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Ausgabe 6, Band 1/2 – November 2011

Aus der israelischen Tageszeitung "Haaretz"

 

Sonntag, den 29. November 2009

 

Warum beschließt ein deutscher Künstler, Kafka nach Israel zu bringen und was ge­schieht, als er mit der Puppe des jüdischen Schriftstellers an den Kontrollposten Erez kommt und aufgrund eines Verhörs durch die Soldaten der Israelischen Armee aufgehal­ten wird? In seiner Ausstellung in Tel Aviv benutzt Volker März die Gestalt Kafkas, um den israelischen Militarismus zu kritisieren.

Kafka über den Affen

Eli Armon Azulai

Der deutsche Künstler Volker März, dessen Ausstellung "Kafka im Himmel" derzeit in der Chelouche Gallery in Tel Aviv zu sehen ist, spricht über unbeständige Verhältnisse, über Metamorphosen, Hybride und das Absurde und bedient sich zu diesem Zweck der Hilfe dreier deutschsprachig-jüdischer Denker, die zu den bedeutendsten des 20. Jahrhunderts gehören. Einer von ihnen ist der Schriftsteller Franz Kafka, dessen fiktive Biographie und Erlebnisse im Laufe seines 85-jährigen vorgeblichen Aufenthaltes in Israel März benutzt, um das Bild einer israelischen Realität darzustellen, die in einem militaristischen und apokalyptischen Dasein gefangen ist.

In einem in Israel geführten Gespräch sagt er, dass er für viele Menschen nicht mehr als ein Deutscher sei, der versuche sein Gewissen blankzupolieren. Der 52-jährige März, der gebürtiger Deutscher ist und in Berlin lebt, folgte vor etwa zwei Jahren einer Einla­dung des Goethe-Instituts in Tel Aviv nach Israel, um das Projekt Hannah Arendt vorzu­stellen, an dem er bereits mehrere Jahre lang arbeitet.

Er habe gehofft, so erzählt er, das Projekt in Israel ausstellen zu können, sei aber nach fünf Treffen mit den Leuten des Instituts in Israel zu der Erkenntnis gekommen, dass die einflussreiche jüdisch-deutsche Philosophin für die meisten Leute der israelischen Kul­turszene nichts weiter als eine "Nazihündin" sei, wie er sich ausdrückt, und dies trotz der Veränderung, die im letzen Jahrzehnt mit dem Beginn ausgedehnter Diskussionen über deren Geisteshaltung in Israel eingetreten ist.

Im Rahmen der seinerzeitigen Begegnungen traf März auch Dalia Levin, die Kuratorin und Leiterin des Herzliya Museums of Contemporary Art. An einer Ausstellung von Ar­beiten über Arendt in ihrem Museum war auch sie nicht interessiert, aber sie bat darum, weitere Werke des Künstlers sehen zu dürfen. Als sie hörte, dass er sich mit Kafka be­schäftigt, einer Gestalt, die in Israel weniger umstritten ist als die der Arendt, lud sie ihn ein, im Museum auszustellen. Dies war der Auftakt zu der Ausstellung "Kafka in Israel", die im letzten März präsentiert wurde.

Metaphorphose vom Menschlichen zum Bestialischen

Der Name Kafka taucht in den Schlagzeiten der israelischen  Nachrichten in der letzten Zeit immer wieder im Zusammenhang mit der Diskussion um dessen Nachlass auf, der von einer Einwohnerin Tel Avivs – Hava Hoffe – festgehalten wird. Mit der Ausstellung März' wird deutlich, dass sich die Diskussion über die Frage, wer Anspruch auf Kafka er­heben und welcher Gebrauch von seinem Vermächtnis gemacht werden darf, nicht allein auf die juristische Frage nach den Rechten an seinen Schriften  beschränkt,  sondern dar­über hinaus von weitreichender kultureller Bedeutung ist.

Dies ist der Hintergrund, vor dem der Versuch eines deutschen Künstlers wie März ge­prüft werden muss, nach Israel zu kommen und dort eine Ausstellung von explosivem, politischen Potential zu präsentieren, indem er den großen Schriftsteller innerhalb der Konflikte und Auseinandersetzungen unserer heutigen Zeit anzusiedeln versucht.

