei-Welten-Theorie‘ der metaphysischen Tradition gleichsam mit Sokrates gegen Platon demontiert, um ein plurales Verständnis von Sein und Mensch-sein zu gewinnen, das ihrem sokratischen Ethos weltbürgerlicher Existenz zugrunde liegt.
Wie bereits vielfach gezeigt werden konnte, greift Arendts Pluralitäts- und Weltdenken insbesondere auf Heideggers existenzialontologische Analysen des In-der-Welt-seins und Mit-seins aus Sein und Zeit sowie auf die darin gestellte Frage nach dem ,Wer des Daseins‘ zurück, indem sie diese jedoch entscheidend modifiziert und politisiert. Da die elementare Pluralität den Menschen an seine unhintergehbare Perspektivität bindet, geht auch Arendt von subjektiven Erfahrungen phänomenaler Sinn-Zusammenhänge aus, die wir in der Ersten-Person-Perspektive machen und die keineswegs auf das reduziert werden können, was objektiv aus einer unabhängigen Dritten-Person-Perspektive beschreibbar und naturwissenschaftlich verifizierbar ist. Wirklichkeit kommt nach Arendt nur demjenigen zu, was als etwas erscheint, um von anderen genau wie von uns selbst als solches wahrgenommen zu werden. Dadurch aber sind Sein und Erscheinen in der Welt ein und dasselbe, wie Arendt im ersten Band Vom Leben des Geistes betont: „Es gibt in dieser Welt nichts und niemanden, dessen bloßes Sein nicht einen Zuschauer voraussetzte. Mit anderen Worten, kein Seiendes, sofern es erscheint, existiert für sich allein; jedes Seiende soll von jemandem wahrgenommen werden. Nicht der Mensch bewohnt diesen Planeten, sondern Menschen. Die Mehrzahl ist das Gesetz der Erde.“48
Vom Grundphänomen dieser ontologischen Pluralität des Erscheinens ausgehend, betont sie dabei noch deutlich stärker als Heidegger die konstitutive Bedeutungsdimension der ersten Person plural, durch welche der Mensch als zoon politikon im gemeinschaftlichen Wir einer gemeinsamen Lebenswelt erst als öffentliche Person im Handeln und Sprechen sichtbar wird. Arendts phänomenologische Grundkonzeption von Pluralität erschöpft sich somit keineswegs in der bloßen Feststellung menschlicher Perspektivität (was leicht in einen allzu skeptischen Perspektivismus oder nihilistischen Relativismus münden würde), sondern zu ihr gehört wesentlich die interpersonale Phänomenalisierung der eigenen Perspektive im Voreinander-Erscheinen sowie die politische Aktualisierung der Pluralität an verschiedenen Perspektiven im Miteinander-Sprechen und -Handeln. Pluralität besteht somit in der Faktizität inkommensurabler Perspektiven auf Erscheinendes, denen sich die gemeinsame Welt je unterschiedlich eröffnet und die sich als solche nicht aufeinander reduzieren oder auseinander herleiten lassen.49
Das perspektivische Erfassen von Welt, ,wie sie sich mir eröffnet‘, ist nach Arendt somit keineswegs Gegenstand und Aufgabe der seit Platon auf objektive und absolute Wahrheit abzielenden episteme, die an keine konkrete Perspektive in der Welt mehr gebunden ist, sondern vielmehr des Wettstreits der pluralen doxai, die sie mit Sokrates gegenüber dem platonischen Primat der Wahrheit rehabilitiert. In der Welt der Erscheinungen kann es weder ein transzendentes Wahrheitskriterium, noch ein ,sichtbares Erkennungszeichen‘ geben, dass uns Wahrheiten eindeutig von Meinungen abheben ließe.50 So heißt es in Arendts Vortrag zu Sokrates aus dem Frühjahrssemester 1954, die um das Spannungsverhältnis von Philosophie und Politik, von Wahrheit und Meinung kreist, dass für Sokrates „die doxa wie für seine Mitbürger der sprachliche Ausdruck dessen [war], was dokei moi – mir scheint.“51 Welt offenbart sich im dokei moi (‚Mir scheint‘/‚Es-scheint-mir‘), das selbst nur im Wahrnehmungsgeschehen und politischen Austausch mit anderen Meinungen welthafte Wirklichkeit erlangt. Wer hingegen „innerhalb des Bereichs menschlicher Angelegenheiten“, d.h. der Welt, einen allgemeinen Anspruch aus absolute Wahrheit erhebt, „die von den Meinungen der Menschen unabhängig zu sein vorgibt,“ legt nach Arendt bereits „die Axt an die Wurzeln aller Politik.“52 Erst in „der gleichzeitigen Anwesenheit zahlloser Aspekte und Perspektiven,“ die sich untereinander ansprechen, indem sie sich als ‚bloße‘ doxai aussprechen und für die es deshalb keinen transzendenten „gemeinsamen Maßstab und keinen Generalnenner je geben kann,“53 wird vielmehr so etwas wie objektive Wirklichkeit und normative Verbindlichkeit gestiftet. Und noch darüber hinaus: Je mehr plurale Perspektiven eine Gemeinschaft zulässt, die sich als Meinungen untereinander austauschen, desto ‚weltoffener‘ wird sie. Weil das perspektivische ,Mir scheint‘ der doxa darauf abzielt, innerweltlich Erscheinendes für mich und die Anderen offenbar werden zu lassen und im gemeinsamen Streitgespräch thematisch zu machen, handelt es sich nach Arendt weder um „subjektive Fantasterei und Willkür,“ noch um „etwas absolutes und Allgemeingültiges.“54 Die sokratische Annahme und eigentliche Grundvoraussetzung jedes echten Dialogs sei es vielmehr,
dass sich die Welt jedem Menschen verschieden eröffnet, je nach seiner Stellung in ihr, und dass die ‚Gleichheit‘ der Welt, ihre Gemeinsamkeit (koinon, wie die Griechen sagten: allen gemein), ihre Objektivität (wie wir vom subjektiven Standpunkt der modernen Philosophie aus sagen würden) sich daraus ergibt, dass sich ein und dieselbe Welt jedem anders eröffnet und dass trotz aller Unterschiede zwischen den Menschen und ihren Stellungen in der Welt – und insofern ihren doxai, ihren Meinungen - ‚du und ich beide Menschen sind‘.55
Daran wird bereits deutlich, dass Menschsein und Wirklichsein im Plural für Arendt vom wesentlich gemeinsamen In-der-Welt-sein her verstanden werden welches im öffentlichen Erscheinen und Austausch der Meinungen bereits eine grundlegende politische Dimension erhält. Welt meint dann keine vorhandene Totalität, die menschenunabhängig an sich bestehen und uns einfach neutral gegenüber stehen würde, sondern vielmehr ein sinnhaftes und dynamisches Bezugsgewebe, in das wir als Sprechende und Handelnde mit anderen ,von dieser Welt‘ je schon eingelassen sind. Einerseits kennen wir uns als diejenigen Menschen, die wir auf Grund unserer personalen Identität jeweils konkret sind, immer nur in der Welt. Andererseits konstituiert und aktualisiert Welt sich als gemeinsame Mitwelt stets nur in interpersonaler Mitsprache der sie ,bewohnenden‘ und in ihr handelnden Menschen und somit im performativen Mitvollzug der Pluralität.
