header image

Ausgabe 1, Band 9 – November 2018

 

Interview von Olga Amann mit Hannah Arendt (September 1960)

 

Arturo Moreno Fuica*

      

That even in the darkest of times

we have the right to expect some illumination.

̶  Hannah Arendt, 1968  ̶

 

 

In diesem Dokument wird ein bisher unveröffentlichtes Interview mit Hannah Arendt vorgestellt, das von Olga Amann am 29. September 1960 geführt wurde.1 Es wurde in Arendts Wohn- und Arbeitszimmer in der Dozentensiedlung der Universität Princeton aufgenommen. Das Gespräch ist Teil einer von Amann zusammengestellten Sendung des Bayerischen Rundfunks (Hörfunkarchiv: 60/10390), die sich mit dem Werk der Au­torin beschäftigt und insbesondere Kommentare zu Vita activa oder Vom tätigen Leben (1960; Orig. engl. The Human Condition, 1958) enthält sowie eine Lesung von Passagen aus dem Buch Rahel Varnhagen. Lebensgeschichte einer deutschen Jüdin aus der Ro­mantik (1958).2 Das archivierte Band weist eine Gesamtdauer von 19:25 Minuten auf, davon entfallen 8 bis 9 Minuten auf das Interview. Frau Sabine Rittner vom Histori­schen Archiv des Bayerischen Rundfunks weist darauf hin, dass seinerzeit die Aufnahme des Interviews geschnitten und nur die fertige Sendung archiviert wurde. Letztlich wird auch durch die Kommentare von Frau Amann deutlich, dass das aufgenommene Ge­spräch mit Hannah Arendt offensichtlich länger gedauert hatte. Das Rohmaterial, so Frau Rittner, wurde und wird in solchen Fällen oft nicht archiviert. Als Sendedatum gibt das Archiv den 03.10.1960 um 16:40 im 1. Programm an. Dieser Sendeplatz war fest für den Frauenfunk vorgesehen (16:40 bis 17:00 Uhr), und daraus erklärt sich auch die Länge des archivierten Tons mit etwas mehr als 19 Minuten. Neben Olga Amann, die das Interview in Princeton führte und die Kommentare verfasste, sind auf der Aufnah­me noch der Schauspieler, Hörspiel- und Synchronsprecher Ernst Schlott (als einführen­der Sprecher) und Ingeborg Hoffmann (als Leserin der Zitate) zu hören.3 Die Sendung trägt den Titel: “Ich eigne mich nicht für ein Interview …“ – Gespräch mit der Geschichtsphilosophin Hannah Arendt. Das Titelzitat ist Arendts erste briefliche Reakti­on auf Olga Amanns Ankündigung ihres Besuches für das Interview.4
   Die einleitenden Bemerkungen und Olga Amanns Kommentare sind von besonde­rem Interesse, da sie Hinweise auf das damalige öffentliche Ansehen Hannah Arendts geben. Zuerst wird Hannah Arendt als Schülerin von Karl Jaspers und Martin Heideg­ger präsentiert, die 1933 Deutschland verlassen musste und sich in ihrem Zufluchtsland und der späteren Wahlheimat5, den Vereinigten Staaten von Amerika, politischen und soziologischen Studien zuwandte. Sie wird weiterhin als „Literarhistorikerin“ bezeichnet – wegen ihrer Beiträge zu Franz Kafka, ihres Buches Vita activa oder Vom tätigen