Die Idee, die hinter der Ausstellung in Herzliya stand, war die, dass Kafka nicht im Jah­re 1924 an Tuberkulose verstarb, sondern zusammen mit seinem Freund, dem Affen Herrn Rotpeter nach Israel gerudert ist, vor der Küste Palästinas vor Anker ging und seit­dem in Tel Aviv lebt. Die derzeitige Ausstellung in der Chelouche Gallery setzt dieselbe Idee fort und endet mit dem vermeintlichen  Tod Kafkas in diesem Jahr - in seinem 126. Lebensjahr -, nachdem ihn die Israelische Regierung zum Tod durch Erhängen verurteilt hatte. Auf diese Weise präsentiert März eine kafkaische Entwicklung, in welcher die zio­nistische Vision aus einem  apokalyptischen Blickwinkel betrachtet wird.

"Ich glaube, dass die Auseinandersetzung mit Kafka eine Auseinandersetzung mit dem Absurden ist. Und die Dinge hier sind in der Tat absurd", sagt er. Er erzählt, dass ihm der Gedanke zur  Darstellung der Hinrichtung Kafkas in Israel gekommen sei, nachdem er erstmals auf den in Israel weitverbreiteten – und verzerrten – Gebrauch des Begriffes "Nazi" gestoßen war. Er selbst wurde darauf aufmerksam, als er hörte, dass man Yitzhak Rabin und anderen Persönlichkeiten mit dieser Bezeichnung belegt hatte.  "Da sagte ich mir, dass auch Kafka ein Nazi ist", sagt er. "In meiner Geschichte wird dies von der Regie­rung entdeckt, und sie lässt ihn verhaften. Dies ist der einzige Grund, aus dem sie ihn hin­richten  konnten, denn dies ist das einzige Vergehen, auf dem in Israel die Todesstrafe steht. Ich stellte eine Verbindung zwischen Eichmann und Kafka her, denn das ist mein deutscher Weg zu sagen, dass dies möglich ist."

Die Reaktionen, die März auf seine vorausgegangene Ausstellung in Israel erhielt, be­stärkten ihn in dieser Idee. Er erzählt, dass Besucher der Ausstellung in Herzliya mit Trä­nen in den Augen an ihn herangetreten waren und sagten: "Ich bin ein Linker, aber dies ist das erste Mal, dass ich mich wie ein Nazi fühle". "Ich fragte sie weshalb, denn schließ­lich gäbe es keine deutschen Schilder, Flaggen  oder Soldaten, sondern lediglich israeli­sche Soldaten, die Kafka festnehmen. Ich begriff, dass es erschütternd für sie war", sagt er. "Schließlich ist dies eine Verteidigungsarmee, und es gibt Opfer – sowohl auf der pa­lästinensischen Seite als auch unter den Soldaten, die selbst auch Opfer sind. Aber Kafka ist ein besonderes Opfer."

Wie schon die vorherige Ausstellung, so ist auch die jetzige Ausstellung provokativ und erotisch zugleich, in der viel Nacktheit, fiktives Blut und fragmentarische und ironische Situationen zu sehen sind. Sie ist aufgebaut wie ein skulpturiertes Theater, in dem es  kei­ne erkennbare Logik gibt, an die man sich anlehnen könnte.

Es gibt keinen Helden und keinen Antihelden, aber es gibt geistige Väter - Kafka und an dessen Seite Hannah Arendt und der jüdisch-deutsche Philosoph Walter Benjamin. März stellt eine Verflechtung ihrer Gestalten her und beschäftigt sich zudem mit Ideen, die von diesen geprägt und entwickelt wurden. Für Momente sieht man Kafka als den Verfolgten -, in anderen Momenten sieht man ihn, wie er eine Rede vor der Knesset hält. In einer der Skulpturen schleppt er einen Elefanten, so als sei dieser der Schmerz der Welt, der auf seinen Schultern lastet.

März empfindet, dass "die Menschen die Arbeiten betrachten und darauf reagieren können, weil es kein Araber ist; Das ist Kafka, und dies macht es ihnen leichter. Was den Affen anbelangt, so weiß niemand, ob dieser Jude oder Araber ist. Juden werden den   Vergleich mit einem Affen auf die Araber anwenden und umgekehrt." Auf den Gebrauch des Affens als verächtlichen und rassistischen Vergleich in Bezug auf die Gestalt des Ju­den im Rahmen der nationalsozialistischen Propaganda geht März in seinen Ausführun­gen nicht ein. Er benutzt den Affen als Gucklock, das den Blick auf ein Fest metaphori­scher Prozesse freigibt, die niemand besser zu beschreiben vermochte als Kafka und zu denen die Transformation vom Menschlichen zum Bestialischen gehört. Auf der anderen Seite kann der Affe als das zweite Ich Kafkas interpretiert werden.