Daraus ergibt sich eine politische Konzeption des menschlichen Selbst- und Mitseins in der Offenbarkeit der Öffentlichkeit: Insofern sich das endliche Dasein des Menschen durch seine in der doxa mitgeteilte Weltoffenheit und Weltzugehörigkeit auszeichnet, darf es nicht mehr als ein vorhandenes und der Vielheit substanziell zugrunde liegendes Ich-Subjekt vorgestellt werden, das gleichsam allein für sich existieren und sich dann nachträglich auch auf seine Mitmenschen und Umwelt beziehen würde. Insofern das Mensch- und Personsein des je-meinigen Daseins sich gerade keiner verborgenen Innerlichkeit, sondern dem öffentlichen Vor-und-mit-anderen-Erscheinen im erschaffenen Erscheinungsraum einer gemeinsamen Welt verdankt, kann Arendt es in der Vita activa als ein im Austausch der doxai mit seinen Mitdaseienden erst hervortretendes und je schon pluralen Ansprüchen ausgesetztes ,inter homines esse‘ kennzeichnen.56 Dadurch wird auch das eigentliche Selbstseinkönnen des menschlichen Daseins an die Möglichkeit gebunden, als ein konkretes Wer, d.h. als menschliche Person mit allgemeinen Freiheits- und Gleichheitsansprüchen auf der öffentlichen Bühne der Welt zu erscheinen und diskursiv mit Anderen zu streiten. Zur Pluralität gehört daher der immer wieder neu zu erstreitende Anspruch auf Gleichheit in der Vielheit. Zusammenfassend gesagt, bezeichnet das verbal (und keineswegs als abstrakte anthropologische Grundbestimmung) aufzufassende, vom öffentlichen Anwesen vor und mit Anderen verstandene Wesen des Menschen nach Arendt – wie es bei Loidolt treffend heißt – keine weltlose „essentia im Singular,“ sondern eine welthafte „existentia im Plural.“57
Diese starke Betonung der gemeinsamen Welt als öffentlicher Erscheinungs- und Handlungsraum pluraler Existenzen bedeutet jedoch keineswegs, dass es für Arendt nicht zu einer Entfremdung von Welt und damit zu einem Verlust von Wirklichkeit in der Überdeckung von Pluralität kommen könnte.58 Vielmehr ist die fragile und im öffentlichen Austausch der Meinungen offen zu haltende Sphäre des Politischen einer doppelten Gefahr ausgesetzt, die uns vor den pluralen Ansprüchen der anderen zu verschließen droht und jedes politische Handeln bedroht. Zum einen ist es durchaus möglich – und bis heute bedauerlicherweise auch durchaus gängige Praxis – die innerhalb der politischen Welt gemeinsam aufgedeckten Tatsachen der geteilten Wirklichkeit zu leugnen und die Vielfalt der doxai durch bloße Ideologien zu ersetzen. Zum anderen gibt es eine dem Handeln abgewandte und dem Denken zugewandte, jeden konkreten Welthorizont gleichsam übersteigende Existenzweise, welche die pluralen Meinungen durch absolute Wahrheiten zu ersetzen versucht und damit bereits den Bereich menschlicher Angelegenheiten verlässt: jene anfangs erörterte und in der vita contemplativa beheimatete Philosophie, die als metaphysisches Denken des Seienden im Ganzen (Kosmos) aufs Engste mit dem Kosmopolitismusgedanken verknüpft ist. Arendts politiktheoretische Kritik an der okzidentalen Philosophie, welche die Polis dem Kosmos unterordnet, führt allerdings keineswegs zwangsläufig dazu, den Kosmopolitismus als solchen zu verwerfen. Wie sich im Rückgang auf den vor-platonischen Denker Sokrates zeigt, kann der Kosmopolitismus klassischer Prägung nach Arendt vielmehr auf ein Ethos weltbürgerlicher Existenz abgebaut werden, welches die weltlose ,Ortlosigkeit des Denkens’ aufsucht, ohne dabei die grundlegende Rückbindung der gemeinschaftlich Existierenden an die plurale Welt der menschlichen Angelegenheiten (Polis) zu verleugnen.
3. Das Beispiel des Sokrates: zum Spannungsverhältnis von Philosophie und Politik im Hinblick auf das Bindeglied der Urteilskraft
Hatte Arendt in der Vita activa noch ausführlich das tätige Leben der Menschen unter den praktischen Aspekten des Arbeitens, Herstellens und Handelns untersucht und dabei insbesondere die politische Bedeutung des Handelns in der Mitwelt herausgestellt, geht sie in ihrem Fragment gebliebenen Spätwerk Vom Leben des Geistes näher auf die unscheinbaren Tätigkeiten des Denkens, Urteilens und Wollens ein,59 wobei gerade dem Denken und Urteilen eine zentrale Bedeutung für das in ihrem Werk sich abzeichnende sokratische Ethos weltbürgerlicher Existenz zukommt. In Abgrenzung von den sogenannten ,Denkern von Gewerbe‘, die sich – ganz im Sinne der platonischen periagoge – von der Sinnenwelt abwenden, um allein dem spekulativen Bedürfnis der Vernunft zu folgen und sich dem Sein einer übersinnlichen und intelligiblen Welt zuzuwenden,60 charakterisiert Arendt Sokrates ausdrücklich als einen ,nichtprofessionellen Denker‘,
der in seiner Person zwei scheinbar widersprüchliche Leidenschaften vereinigt, die zum Denken und die zum Handeln – nicht in dem Sinne, dass er seine Gedanken fleißig anwendete oder theoretische Maßstäbe für das Handeln aufstellte, sondern in dem viel bedeutungsvolleren Sinne, dass er in beiden Sphären gleichermaßen zu Hause ist und mit scheinbar größter Leichtigkeit von der einen zur anderen übergehen kann, ganz wie wir selbst ständig.61
Zum sokratischen Ethos im wörtlichen Sinn gehört es daher, weder einen Primat des Denkens vor dem Handeln, noch einen Primat des Handelns vor dem Denken zu behaupten, sondern vielmehr beide Sphären zu ,bewohnen‘ und sie dergestalt in sich miteinander zu vereinbaren, dass sie beide in ihrem Eigenrecht bewahrt bleiben. Wie noch deutlich werden soll, ist es insbesondere Arendts Weiterentwicklung der Kantischen Urteilskraft, die als systematisches Bindeglied zwischen Denken und Handeln fungiert und somit eine Schlüsselfunktion im Spätwerk einnimmt, da sie – ebenso wie Sokrates, der sich gleichsam spielerisch zwischen vita activa und vita contemplativa hin und her bewegt – sowohl eine praktisch-politische, als auch eine geistig-denkerische Seite hat und daher beide Wesensbereiche der menschlichen Existenz miteinander verbindet. Um diese – nicht ohne Spannungen auskommende – Verbindung nachvollziehbar zu machen, muss kurz auf jenen Grundkonflikt zwischen Politik und Philosophie zurückgegangen werden, der Arendts eigenes Leben und Werk wie ein Leitmotiv begleitet und der in der sokratischen Existenz selbst zum Austrag kommt.