Leben und vor allem ihrer Biographie über Rahel Varnhagen. Minuten danach wird sie als „Geschichtsphilosophin“ von überragender geistiger Gestaltungskraft vorgestellt. Schließlich um die Schwierigkeiten der Kategorisierung der Arendtschen „Denkungs­art“ zu umgehen bezeichnet Amann sie als „eine Frau mit gesundem Verstand“, die „im Kreis kluger Köpfe zu den faszinierendsten“ gehöre. Wer wäre wohl besser dazu berufen eine Kategorisierung vorzunehmen als Arendt selbst? Im Jahre 1945 bekannte sie, „eine Art freier Schriftsteller geworden [zu sein], irgend etwas zwischen einem Historiker und einem politischen Publizisten“ (Arendt 1987, 59). Bekanntermaßen erklärt sie später im inzwischen legendären Fernsehgespräch mit Günter Gaus im Oktober 1964 unzweideu­tig, dass ihr „Beruf“ die „politische Theorie“ sei (Arendt 1997, 44). In der Sendung von 1960 wird ihr bescheinigt, eine „Verkörperung der Leidenschaft des Denkens“ zu sein, und es werden jene Worte (leicht abweichend vom Original!) zitiert, die sie in ihrer Rede am 28. September 1959 bei der Entgegennahme des Lessing-Preises der Freien und Hansestadt Hamburg formulierte: „Erst indem wir darüber sprechen, vermenschlichen wir das, was in der Welt, wie das, was in unserem eigenen Innern vorgeht, und in die­sem Sprechen lernen wir, menschlich zu sein“ (Arendt 1989, 41).
   Interessant ist auch, dass Arendt bereits damals als eine Autorin gesehen wurde, der „europäische und amerikanische Kritiker“ die von Amann zitierten Charakterisierungen „nachrühmen“. Heutzutage wird Arendts Werk als ein „Ort des Zwischen“ begriffen. Joachim Fest (2009, 176ff.) z.B. sieht sie „auf lauter Zwischenstationen“.6 Damit deutet sich eine weitere große Leistung Arendts an, nämlich eine intellektuelle „Brücke“ zwi­schen zwei Kontinenten gebaut zu haben. Amann behauptet in ihrem Kommentar, Arendt habe ihre Denkungsart von der alten in die neue Welt versetzt, und sie wirft da­mit ein Licht auf die Frage nach dem denkerischen Topos, aus dem heraus Arendt urteil­te.7 Im Rahmen des einführenden Kommentars wird außerdem eine Verbindung zwi­schen der körperlichen Gestalt und der Geisteshaltung der Autorin hergestellt. Sie sei eine „bewegliche Erscheinung“, in der die „ungewöhnlich leuchtenden, dunklen Augen dominierend“ bleiben. Bewegung und Stimme wirken gleichzeitig: „Es hat etwas Faszi­nierendes, sie sprechen zu sehen“! Die Interviewerin Olga Amann betont weiter, wie Arendt zögernd beginne und keine fertige „Antwort parat“ habe. Sie schließt ihre Be­schreibung mit den folgenden Worten: „Man spürt, wie sie sich den Gedanken und Vor­stellungen überlässt, die auf sie einströmen und ihr ins Wort fließen. Ich muss unwill­kürlich an einen Reiter denken, der sein Pferd erst ein Weilchen am losen Zügel traben lässt, um es dann mit sicherem Griff zu bändigen.“8