Kafka und Herr Rotpeter tauchen wieder und wieder als Skulpturen verschiedenster Formen auf – durchlöchert, blutend oder in seltsamen Haltungen dastehend –, bei denen unklar bleibt, ob sie  komisch oder tragisch sind. Daneben werden auch viele übertriebene Reisefotos von ihren Besuchen an unterschiedlichen Orten ausgestellt, in denen der Künstler Kafka und den Affen in verschiedene lokale Landschaften verpflanzt – am See Genezareth, in Tel Aviv oder unter den Bomben in Ramallah oder Gaza.

März erklaert, dass alles mit seinen Erlebnissen bei seiner Ankunft in Israel in Zusam­menhang steht: "Im Hotel wachte ich morgens mit dem Gefühl auf, man werde mich ver­haften. Die Angst herrscht hier an jedem Ort. Als ich herumreiste, war ich erschüttert zu  entdecken, dass der ganze Negev und die Golanhöhen tatsächlich  eine einzige große Mili­tärbasis sind. Der Boden und die Landschaft waren wunderschön, doch sie sind gespickt mit Minen und militärischen Posten. Es war verrückt in der Natur zu sein, während man die ganze Zeit über von Maschinengewehren und umherkreisenden Panzern und Hub­schraubern umgeben ist. Ich kam bis nach Majdal Shams und in den Negev, aber am meisten haben mich die Gefängnisse in Beer Sheva schockiert."

März treibt sich an den verschiedenen Grenzkontrollposten Israels herum – an den Grenzen zu Syrien, Libanon und Jordanien ebenso wie an den Kontrollpunkten der israe­lischen Armee in der Nähe des Gazastreifens –, all dies mit dem Ziel, seinen Kafka beim Schießen in die Luft zu fotografieren. Er erzählt, wie er bei seiner Ankunft an einem der Kontrollposten der israelischen Armee das Schild "Welcome to Erez Crossing" las und er den unerträglichen  Zynismus der Besatzung begriff. Am Kontrollposten Erez machte der deutsche Künstler die Bekanntschaft mit der Verzögerungstaktik der Soldaten der Israeli­schen Armee.

"Ich habe dort einige Aufnahmen von Kafka gemacht, wie dieser nackt herumschießt, und ein Mädchen von 18-19 Jahren hat mich gefragt: 'Was machst Du mit diesem nackten Ding da?' Ich gab ihr zur Antwort: 'Das ist Kafka'. Sie blickte mich verständnislos an und rief nach dem Chef des Sicherheitsdienstes, und der wusste, wer Kafka ist und las seinen Brief. Von da an sprachen wir zwei Stunden lang über Kafka und ich musste ihm erklären, was ich mit einem nackten, bewaffneten Juden an der Grenze zu suchen habe. Ich erklär­te ihm, dass ich an der Grenze zum Libanon, zu Syrien und Jordanien gewesen sei und ei­nes Tages in Tel Aviv erwachte und an den Strand von Gaza gefahren bin und fragte: 'Werden Sie mich nun  erschießen, weil ich Ihnen nicht erklären kann, warum ein nackter Jude an der Grenze eine Waffe trägt?' Er lachte und ließ mich gehen, denn er sah, dass es wirklich Kafka war. Als ich mich umdrehte, um zu gehen, hielt er mich am Arm fest und sagte: 'Vergiss nicht, dass Dich mein Arm auch in Berlin erreichen kann.'  Nach diesem Vorfall ließ man mich im Laufe von zwei Tagen beobachten."

Künstler werden, um zu überleben

Den großen Schock erlitt März mit dem Ausbruch des israelischen Angriffs auf den Gaza­streifen im Dezember vorigen Jahres oder – wie er dies nennt – mit dem "Massaker". Das war drei Monate vor der Ausstellung in Herzliya. "Es war um 5.00 Uhr morgens, und in  Gaza brannte nicht ein einziges Licht", erinnert er sich. "Ich fragte einen der Soldaten, die ich sah, ob die 300 Tausend Einwohner dort keinen Strom hätten. Er antwortete mir, dass Strom da sei und sie ihn nur nicht benutzen würden. Ich war schockiert über die Nähe der Stadt zu Tel Aviv. Gaza ist eine Stadt wie Tel Aviv. Ich hätte niemals geglaubt, dass sie dies tun würden."