Den unversöhnlichen Gegensatz zwischen sinnlicher ,Erscheinungswelt‘ und metaphysischer ,Hinterwelt‘, zwischen Meinungen und Wahrheit, konnte Arendt bereits in der Sokrates-Vorlesung von 1954 anhand des subversiven Wirkens und der Verurteilung des Sokrates – sowie der folgenreichen Reaktion seines Schülers Platon darauf – besonders eindrücklich illustrieren. Darin zeigt Arendt auf, dass sich „[d]er Abgrund zwischen Philosophie und Politik [...] historisch mit dem Prozess und der Verurteilung des Sokrates“62 geöffnet hat, um daraus wesentliche systematische Konsequenzen für ihr Pluralitätsdenken zu ziehen, die sie in der Vita activa und im weiteren Verlauf ihres Denkweges weiter entfalten sollte. Wie bereits deutlich wurde, setzt das Denken der Pluralität sich entschieden von der platonischen Weichenstellung der Philosophie und der mit ihr einhergehenden ,Zwei-Welten-Theorie‘ ab, die von Arendt zunächst als Reaktion Platons auf den verlorenen Prozess seines Lehrers gedeutet wird. Angesichts von Sokrates‘ Tod und der schockierenden Tatsache, dass weder dessen irritierend-ironisches Fragen, noch dessen selbstgewisse Apologie die Richter von seiner Unschuld und seinen Verdiensten überzeugen konnten, musste der enttäuschte Schüler am gemeinschaftlichen Leben in der Welt der Polis geradezu ‚verzweifeln‘.63 In der Folge, so Arendts These, kehrte Platon die Philosophie als Kritik der doxa gegen die Gemeinschaft (koinon) der Athener Bürger, um der sokratischen Gesprächspraxis sowie der diskursiven Meinungsvielfalt innerhalb der Polis den dialektischen Aufstieg zur absoluten Wahrheit der Ideen (d.i. ,die Idee der Idee‘ oder ,die Idee des Guten‘) entgegenzusetzen: „In enger Verbindung mit seinem Zweifel an der Effektivität des Überredens steht Platons wütende Polemik gegen die doxa, die bloße Meinung. Diese Polemik zieht sich nicht nur wie ein roter Faden durch seine politischen Werke, sie gehört zu den Grundlagen seines Wahrheitsbegriffs. Die platonische Wahrheit ist selbst dort, wo diese doxa nicht eigens erwähnt wird, immer der genaue Gegensatz zur beliebigen Meinung.“64 Dadurch aber beginnt für Arendt bereits ein Zerfallsprozess der politischen Praxis, der mit der Geschichte einer (vermeintlich) politischen Philosophie einhergeht, in der absolute und metaphysische Maßstäbe an die Stelle pluraler und welterschließender Meinungen gesetzt werden:
Das Schauspiel, wie Sokrates seine eigene doxa gegen die unverantwortlichen Meinungen der Athener stellt und von einer Mehrheit niedergestimmt wird, brachte Platon dazu, Meinungen insgesamt zu verachten und sich nach absoluten Maßstäben zu sehnen. Maßstäbe, an denen sich Handlungen messen ließen und an denen das Denken eine gewisse Verlässlichkeit gewinnen konnte, waren von nun an das Hauptziel seiner politischen Philosophie.65
Demgegenüber konnte Sokrates, der sich nicht ins Private oder in die Mauern einer Akademie zurückzog, sondern sich nach Arendt „im Gegenteil immer auf dem Marktplatz, inmitten der doxai“66 und damit zugleich auf der Bühne der Welt im Lichte der Öffentlichkeit bewegte, das dialogische Durchsprechen eines Themas (dialegesthai) selbst noch als ,Hebammenkunst‘ (Maieutik) praktizieren, deren eigentümliche Dialektik die Wahrheit nicht sucht, um die doxa zu zerstören, sondern letztere vielmehr in ihrer je-eigenen, d.h. perspektivischen Wahrheit enthüllt.67 Die sich vornehmlich als Fragen ausdrückende ,Maieutik‘ zwingt den anderen Bürgern die eigene Meinung – etwa im Gewand oder ,Ideenkleid‘ einer absoluten Wahrheit – folglich nicht auf, sondern sie zielt vielmehr darauf ab, die doxa des Anderen als dessen Perspektive auf Welt zum Vorschein zu bringen, um darin möglicherweise eine gemeinsame und daher immer vorläufig bleibende Wahrheit zu finden. Insofern die fragende ,Hebamme‘ Sokrates selbst keine Wahrheit hat, nicht-wissend und in diesem Sinne ‚unfruchtbar‘ ist, bleibt sie darauf angewiesen, andere im dialegesthai von ihren Gedanken zu ,entbinden‘ und diese zur Welt zu bringen. Indem sie die doxai der Anderen offenbar werden lässt, hilft die sokratische Hebammenkunst den pluralen ,Wahrheiten‘ der Bürger auf die öffentliche Bühne der Welt, um sie dort auf die Probe und zur Diskussion zu stellen: „Für Sokrates war die Maieutik eine politische Aktivität, ein Austausch (prinzipiell auf der Grundlage strikter Egalität), dessen Früchte nicht danach beurteilt werden konnten, dass man bei dem Ergebnis dieser oder jener Wahrheit ankommen musste.“68
Weil dem sokratischen Fragen aus dem Geiste des ironischen Wissens um das eigene Nichtwissen zudem ein subversives Irritationspotential anhaftet, das nach der späteren Arendt alle „verfestigten Kriterien, Werte, Maßstäbe für Gut und Böse, [...] Sitten und Verhaltensregeln, die Gegenstand der Moral und Ethik sind,“69 unterminiert, wird Sokrates zusätzlich als ,Stechmücke‘ charakterisiert, deren ,Stich‘ oder ‚stichelndes Fragen‘ alle Bürger mit der eigenen Unwissenheit anzustecken vermag, um sie zum Denken zu bringen. Daraus geht bereits hervor, dass Arendts‘ sokratisches Ethos weltbürgerlicher Existenz sich keineswegs in eine ethische Lehre oder Moralphilosophie überführen lässt. Es setzt nämlich eine der sichtbaren Welt der Erscheinungen zunächst wesensfremde, weil selbst unsichtbare Tätigkeit voraus, der Arendt sich erst im Spätwerk im Rahmen einer Art ,Phänomenologie des Unscheinbaren‘ eigens zuwendet: jene reine Geistestätigkeit des Denkens, „die zu ihrer Ausübung allein ihrer selbst bedarf.“70
Die Tätigkeit des Denkens führt nach Arendt dazu – in dem sokratischen Wissen, dass wir nichts sicher wissen – sich selbst und den anderen immer wieder bohrende Fragen zu stellen, auf die man keine endgültige Antwort weiß oder wissen kann. Das Denken ist stets auf Abwesendes gerichtet, es beschäftigt sich mit dem Unsichtbaren und somit mit denjenigen Fragen, die nach Kant von der menschlichen Vernunft zwar immer wieder aufgeworfen, aber durch sie selbst allein prinzipiell gar nicht beantwortet werden können. Wenn Arendt dem am Beispiel des Sokrates erörterten Denken die zersetzende Eigenschaft zuschreibt, „das aufzulösen, gewissermaßen aufzutauen, was die Sprache, das Medium des Denkens, zu Gedanken gefroren hat,“71 dann verweist sie auf einen konstitutiven Spalt zwischen dem überschüssigen Denken, das einem stets von ‚anderswo-her‘ zufällt und entgleitet, und dem sprachlich fixierten Gedachten, das sich als solches niederschreiben, vermitteln und lehren lässt.