   Diese Radiosendung ist nicht mit dem Fernsehgespräch mit Günter Gaus von Okto­ber 1964 vergleichbar. Bedenkt man jedoch, dass Amann für Interview und Kommenta­re nur 11:30 Minuten der Sendung beanspruchte, dann wird deutlich, dass hier durch­aus Beachtliches geleistet wurde, um die Kardinalfragen des Arendtschen Ansatzes deutlich und konzise darzustellen.

Transkript des Interviews: Take 1

 Olga Amann:

Frau Arendt, worüber lesen Sie hier?

 Hannah Arendt:

Ich bin hier eingeladen worden von einem speziellen Department, von einer speziellen Fakultät der Universität für Amerikanische Zivilisation und Geschichte, und ich habe hier gelesen im Rahmen dieses Programmes über die Vereinigte Staaten und den Geist der Re­volution.

 OA:

Frau Arendt, Sie sind vor 1933 ja in Deutschland tätig gewesen und auch vielen Deutschen noch bekannt. Sie sind Schülerin von Karl Jas­pers und haben auch bei ihm promoviert über Augustin [kurze zustimmende Lautäußerung von Arendt] und Sie haben die Werke von Kafka mitherausge­geben, und kürzlich ist ja von Ihnen ein Buch über die Rahel von Varnhagen erschienen. [Arendt: „gut“ ] Also philosophische und literarische Arbeiten und hier in Amerika nun, sind Sie also doch mehr in das Politisch-Soziologi­sche hereingekommen. Hängt das mit Ihrer Übersiedlung nach Amerika zu­sammen? Würden Sie uns darüber was erzählen bitte?

 HA:

Ich glaube, das hängt weniger mit meiner Übersiedlung nach Amerika zusammen als mit den Dingen, die in der Zeit, in der ich lebte, in der Welt passiert sind. Ich habe ange­fangen mit Philosophie und habe Philosophie studiert, bis zum Jahre 1933. Und in diesem Zeitpunkt habe ich natürlich Deutschland nicht gerade freiwillig verlassen. Wie alle wis­sen, dass da bestimmte politische Dinge geschehen sind, die Juden zwangen Deutschland zu verlassen. Bei der Gelegenheit ist mir aufgefallen, dass Politik im Leben von Menschen eine Rolle spielen könnte und von daher – glaube ich – datiert mein Interesse an Politik und an politischer Theorie.

 OA:

Sie haben hier kürzlich ein hier sehr viel besprochenes Buch herausgegeben. Sie nennen es: The Human Condition [Chicago, 1958].

 HA:

Ja, wenn ich Sie unterbrechen darf. Ich habe es eigentlich so nicht genannt. Mein Ver­leger hat es so genannt, mein amerikanischer Verleger. Mein Titel für das Buch war „Vita activa“, also der lateinische Ausdruck für den Gegensatz zum kontemplativen Leben, der „Vita contemplativa“, dem aktiven Leben. Diesen Titel hat man mir natürlich nicht durchgehen lassen, weil er auf Lateinisch war. Der andere Titel kommt natürlich aus dem Buch und er ist sehr schwer ins Deutsche zu übersetzen. Sie alle wissen natürlich, dass er ursprünglich von [André] Malraux gebraucht wurde, La Condition humaine [Paris 1933]. Und … wenn man es überhaupt ins Deutsche übersetzen will, dann kann man sagen: die Bedingtheit des Menschen oder die Lage des Menschen in der Welt.

Transkript des Interviews: Take 2

 OA:

Frau Arendt, ich fürchte, nach all dem was Sie eben ge­sagt haben, habe ich wenig Glück, wenn ich Sie jetzt bitte, uns doch noch ein bisschen aus Ihrem persönlichen Leben zu erzählen.

HA:

Nein, da haben Sie wirklich kein Glück. Ich bin nämlich wirklich, wie ein Freund von mir zu sagen pflegte. Er sagte immer: Ich bin meiner Meinung [sie lacht]. Und ich bin in der Tat meiner Meinung. Ich bin nämlich der Meinung, dass mein Privatleben keinen Menschen was angeht.

 OA:

Ja, aber eine Frage, die doch einen weiteren Kreis interessieren wird. Sie sind also vor ungefähr 25 Jahren hierhergekommen. Deutsch war nicht nur Ihre Muttersprache, sie haben in Deutsch geschrieben und Sie schreiben jetzt Ihre Werke sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch. Das ist doch sehr schwierig, nicht?

 HA:

Ja, also erstens bin ich nicht vor 25 Jahren hierhergekommen, sondern ich bin vor − ich glaube − 18 oder 17 oder sonst hergekommen. Ich bin nämlich erst nach Frankreich gegangen. Und wenn Sie darüber sprechen, dass es schwer ist von einer Sprache in die andere, dann kann ich nur sagen: Dies ist nun natürlich meine dritte Sprache! Ich habe natürlich dazwischen acht Jahre Französisch gesprochen.