Glauben Sie, dass Sie vor Ihrem Besuch in Israel im Hinblick auf die Situation naiver waren?

"ch hatte schon immer das Gefühl, dass in sämtlichen westlichen Zeitungen Propagan­da beider Seiten dargestellt wird. Wenn ein Deutscher über Israel denkt oder spricht, so wird dies immer im Zusammenhang mit dem Holocaust geschehen. Ich hatte überhaupt viele Vorstellungen, bevor ich hierherkam, und hier wird alles erschüttert.  Am Anfang habe ich mich in die jungen Leute verliebt, die ich hier traf, aber beim zweiten Mal, als sich die Gespräche zunehmend  vertieften und die Leute mir von der Armee zu erzählen begannen, wurde dies zu einer Schreckensreise für mich. Alles war getränkt von Militaris­mus.

In sämtlichen Kritiken, die über die Ausstellung in Herzliya geschrieben wurden, wur­de Ihre deutsche Herkunft hervorgehoben und es war auch die Rede davon, dass es pro­blematisch sei, die israelische Realität von außen  kritisieren zu wollen. Was denken Sie darüber?

Menschen, die sich selbst als Linke definieren, traten mit einer Haltung an mich heran, die ausdrückt: 'Es gibt hier Dinge, die nicht in Ordnung sind, und wir kritisieren diese. Wir haben das Recht, Kritik an unserer Mutter zu üben, aber Sie als Außenstehender kön­nen nicht kommen und dasselbe tun.' Ich fragte sie, was wäre, wenn ihre Mutter eine Massenmörderin sei. Viele fragten mich, wie ich mich als Deutscher in Israel fühlen wür­de, und ich antwortete ihnen, dass ich mich nicht deutsch fühle und nicht wirklich wisse, ob dies Israel oder vielleicht Palästina sei. Mit diesen beiden Sätzen war es mir gelungen, die ganze Situation durcheinanderzubringen. An ihrer Meinung hat dies niemals etwas geändert, aber zuweilen sah ich, dass sie darüber noch niemals zuvor nachgedacht hatten. Als Deutscher kann ich nicht daherkommen und das System als faschistisch bezeichnen. Also versuchte ich, dies mit Humor zu tun – Kafka zu töten und ihn in seinen privaten Himmel zu befördern. Dazu musste er erhängt werden.

Was ist eigentlich der Grund für die Anziehungskraft, die Kafka auf Sie ausübt?

Walter Benjamin und Hannah Arendt gehörten zu den Bewunderern Kafkas, so dass ich das Gefühl hatte, ich müsse selbst herausfinden, wer Kafka eigentlich war. Wir alle ha­ben Kafka zwar in unserer Schulzeit am Gymnasium gelesen, aber das ist nicht dasselbe. Ich hatte die Vorstellung von einer bedauernswerten Person, die nicht in das System und die Allgemeinheit passte und diese immer wieder bekämpft hat, bis er eines Morgens schlicht verboten wurde. Die meisten der Geschichten Kafkas sind ziemlich negativ und enden mit dem Tod. Im Unterschied zu einem Witz wird eine Schreckensgeschichte all­mählich erzählt und die Spannung bis zum Verrücktwerden ausgedehnt. Die einzige posi­tive Geschichte, die mir einfällt, ist 'Ein Bericht für eine Akademie', und in dieser wählt der Affe den Weg der Anpassung an die Menschen und beschließt, nicht in den Zoo zu ge­hen, der als Metapher für das Büro und das graue Leben steht, sondern in den Zirkus, um Künstler zu werden. Dies ist die tatsächliche Geschichte Kafkas, und dies ist auch meine eigene Geschichte.

 

März wird in etwa zwei Wochen nach Israel zurückkehren, gleichzeitig mit dem Er­scheinen seines Künstlerbuches, das die gesamten Reisen Kafkas in Israel besiegelt. Das Buch enthält eine Sammlung sämtlicher Materialien zu seiner langjährigen Beschäfti­gung mit Kafka – Metaphorismen, ebenso wie die fiktiven Briefe, die er Kafka schreiben ließ und in welchen die erfundene Geschichte präsentiert wird, die er um das Leben und den Tod Kafkas gesponnen hat.

 

Aus dem Hebräischen von Yakhin Chava HaEvri

 

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