Weil es im Denken hingegen nichts oder nicht etwas (Seiendes oder Erscheinendes) zu lehren gibt, was Gegenstand des Wissens werden könnte, sondern vielmehr nur die sokratische Rast- und Ratlosigkeit des Denkens selbst, besteht für Arendt „die einzige Art, wie Denken gelehrt werden kann,“72 gerade darin, die anderen fragend ins Denken hineinzustoßen oder hineinzuziehen, um sie so dem ,Zugwind des Denkens‘ selbst auszusetzen. Der ,Wind‘ ist für Arendt – wie schon für Heidegger – somit eine überaus passende Metapher für die ,unheimliche‘ Erfahrung eines fragenden Denkens, das in der unsichtbaren Sphäre des Geistes wirkt, ohne jemals in die Sichtbarkeit der Welt zu gelangen, auf die es nie unmittelbar, sondern immer nur mittelbar einwirkt, wie es in dem von Arendt zitierten Spruch des Xenophon heißt: „Die Winde selbst sind unsichtbar, doch ihre Wirkungen zeigen sich uns, und wir spüren irgendwie ihre Berührung.“73
Dem alle Gewissheiten und Normen gleichsam hinfortwehenden ‚Zugwind der Denkens‘, der sich niemals in der Gegenwart eines Gedachten beruhigt, kommt nach Arendt allerdings eine durchaus ambivalente Bedeutung zu, insofern er das je-meinige Daseins von den anderen Bürgern zunächst wegzieht, es isoliert und der gemeinsamen Welt entfremdet. Ganz im Unterschied zum welthaften Selbst, dem sein eigenes Denken niemals vollständig durchsichtig wird, hat das unsichtbare ,Ich denke‘ keinerlei Interesse, in der gemeinsamen Welt zu erscheinen: von der Erscheinungswelt aus gesehen, bleibt es stets im Verborgenen.74 Sokrates hingegen, der – wie alle existierenden Menschen – ständig zwischen „der Erscheinungswelt und dem Bedürfnis des Nachdenkens über sie“75 hin und her wechselt, muss die Erfahrung seines Denkens teilen, indem er sie seinen Mitbürgern auf dem Markplatz fragender-weise mitteilt und sie so in ein Gemeinsames (koinon) überführt: „[D]och wenn dich der Wind des Denkens, den ich jetzt in dir erwecken werde, aus dem Schlaf geweckt und völlig wach und lebendig gemacht hat, dann wirst du erkennen, dass du nichts in der Hand hast als Ratlosigkeit, und das beste ist immer noch, sie zu unserer gemeinsamen Sache zu machen.“76 Es stellt sich daher die Frage, wie genau es uns und Sokrates möglich ist, vom einsamen Denken zum gemeinsamen Handeln überzugehen und sich in einer Welt der Vielen zurechtzufinden, um über sich selbst vor sich und anderen Rechenschaft abzulegen.
Für die sowohl destruktiv-subversive, als auch konstruktiv-produktive Art der sokratischen Existenz und Gesprächspraxis zwischen unscheinbarem Denken und erscheinender doxa ist daher eine weitere Tätigkeit unerlässlich, die Arendt sowohl von der Aristotelischen phronesis als auch von der Kantischen Urteilskraft her denkt, um daraus „die politische Einsicht par excellence“77 zu gewinnen: die Fähigkeit, sich reflektierend-urteilend an die Stelle des Anderen zu versetzen, um die Welt von seinem Standpunkt aus zu sehen und so die eigene Perspektive sukzessive zu erweitern. Insofern das fragende Denken zuvor unhinterfragte Meinungen, Werte, Theorien und Überzeugungen destruiert, kann es nach Arendt nur „mittelbar politisch“ sein; doch wirkt es sich dabei „befreiend“ auf das „politischste der geistigen Vermögen“78 aus: das den Bedingungen des Erscheinens und der Pluralität unterliegende Urteilen. Urteile zu bilden bedeutet für Arendt nämlich nichts anderes, als über konkrete menschliche Angelegenheiten in der Welt nachzudenken.79 Um die Schlüsselfunktion des Sokrates für Arendts eigenes Denken zu verstehen und daraus ein sokratisches Ethos weltbürgerlicher Existenz herausdestillieren zu können, muss daher kurz auf die geistige Tätigkeit des Urteilens eingegangen werden, welche Anschauung und Denken, Besonderes und Allgemeines miteinander verbindet.
Um in der Wirklichkeit wirken zu können, muss das Denken sich im Urteilen ‚entäußern‘. Denn erst das Urteilen erlaubt es den Einzelnen nach Arendt, – dem alle Maßstäbe hinfortreißenden ,Zugwind des Denkens‘ zum Trotz – sich zusammen mit anderen in der Erscheinungswelt der Pluralität zurechtzufinden und situativ zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, indem sie Einzeldinge beurteilt, ohne einer allgemeinen (Vernunft-)Regel (wie beispielsweise Kants ‚kategorischem Imperativ‘) zu folgen. Zusammen mit dem sensus communis, der als eine Art ‚sechster Sinn‘ überhaupt erst die Objektivität einer gemeinsamen Wirklichkeit in der pluralen Welt subjektiver Perspektiven stiftet, ermöglicht es die ,reflektierende Urteilskraft‘ im Unterschied zur einseitigen doxa, ein Besonderes von verschiedenen Seiten aus zu betrachten, um so zu einem möglichst allgemeinen und unparteilichen Standpunkt zu gelangen, ohne den es keine echte Vergleichbarkeit und Verbindlichkeit in der menschlichen Welt der Polis geben könnte. Bekanntermaßen orientiert Arendts politik-philosophische Neubestimmung des Urteilens sich dabei zuvorderst an Kants Kritik der Urteilskraft, der sie nach ihrem eigenen Selbstverständnis Kants eigentliche ,politische Philosophie‘ entnimmt. Dabei greift sie das sinnliche (d.h. ‚ästhetische‘) Geschmacksurteil und das höherstufige Beurteilungsvermögen des sensus communis auf, um dessen Gültigkeitsbereich zu extendieren und in den politischen Kontext der gemeinsamen Welt zu transponieren.