   Nun, diese Frage ist in der Tat keine persönliche Frage, sondern [es] ist das ja die Fra­ge, die eine ganze Gruppe von Menschen angeht, nämlich die ganze Gruppe der Emigrati­on, und sie ist sehr verschieden beantwortet worden von den einzelnen Menschen. Es hat unter den − gerade auch unter den großen Schriftstellern − Leute gegeben, die sich eisern geweigert haben, sogar Englisch zu lernen, z.B. Bert [Bertolt] Brecht. Es hat Leute gege­ben, die haben zwar Englisch gelernt, aber nur als eine Kommunikationssprache und ha­ben sich immer geweigert, wirklich Englisch zu schreiben, nämlich die wirklich großen Schriftsteller wie [Hermann] Broch, Thomas Mann usw. Es hat dann eine sehr große Gruppe von Menschen gegeben, die genau das Umgekehrte getan hat. Teils aus natürlich aus einem [sic] sehr verständlichen Erbitterung gegen das, was das Land ihnen angetan haben [sic], haben sie gesagt: Wir wollen diese Sprache nicht mehr sprechen! Das kann man verstehen. Und sie haben dann wirklich angefangen, nur noch die andere Sprache zu sprechen, obwohl auch sie als ganz erwachsene Menschen aus dem Lande weggegangen sind.

   Nun, ich bin ja ursprünglich nicht in dem Sinne eine Schriftstellerin, ich war von vornherein der Meinung, eine Muttersprache kriegt man nur einmal. Ganz egal, wieviel Sprachen ich lerne, oder ganz egal, wie gut ich sie lerne, es wird nie meine Muttersprache sein. Das heißt aber nicht, dass ich nicht versuche, die andere Sprache so gut zu lernen wie ich irgend kann. Trotzdem und obwohl ich heute ja eigentlich im Wesentlichen Eng­lisch schreibe, schreibe ich Englisch mit einer gewissen Distanz. Und, wenn ich die Mög­lichkeit habe, Deutsch zu schreiben, so bin ich immer noch sehr zufrieden. Und ich habe immer darauf geachtet, dass mein Deutsch einigermaßen anständig bleibt, d.h. dass mir die andere Sprache nicht hereinschlägt in das Deutsche.

 OA:

Man spricht ja nicht nur die Sprache, sondern man denkt ja auch in einer Sprache. Und ich kann also doch wohl sagen, dass Sie in der alten Welt und in der neuen Welt denken.

 HA:

Ja, das ist natürlich weitgehend richtig. Man kann gar keine Sprache sprechen, wenn man nicht in ihr denkt. Nun ist die Sache so. Die englische Sprache − und nicht ganz so die französische − eignen sich in der Tat unvergleichlich besser, politisch zu denken, weil ja die politische Tradition dieser Länder eine viel größere ist und infolge dessen auch die Tradition des politisch Gedachten. Andererseits, nun ich brauche Ihnen nicht zu sagen, was die große Tradition der deutschen Philosophie ist. Die hat natürlich zur Folge gehabt, dass es unvergleichlich leichter ist, einen philosophischen Tatbestand auf Deutsch zu sa­gen und zu denken, als auf sicher auf Englisch und wieder etwas weniger auf Französisch.

   Aber nun, um auf diese ganzen Fragen noch ein anderes Licht zu werfen. Sehen Sie, dadurch, dass man anfängt, in einer anderen Sprache nicht nur zu sprechen, sondern zu denken, erweitert sich, wenn man die eigene Sprache nicht aufgibt – nur unter dieser Be­dingung … Aber wenn man das nicht tut, dann erweitert sich das ursprüngliche Denkver­mögen, sowohl wie das Sprechvermögen. Und, wenn Sie jetzt mit den Erfahrungen, die Sie oft, ohne es richtig zu wissen, in der anderen Sprache im Denken und im Sprechen und im Schreiben, und im Lesen natürlich, gemacht haben, zu Ihrer eigenen Sprache zu­rückkommen, dann merken Sie etwas sehr Komisches. Statt sie vergessen zu haben, ist sie Ihnen eher irgendwie näher zugewachsen. Sie sind in ihr souveräner. Sie entdecken in ihr Möglichkeiten, die Sie vorher nicht gehabt haben. Sie haben bestimmte Manierismen − die hat jeder Mensch – abgestreift, dadurch, dass Sie durch eine andere Sprache gegan­gen sind, in denen dies nicht möglich war. Sie bekommen ein reineres Verhältnis dazu. Aber all dies nur dann, wenn Sie immer sich gesagt haben: Es gibt nur eine Mutterspra­che, und ich habe nicht die Absicht sie aufzugeben.