Um sich jenem faktisch unerreichbaren, unparteilichen und „allgemeinen Standpunkte“80 des ,Zuschauers‘ vom Weltgeschehen zumindest anzunähern, den der Kantische Weltbürger rein aus praktischen Vernunftgründen einzunehmen hat, bedarf es auch für Arendt einer ,erweiterten Denkungsart‘, die uns mittels reflektierender Urteils- und Einbildungskraft an die Stelle des Anderen zu versetzen vermag und so allererst eine Diskussion des Gemeinsamen im Vielen der Welt bzw. in der Welt der Vielen ermöglicht. Daraus ergibt sich nach Arendts existenzial-hermeneutischer Auslegung der Urteilskraft ein nicht mehr auf die praktische Verwirklichung der universalen Vernunft abzielendes, sondern auf interpersonale Mitteilbarkeit und Verstehbarkeit angewiesenes Urteilsgeschehen, in dem ich dem Anderen mein Urteil nicht aufzwinge, sondern vielmehr dergestalt ,ansinne‘, dass ich seinen eigenen Standpunkt konkret in meine eigene Urteilsbildung mit einbeziehe. Nicht mehr die im apriorischen ,Faktum der Vernunft’ verankerte Moral des Menschen, sondern die nunmehr von der irreduziblen Pluralität der Menschen ausgehende Urteilskraft fungiert dann als Maßstab des gemeinsamen Handelns. Nur weil dieses Urteilsgeschehen sich zwischen den Urteilenden vollzieht, können spezifische Urteile überhaupt in ihrem Anspruch auf Unparteilichkeit und Allgemeinheit überprüft und zusammen auf dem ,Marktplatz‘ diskutiert werden. Der im öffentlichen Zwischen personaler Beziehungen aufkeimende Sinn kann ja nur dann in den Gemeinsinn (sensus communis) eingehen, wenn er dergestalt auf die Zustimmung von allen Bürgern abzielt, dass er mitteilbar und nachvollziehbar ist. Indem der sensus communis die unterschiedlichen Urteile der Vielen nach Arendt unter sich in ein ganzheitliches Sinngebilde versammelt, schließt er diese zu einer Gemeinschaft in der Welt zusammen. Damit aber sind wir für die späte Arendt nicht mehr nur als praktisch Tätige, sondern auch als Urteilende Mitglieder einer echten ‚Weltgemeinschaft‘ oder Urteilsgemeinschaft, in die wir als ‚weltbürgerliche Existenzen‘ eingegliedert sind.81
Ähnlich wie das selbst weltlose Denken setzt aber auch das zwitterhafte Urteilen für Arendt eine kritische Distanz zur politischen Weltöffentlichkeit voraus, in der es sich vollzieht. Ohne Kants an die universale Vernunft gebundene Konzeption des Kosmopolitischen samt seiner geschichts- und moralphilosophischen Implikationen zu übernehmen, bleibt Arendt somit doch der Einsicht verpflichtet, dass „der Rückzug aus der direkten Beteiligung auf einen Standpunkt außerhalb des Spiels eine conditio sine qua non allen Urteilens“82 darstellt. Anders gesagt: Statt vollends in den praktischen Vollzügen der alltäglichen Lebenswelt aufzugehen, bleibt das Urteilen als Geistestätigkeit auf das sokratische „Bewusstsein vom Menschen als einem gleichzeitig denkenden und handelnden Wesen (einem Wesen dessen Gedanken unweigerlich und unvermeidbar seine Taten begleiten)“ angewiesen, welches nach Arendt allein „den Menschen und den Staatsbürger besser machen“83 kann. Daraus lassen sich mit Arendt ethisch-politische Konsequenzen ableiten, die nicht in Form einer Wissensvermittlung gelehrt, aber im nun abschließend zu bestimmenden sokratischen Ethos weltbürgerlicher Existenz tugendhaft praktiziert werden können.
4. Arendts sokratisches Ethos weltbürgerlicher Existenz
Wenngleich Arendt am Beispiel des Sokrates aufzeigt, dass im reinen Denken nichts gelehrt oder gelernt werden kann, knüpft sie doch an eine sokratische, im Folgenden als ,weltbürgerlich‘ auszulegende Haltung an, die Gedanke und Tat im Vollzug der eigenen Existenz dergestalt miteinander verbindet, dass aus ihr ein gelingendes Selbst- und Weltverhältnis erwächst. Weil damit eine Art Maßstab für das gemeinsame Leben in der Welt der Vielen geschaffen wird, kommt der sokratischen Haltung selbst eine politisch-ethische Relevanz zu. Nach Arendt ging Sokrates nämlich durchaus davon aus, „dass Tugend lehrbar sei“84 und dass die Lehre der Tugend eine konkrete politische Bedeutsamkeit in der Welt hat, die als solche wiederum das Denken zur Voraussetzung hat: „Grundvoraussetzung dieser Lehre ist das Denken und nicht das Handeln, denn nur im Denken lässt sich der Dialog der Zwei-in-Einem verwirklichen.“85 Was also ist mit dem denkerischen Dialog des ,Zwei-in-Einem‘ genau gemeint und worin besteht seine konkrete Bedeutung für die das politische Handeln beeinflussende ,Tugendlehre‘ in der zuvor skizziertem Grundspannung zwischen ,Weltlosigkeit‘ und ,Welthaftigkeit‘, zwischen vita contemplativa und vita activa?
Zwar ist das Denken als solches unsichtbar und daher außerhalb der sinnlichen Erscheinungswelt angesiedelt; nach Arendt lässt die von uns allen geteilte ,Erfahrung des Denkens‘ sich aber als solche untersuchen und im Rückgriff auf die großen Denker der Tradition beschreiben. In Anlehnung an Platon bestimmt sie das abstrakte Denken als das ,Zwei-in-Einem‘ eines stillen Zwiegesprächs, in dem wir in einen inneren Dialog mit uns selbst treten, der uns von der Welt und den anderen entfernt und in dem wir uns im denkerischen ,Für und Wider‘ zu uns selbst verhalten. Diese jedem Denkakt inhärente Dualität aber stellt nach Arendt den bewusstseinsphilosophischen Primat der geschlossenen Identität eines in sich verschlossenen Subjekts radikal in Frage, um es je schon in eine aufspaltende Differenz mit sich selbst treten zu lassen. Anstatt von der vermeintlichen Einheit eines ,denkenden Ich‘, geht Arendts Analyse der Denktätigkeit somit vom konstitutiven Widerstreit einer internen Zweiheit aus: „[I]ch bin nicht nur für andere, sondern auch für mich, und in dieser Beziehung bin ich offenbar nicht bloß Einer. In mein Einssein hat sich ein Unterschied eingeschlichen.“86 Das Einssein mit sich in der Welt setzt dann ein Entzweitsein von sich im Denken voraus.
Anhand der aufspaltenden Selbstbezüglichkeit des Denkens, das gleichzeitig ,es selbst‘ und ,für sich‘ ist, wird deutlich, dass Einheit nach Arendt immer nur in einer Unterschiedlichkeit möglich ist, welche der Selbstbindung jeder Identität die Spur einer elementaren Alterität einträgt.87 Indem es zu sich selbst in Beziehung treten muss, um überhaupt denken und sich selbst im Bewusstsein gegeben sein zu können, spaltet sich das denkende Ich im Selbstgespräch zwischen den ,Zweien-in-Einem‘ auf, das es immer schon mit sich selbst differieren lässt und Einssein mit Anderssein verschränkt. Denken bedeutet demnach immer schon, mit sich selbst zusammenzuleben oder „Auseinandersetzung mit sich selbst – wie mit einem Anderen, sozusagen ›Selbst-Verantwortung‹ im wörtlichen Sinn,“88 wie es bei Kurbacher heißt.
Weil in dieser aufspaltenden Zweiheit des Denkens für Arendt bereits der politische Anspruch der Vielheit aufscheint, lässt sich die menschliche Pluralität philosophisch niemals restlos eliminieren und aus der Sphäre des Denkens ausschließen. Vielmehr bekundet sich im Spalt des Bewusstseins eine intrasubjektive Pluralität, die uns auf die intersubjektive Pluralität der Welt hin öffnet, in der wir erst als ein einheitliches, personales Selbst erscheinen und selbstverantwortlich wir selbst sein können:
Der Philosoph, welcher der Grundbedingung der menschlichen Pluralität zu entkommen sucht und in die absolute Einsamkeit flieht, ist dieser jedem Menschen inhärenten Pluralität sogar noch radikaler ausgeliefert als ein anderer. Denn es ist ja das Gespräch mit anderen, das mich aus dem aufspaltenden Gespräch mit mir selbst herausreißt und mich wieder zu Einem macht – zu einem einzigen, einzigartigen Menschen, der nur mit einer Stimme spricht und von allen als ein einziger Mensch erkannt wird.89
Daraus geht hervor, dass die Tätigkeit des Denkens als solche zwar weltabgewandt, aber doch nicht vollkommen abgetrennt von der Pluralität des Menschen und seiner Welt ist. Gerade weil das Denken sich aufgrund der unabweisbaren Pluralität des ,Zwei-in-Einem‘ niemals zu einer in sich geschlossenen Identität verschließt, sondern die Signatur des weltlichen Miteinandersprechens aufweist, in der sich die eigene Person als sprechendes und handelndes Selbst vor anderen offenbart, nimmt es uns ethisch in die Pflicht. Es fordert uns unablässig dazu auf, mit uns selbst ebenso wie mit einem Anderen zusammenzuleben und im Urteilen performativ mit uns selbst übereinzustimmen.
Daraus leitet Arendt die eigentliche ,Lehre‘ des Sokrates ab, die als ethische Haltung im Verhältnis zu sich selbst, d.h. zu sich selbst als einem Anderen und damit zu allen andern bezeichnet werden kann: „Nur wer versteht, mit sich selbst zu leben, ist geeignet für das Leben mit anderen.“90 Um mit anderen unter dem Schirm des sensus communis möglichst widerspruchsfrei und im Einklang leben zu können, ist es nach Sokrates nötig, mir selbst in Wort und Tat so zu erscheinen, wie ich den Anderen erscheinen möchte, die mich in der Welt als öffentliche Person mit gemeinschaftlichen Bürgerpflichten wahrnehmen. In dieser durchaus ethisch zu nennenden Dimension des Sich-selbst-Erscheinens liegt für Arendt der eigentliche Sinn der sokratischen Selbsterkenntnis (‚Erkenne dich selbst‘) sowie einer der wenigen positiven Aussagen des Sokrates im Gorgias: ‚Lieber möge die ganze Welt mir widersprechen, als dass ich selbst nicht mit mir zusammenstimme.‘91 Ebenso wie die auf dem Satz vom Widerspruch aufbauende Logik, hat somit auch die Ethik für Arendt ihren verborgenen Ursprung in der sokratischen Grunderfahrung und Forderung, sich nicht in Selbstwidersprüche zu verstricken, sondern mit sich selbst zusammenzustimmen und vor sich selbst Rechenschaft abzulegen.92 Daraus ergibt sich ihr sowohl eine Art phänomenologische Genese des Gewissens und der Moral, als auch eine politische Bestimmung der Freundschaft, die – zusammen mit dem Urteilen – die ethische Keimzelle einer weltbürgerlichen Existenz bildet.
An Aristoteles anknüpfend bestimmt Arendt die Freundschaft als ein Zusammenleben in der Welt der Vielen, das zugleich ein Zusammenstimmen und Übereinstimmen unter dem sensus communis ist. Besonders im Kontext ihrer Auseinandersetzungen mit Sokrates und der damit verbundenen Erörterung des aufspaltenden Denkens zum ,Zwei-in-Einem‘ wird allerdings deutlich, dass die Freundschaft mit Anderen bereits ein freundschaftliches Selbstverhältnis, also ein Befreundetsein mit sich selbst voraussetzt. Die politische Freundschaft hat ihre Wurzeln folglich bereits in der nicht nur von Aristoteles und Sokrates, sondern von uns allen geteilten Erfahrung des einsamen Mit-sich-selbst-Sprechens und -Zusammenlebens. Nur weil wir, sobald wir zu denken anfangen, bereits aus einer gespaltenen Einheit bestehen, können wir im Anderen, im Freund auch ein anderes Selbst sehen, sowie wir, die wir unser ganzes Dasein lang an uns selbst gekettet sind, in uns selbst einen Freund erkennen, mit uns selbst befreundet sein können. Als Denkender bin ich dazu verurteilt, mit mir selbst als einem Anderen zusammenleben, mit dem ich jedoch freundschaftlich übereinstimmen kann.93
Diese Möglichkeit ist für Arendt nicht nur „von größter Bedeutung für die Politik“94 als öffentlichem Erscheinungs- und Handlungsgeschehen, sondern auch für die Entstehung des Gewissens und der Moralität. In anderen Worten: Sie gibt Auskunft über die ethische Grundfrage, warum es besser ist, Übel zu erleiden, als Übel zu tun95 sowie über das mit dem Eichmann-Prozess losgetretene Problem der Herkunft und ‚Banalität des Bösen‘.96 Arendt zufolge ist es nicht nur der Mangel an Urteilskraft im lebensweltlichen Umgang miteinander, sondern gerade die Ausflucht in die ,Gedankenlosigkeit‘ – d.h. die Weigerung, reflexiv in einen kritischen Selbstdialog und damit in ein denkerisches Selbstverhältnis zu treten – die das Böse in seiner beängstigendem Banalität zulässt und für die jedes mit Denkvermögen ausgestattete Wesen sich verantworten muss.97 Aus diesem Grund kann etwa der Mörder – so zumindest Arendts Beispiel98 – als Agent des banalen Bösen kein eigentlich Denkender sein. Gerade weil der Mörder im ,Zwei-in-Einem‘ dazu verdammt wäre, mit sich selbst als einem Mörder zusammenzuleben und auch in jedem seiner Mitmenschen einen potentiellen Mörder zu sehen, scheut er „die klärende Auseinandersetzung mit sich selbst als einem Anderen.“99 Sobald er eigentlich zu denken anfinge, würde er in den Strudel jenes performativen Selbstwiderspruchs geraten, vor dem Sokrates uns warnt. Indem er die denkerische Auseinandersetzung scheut, ist er schlechterdings nicht dazu in der Lage, in eine freundschaftliche Beziehung zu sich oder anderen zu treten und ein moralisches Gewissen auszubilden.100