 

Die Sendung endet mit einer Kollage (man ist fast versucht zu sagen, à la Benjamin) aus Gedanken des Buches über Rahel Varnhagen.

Bibliographie

Arendt 1987 – Arendt, Hannah; Jaspers, Karl, Briefwechsel 1926-1969 [1985]. Mün­chen ²1987.

Arendt 1989 – Arendt, Hannah: Menschen in finsteren Zeiten [1968]. München ²1989.

Arendt 1990 – Arendt, Hannah: Rahel Varnhagen. Lebensgeschichte einer deutschen Jüdin aus der Romantik [1958]. München ⁸1990.

Arendt 1996 – Arendt, Hannah: Vita activa oder Vom tätigen Leben [1958]. München ⁸1996.

Arendt 1997 – Arendt, Hannah: Ich will verstehen. Selbstauskünfte zu Leben und Werk. München ²1997.

Arendt 2005 – Arendt, Hannah: „Die Sonnig-Preis-Rede. Kopenhagen 1975“. In: TEXT+KRITIK. Heft 166/167 (2005), 3-12.

Arendt 2016 – Arendt, Hannah; Anders, Günther: Schreib doch mal hard facts über Dich. Briefe 1939 bis 1975, Texte und Dokumente. München 2016.

Fest, Joachim: Begegnungen. Über nahe und ferne Freunde. Reinbek bei Hamburg ³2009.

Ludz, Ursula: „Zweisprachigkeit“. In: Heuer, Wolfgang / Heiter, Bernd / Rosenmüller, Stefanie (Hrsg.): Arendt-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart 2011, 12-20.

Vowinckel, Anette: Hannah Arendt. Zwischen deutscher Philosophie und jüdischer Politik. Berlin 2004.

Wild, Thomas: Hannah Arendt. Frankfurt am Main 2006.

Wild, Thomas: Nach dem Geschichtsbruch. Deutsche Schriftsteller um Hannah Arendt. Berlin 2009.

*Dr. Arturo Moreno Fuica, chilenischer Politologe und promovierte an der Universität Heidelberg über die politische Theorie Hannah Arendts, arbeitet jetzt an biopolitischen und bioethischen Fragestellungen.

1 Ich bedanke mich beim Historischen Archiv des Bayerischen Rundfunks, besonders bei seiner Leiterin, Frau Sabine Rittner, die mir die Aufnahme zur Verfügung gestellt und die Publikation des Interviews genehmigt hat. Die Transkription habe ich selbst besorgt, sie wird hier ohne editorische Eingriffe veröffentlicht.

2 Das Interview steht in der „Liste der Rundfunk- und Fernsehsendungen von oder mit Hannah Arendt“ in der Bibliographie von Hannah Arendt.net. Zeitschrift für politisches Denken mit der laufenden Nummer 15, siehe http://www.hannaharendt.net/index.php/han/pages/view/liste (08.10.2014). Sie wurde von Ursula Ludz im Jahre 2007 zusammengestellt. Ludz zitiert eine kurze Passage aus dem Interview in ihrem späteren Artikel „Zweisprachigkeit“ (Ludz 2011, S. 13).

3 Olga Amann hat in den 1950er Jahren einige Sendungen für den BR gemacht, ebenso Ingeborg Hoffmann und Ernst Schlott. In Bezug auf die hier veröffentlichte Ausstrahlung gibt es aber leider nur wenige Hinweise zu den drei an der Sendung Beteiligten. Sie waren freie Mitarbeiter, die gelegentlich für den Rundfunk gearbeitet haben, und von denen keine Personalunterlagen oder ähnliches existieren.