Die eigenständige Geistestätigkeit des Denkens im Mit-sich-selbst-alleinsein erfährt am Beispiel des Sokrates somit eine erhebliche Aufwertung im Laufe von Arendts Denkweg, der immer intensiver um das in sich verschlungene Verhältnis zwischen vita contemplativa und vita activa kreist: Sie ist nichts weniger als die immer immer wieder neu zu vollziehende Voraussetzung, die conditio humana der Pluralität auf betont verantwortliche Weise im gemeinsamen Urteilen und Handeln einer politischen Welt zu wahren. Wie Arendt anhand der tragischen Verurteilung des Sokrates verdeutlicht, liegt im sokratischen Existenzentwurf somit die Möglichkeit einer politischen Widerständigkeit gegenüber positiven Rechtsnormen und staatlichen Ordnungen: „Niemand wird bezweifeln, dass eine solche Lehre zu einem gewissen Konflikt mit dem Staat führt und immer führen wird – dieser muss Achtung vor seinem Gesetzen einfordern, eine Achtung, die unabhängig von persönlichen Gewissensentscheidungen ist.“101 Auch wenn das Denken aus sich selbst heraus keine moralischen Maßstäbe oder Regeln des gemeinsamen Handelns in der Welt aufstellen kann und letzterer wesensfremd bleibt, kann es in politischen Notlagen, in denen eine allgemeine ,Gedankenlosigkeit‘ überhand nimmt, doch als nahezu einzige hilfreiche ,Handlung‘ fungieren, die sich positiv auf das Urteilen auswirkt: „Wenn jeder gedankenlos mitschwimmt in dem, was alle andern tun und glauben, dann stehen die Denkenden nicht mehr im Hintergrund, denn ihre Weigerung ist nicht zu übersehen und wird damit zu einer Art Handeln.“102 Damit wendet die sokratische ,Lehre‘ sich gegen die entmenschlichende Grundtendenz totalitärer Staatsformen, „jegliche Möglichkeit des Alleinseins abzuschaffen (von der unmenschlichen Form der Einzelhaft abgesehen).“103 Die politische Funktion und das Ethos des Bürgers und Philosophen nach dem Vorbild des Sokrates bestehen dann darin, sich nicht der Gedankenlosigkeit hinzugeben, sondern in das kritische Selbstverhältnis eines ,Denkens ohne Geländer‘ einzutreten, in dem wir mit uns selbst übereinzustimmen versuchen, um so bei der Herstellung einer „gemeinsamen Welt zu helfen, die errichtet ist auf einer Art von Freundschaft, bei der keine Herrschaft notwendig ist.“104
Wie deutlich wurde, handelt es sich bei Arendts‘ sokratischem Ethos weltbürgerlicher Existenz um eine zwischen Theorie und Praxis, Denken und Handeln oszillierende Haltung, die jeder Totalisierung in Philosophie und Politik einen Riegel vorschiebt und die sich durch eine gewisse Unzugehörigkeit in der Zugehörigkeit zur gemeinsamen Welt der Vielen auszeichnet: Ein paradigmatisch von Sokrates verkörperter, von jedem Bürger einzunehmender ,Habitus‘ (von lat. habitare: ,wohnen‘), der uns sowohl frei Denkende in der ortlosen Einsamkeit mit uns selbst, als auch tugendhafte Menschen unter Menschen in der gemeinsamen Welt der Vielen sein lässt und sich gerade dadurch als Garant für das gute Funktionieren der Polis herausstellen kann.105 Das gewissenhafte Einnehmen dieser vom Kosmopolitismus der Philosophen unterschiedenen, weltbürgerlichen Zwischenstellung trifft sicherlich auch, wie noch im Rahmen weiterer Studien gezeigt werden müsste, für Arendts eigenes Leben und Schaffen zu. Dadurch aber erweist sie sich geradezu als eine würdige Nachfolgerin des Sokrates, die sich bewusst gegen eine theoretische Grundlegung des Politischen verwahrt und stattdessen das sokratische Ethos weltbürgerlicher Existenz auf einzigartige Weise in der modernen Welt verkörpert hat.
Literatur
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Arendt, Hannah: „Verstehen und Politik“ (engl. 1953). In: Zwischen Vergangenheit und Zukunft. Übungen im politischen Denken I. München 1994, 110–127.
Arendt, Hannah: „Tradition und die Neuzeit“ (engl. 1954). In: Zwischen Vergangenheit und Zukunft. 23–53.
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Arendt, Hannah: Vita activa (engl. 1958). München 81994.
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Arendt, Hannah: „Martin Heidegger ist achtzig Jahre alt“ (1969). In: Menschen in finsteren Zeiten. München 1989, 172 –184.
Arendt, Hannah: Vom Leben des Geistes, 1: Das Denken (engl. 1977). München 1979.
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Gutschker, Thomas: Aristotelische Diskurse: Aristoteles in der politischen Philosophie des 20. Jahrhunderts. Stuttgart/Weimar 2002.
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Kurbacher, Frauke: „The Life of the Mind/ Vom Leben des Geistes“. In: Wolfgang Heuer u.a. (Hg.): Arendt Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart 2011, 124-132.
Letzkus, Alwin: Dekonstruktion und ethische Passion: Denken des Anderen nach Jacques Derrida und Emmanuel Levinas. München 2002.
Loidolt, Sophie: Phenomenology of plurality: Hannah Arendt on political intersubjectivity. New York; London 2018.
Loidolt, Sophie: „Hannah Arendts Phänomenologie der Pluralität: Sozialontologische, politische und ethische Aspekte“. In: HannahArendt.Net, 9(1) 2018. Abgerufen von https://hannaharendt.net/index.php/han/article/view/390.
Maffeis, Stefania: Transnationale Philosophie: Hannah Arendt und die Zirkulationen des Politischen. Frankfurt a. M. 2018.
Platon: Werke in acht Bänden. 2Darmstadt 1999.
Rebentisch, Juliane: Der Streit um Pluralität: Auseinandersetzungen mit Hannah Arendt. Berlin 2022.
Straßenberger, Grit: Hannah Arendt zur Einführung. Hamburg 22018.
Taminiaux, Jacques: La fille de Thrace et le penseur professionnel. Arendt et Heidegger. Paris 1992.
Vollrath, Ernst: „Politik und Metaphysik – Zum Politischen Denken Hannah Arendts“. In: Adelbert Reif (Hg.): Hannah Arendt. Materialien zu ihrem Werk. Wien 1979.
1Der vorliegende Beitrag bemüht sich um eine geschlechtergerechte Sprache, die der Pluralität des Menschen auch in seiner geschlechtlichen Vielfalt Rechnung zu tragen versucht. Aufgrund der besseren Lesbarkeit wird das Maskulinum teils generisch verwendet.
2Vgl. Arendt, Hannah: Vita activa (engl. 1958). München 81994.
3Vgl. Arendt: Vom Leben des Geistes, I: Das Denken (engl. 1977). München 1979.
4Vgl. Arendt: Das Urteilen: Texte zu Kants politischer Philosophie (engl. 1982). München 1985.
5Vgl. Loidolt, Sophie: Phenomenology of plurality: Hannah Arendt on political intersubjectivity. New York; London 2018; Loidolt: „Hannah Arendts Phänomenologie der Pluralität: Sozialontologische, politische und ethische Aspekte“. In: HannahArendt.Net, 9(1) 2018. Abgerufen von https://hannaharendt.net/index.php/han/article/view/390.
6In diesem Sinne konnte etwa Straßenberger Arendts Denken als eine „performative Theorie des Politischen“ auslegen, die nicht davor zurückschreckt, sich als „als Intervention in gesellschaftliche Deutungskämpfe“ einzumischen. Straßenberger, Grit: Hannah Arendt zur Einführung. Hamburg 22018, 13. S. zur performativen Dimension der politischen (Pluralitäts-)Theorie Arendts auch Maffeis, Stefania: Transnationale Philosophie: Hannah Arendt und die Zirkulationen des Politischen. Frankfurt a. M. 2018, 467 sowie zuletzt Rebentisch, Juliane: Der Streit um Pluralität: Auseinandersetzungen mit Hannah Arendt. Berlin 2022, 43.