4 Der komplette Satz lautet: „Ich glaube, dass ich mich nicht gut für ein Interview eigne.“

5 In ihrer Sonning-Preis-Rede am 18. April 1975 in Kopenhagen erklärt Arendt, dass sie „ganz freiwillig und in bewusster Absicht, ein Bürger der Vereinigten Staaten wurde, weil diese Republik in der Tat ein ‘government of law and not of menʼ darstellte“ (Arendt 2005, 3). Die „politische“ Bindung an die Vereinigten Staaten wird von Arendt häufig reflektiert. In einem Brief am 29. Dezember 1959 an Günther Anders schreibt Arendt in diesem Sinne erklärend: „[…] Du denkst doch nicht im Ernst, dass ich ‘Amerikanerinʼ bin. Ich habe den Pass (das schönste Buch, das ich kenne, nämlich ein Pass) und ich habe das Land ganz gern und komme mit ihm so im allgemeinen einigermaßen zu Rande“ (Arendt 2016, 82). Ein Widerspruch? Zugespitzt formuliert könnte dies bedeuten: So sehr sie sich politisch den USA verbunden fühlte, so sehr fehlte diese Bindung hinsichtlich sozialer Gruppen. Politische und soziale Zugehörigkeit werden von der Autorin in der Tat immer getrennt verstanden.

6 In der gleichen argumentativen Linie schreibt auch Thomas Wild (2006, 7) in seiner Einführung über die Autorin: „Zwischen den Kontinenten – das ist in vielerlei Hinsicht ein treffendes Bild für den ‘Ort’ Hannah Arendts: zwischen Europa und Amerika, zwischen Deutschland und den USA, zwischen Philosophie und Politik, zwischen akademischer und nichtakademischer Welt. Ein Standort ohne feste Verankerung. Ein Ort, der nicht von vornherein festlegbar ist, sondern erst in der Vielfalt seiner wechselnden Bezüge sichtbar wird und Gestalt annimmt.“ Anette Vowinckel (2004, 118ff.) platziert Arendt zwischen deutscher Philosophie und jüdischer Politik, womit sie die ganze Widersprüchlichkeit ihrer Existenz erklären will: „Sie war eine Deutsche und doch keine Deutsche, sie war Jüdin und doch keine Jüdin“ (Ebd., 126). Vowinckel vertritt auch die Meinung, dass Arendt „wohl gerade deshalb zum beliebten Studienobjekt [wurde], weil sie die deutsche und die jüdische Geisteswelt gleichermaßen repräsentierte“ (Ebd., 125).

7 Thomas Wild malt ein sehr schönes Bild der Parallelität, die mit dem Arendtschen denkerischen Topos gut einhergeht. Aus einem Gespräch mit Hilde Domin (1. März 2003) schildert Wild die folgende Szene: Er zitiert eine Passage aus Das zweite Paradies (erschienen 1968) der Dichterin: „‘Auf dem Atlantik’, sagte eine, ‘bau ich mein Haus. Beide Kontinente sind unmöglich. Ich lebe zwischen ihnen.’“ Diese „eine“, die dies sagt, wurde auch nach Jahrzehnten schnell wiedererkannt. Domins sofortige Reaktion: „Ja! Ja, das ist sie! Das ist Hannah Arendt!“ (Wild, 2009, 86)

8 Eine ähnliche Metapher findet sich in einem Brief von Karl Jaspers am 13. Oktober 1956 wieder: „Was für ein Leben haben Sie geführt! Es ist Ihnen geschenkt und von Ihnen erworben in einer Standhaftigkeit, die des Unheils, dieses uns meist aufreibenden von außen kommenden Entsetzens, Herr wurde, und in einer wunderbaren Kraft nobler Antriebe, die noch Ihre Sie bedrohende Weichheit, noch Ihre gefährliche Unfestigkeit, noch Ihr ‘Vergaloppierenʼ verwandelte in Sinnmomente Ihres Wesens“ (Arendt 1987, 337).