7Vgl. Arendt: Vom Leben des Geistes I, 174.
8Arendt selbst war mit diesem altgriechischen Verständnis von ,Ethos‘ natürlich überaus gut vertraut. S. hierzu Ebd., 15.
9Arendt: Sokrates. Apologie der Pluralität (engl. 2005). 3Berlin 2016, 57.
10Arendt: Denktagebuch: 1950–1973. München 2020, 484. „Das Mit-sich-selbst-Sprechen ist nicht bereits Denken, aber es ist die politische Seite alles Denkens: dass sich selbst im Denken Pluralität bekundet.“
11Vgl. Arendt: Sokrates; Arendt: Vom Leben des Geistes I, 166ff.
12Vgl. Platon: Pol. 509b, 511b–c; Tim. 30a–b, 34b–37c; Aristoteles: Met. IV 1, 1003 a 21 – 28.
13Vgl. Platon: Tht. 143 D, Pol VI, 484 A; Aristoteles: Met. I 2, 982 b 9, IV 3, 1005 a 24.
14Parmenides: DK 28 B 3.
15Ebd., B 6.
16Vgl. Ebd., B 8.
17Vgl. Platon: Symp. 204 B, Euthd., 288 D; Aristoteles: Met. I 1, 980 a 21.
18Vgl. Aristoteles: Met IV 1003 b, 22 – 24.
19Vgl. Platon: Phaid. 78d 5ff.
20Vgl. Letzkus, Alwin: Dekonstruktion und ethische Passion: Denken des Anderen nach Jacques Derrida und Emmanuel Levinas. München 2002, 15f.
21Vgl. Ebd.
22S. hierzu Gutschker, Thomas: Aristotelische Diskurse: Aristoteles in der politischen Philosophie des 20. Jahrhunderts. Stuttgart/Weimar 2002, 133ff.
23Arendt: „Verstehen und Politik“ (engl. 1953). In: Zwischen Vergangenheit und Zukunft. Übungen im politischen Denken I. München 1994, 110–127, hier: 122.
24Vgl. Arendt: „Tradition und die Neuzeit“ (engl. 1954). In: Zwischen Vergangenheit und Zukunft. 23–53, hier: S. 38ff. S. dazu auch Gutschker: Aristotelische Diskurse, 134.
25Vgl. Arendt: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Antisemitismus, Imperialismus, Totalitarismus (engl. 1951). 5München 1996, 42; Arendt: Ich will verstehen. Selbstauskünfte zu Leben und Werk. München 1996, 110. S. dazu Gutschker: Aristotelische Diskurse, 132f.
26Arendt: „Was ist Autorität?“ (1956). In: Zwischen Vergangenheit und Zukunft, 159 –200, hier: 161.
27Vgl. Arendt: Vita Activa, § 7.
28Arendt: Vom Leben des Geistes I, S. 22.
29Vgl. Kant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft. B76/A52. „Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.“
30Arendt: Zwischen Vergangenheit und Zukunft, 18.
31Arendt: Vom Leben des Geistes I, 22.
32Arendt: „Martin Heidegger ist achtzig Jahre alt“ (1969). In: Menschen in finsteren Zeiten. München 1989, 172 –184, hier: 183.
33Arendt: Vom Leben des Geistes I, 207.
34Vgl. Ebd; Arendt: Zwischen Vergangenheit und Zukunft, 17f, 161.
35Vgl. Arendt: Vom Leben des Geistes I, 208.
36Arendt: Über die Revolution (engl. 1963). 41994, 254.
37Arendt: „Martin Heidegger“, 184.
38Arendt: Vom Leben des Geistes I, 208.
39Arendt: „Philosophie und Politik“. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 41 (1993). 381-400, hier: 391.
40Arendt: Vom Leben des Geistes I, 208.
41Ebd., 208.
42S. dazu insbesondere Taminiaux, Jacques: La fille de Thrace et le penseur professionnel. Arendt et Heidegger. Paris 1992.
43Vgl. Vollrath, Ernst: „Politik und Metaphysik – Zum Politischen Denken Hannah Arendts“. In: Adelbert Reif (Hg.): Hannah Arendt. Materialien zu ihrem Werk. Wien 1979, 19–57.
44Arendt: Vita activa, 14.
45Ebd., 169.
46Vgl. Ebd.
47Ebd., 14.
48Arendt, Vom Leben des Geistes I, 29.
49Vgl. Loidolt, Hannah Arendts Phänomenologie der Pluralität.
50Vgl. Arendt, Sokrates, 45.
51Ebd., 47.
52Arendt, Vita activa, 33.
53Ebd., 56.
54Arendt, Sokrates, 47.
55Ebd., 47f.
56Vgl. Ebd., 14.
57Loidolt, Hannah Arendts Phänomenologie der Pluralität, 5.
58Vgl. Arendt, Vita activa, 57.
59S. dazu insbesondere Kurbacher: „The Life of the Mind/ Vom Leben des Geistes“. In: Wolfgang Heuer u.a. (Hg.): Arendt Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart 2011, 124-132.
60Vgl. Arendt, Vom Leben des Geistes I, 33.
61Ebd., 167.
62Arendt, Sokrates, 36.
63Vgl. Ebd.
64Ebd., 37.
65Ebd., 37f.
66Ebd., 48.
67Vgl. Ebd., 49.
68Vgl. Ebd., 49f.
69Arendt, Vom Leben des Geistes I, 174.
70Ebd., 163.
71Ebd., 174.
72Ebd., 172.
73Ebd., 174.
74Vgl. Ebd., 167.
75Ebd.
76Ebd., 174f.
77Vgl. Arendt, Sokrates, 53.
78Arendt, Vom Leben des Geistes I, 191.
79Vgl. Arendt, Das Urteilen, 61.
80Kant: Kritik der Urteilskraft, 294/295.
81Arendt: Das Urteilen, 100.
82Ebd., 75.
83Arendt: Sokrates, 61.
84Ebd.
85Ebd.
86Arendt: Vom Leben des Geistes I, 182.
87Vgl. Ebd.
88Kurbacher: „The Life of the Mind/ Vom Leben des Geistes“, 126.
89Arendt: Sokrates, 57.
90Ebd., 58.
91Vgl. Ebd., 54; Arendt: Vom Leben des Geistes I, 180; Platon: Gorg. 482c.
92Vgl. Arendt: Sokrates, 58.
93Vgl. Ebd., 52ff.
94Ebd., 58.
95Vgl. Arendt: Vom Leben des Geistes I, 180; Platon: Gorg. 483c.
96Vgl. Arendt: Vom Leben des Geistes I, 13ff.
97Vgl. Ebd.
98Vgl. Arendt: Sokrates, 60f.
99Kurbacher: „The Life of the Mind/ Vom Leben des Geistes“, 126.
100Vgl. Arendt: Sokrates, 61.
101Ebd., 63.
102Arendt: Vom Leben des Geistes, 191.
103Arendt: Sokrates, 63.
104Ebd., 54.
105Vgl. Ebd., 62.