Ausgabe 1, Band 7 – November 2013
Barbara Holland-Cunz: Gefährdete Freiheit. Über Hannah Arendt und Simone de Beauvoir. Opladen u.a.: Budrich 2012 (Judith Coffey)
Barbara Holland-Cunz hat ein Buch vorgelegt, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, das theoretische Werk von Hannah Arendt und Simone de Beauvoir in Dialog miteinander zu bringen. Sie fokussiert ihren Vergleich auf die Freiheitskonzepte der beiden Theoretikerinnen, die sie als besonders geeignet erachtet, um „sich dem inneren Kern der Politischen Theorien Arendts und Beauvoirs zu nähern“ (S. 14): „Das Freiheitskonzept ist das spannungsreiche Zentrum beider Werke“ (ebd.), so Holland-Cunz. Die Beschäftigung mit den Freiheitskonzepten von Beauvoir und Arendt geht jedoch über den direkten Theorienvergleich hinaus und verfolgt unter anderem – ausgehend von dem etwas lose formulierten Befund, der Freiheitsbegriff werde im Feminismus vernachlässigt (vgl. S. 14) – das Ziel, aus Arendts und Beauvoirs Überlegungen zur Freiheit Ansätze für die heutige feministische Theorie und Praxis zu gewinnen.
Dafür werden Beauvoirs und Arendts Überlegungen in vier großen Schritten nachgezeichnet, denen jeweils grob ein Kapitel bzw. das Fazit entspricht: Einer Skizze des emphatischen Freiheitsbegriffs und seines Weltbezugs folgt ein Kapitel über die Topoi der Freiheitsangst (Beauvoir) bzw. des Weltverlusts (Arendt) sowie eines über Arendts und Beauvoirs jeweilige Betrachtung von Natur und Körperlichkeit. Das Fazit wendet sich schließlich dem Verhältnis von Befreiung und Freiheit zu. Holland-Cunz verschränkt dabei zumeist die Analyse der beiden theoretischen Werke sehr eng miteinander, ein Vorgehen, mit dem sie überzeugende große Linien nachzeichnen kann, bei dem aber möglicherweise manchmal die jeweilige Eigenlogik der Argumentation von Arendt bzw. Beauvoir etwas zu kurz kommt. Vorausgeschickt werden den vergleichenden Analysen kurze Kontextualisierungen im Hinblick auf die Ideen- und Begriffsgeschichte der ‚Freiheit‘ sowie aktuelle freiheitstheoretische Ansätze.
Die so emphatisch und mitunter voll Pathos entworfene Freiheit ist jedoch, so argumentiert Holland-Cunz im nächsten Schritt gegen Ende von Kapitel 3 und in Kapitel 4, beständigen Gefährdungen ausgesetzt. Vor allem bei Arendt sei der „fragile[...] innere[...] Kern“ (S. 62) wesenhaftes Merkmal der Freiheit: „Ohne Zerbrechlichkeit kann Freiheit gerade nicht gedeihen, ohne ihre Zerbrechlichkeit gedeiht nur willkürliche Herrschaft. [...] Das Ephemere zeichnet wahre Freiheit aus.“ (ebd.) Sowohl bei Arendt als auch bei Beauvoir werde Freiheit immer in Relation zu Herrschaft gedacht: So argumentiert Holland-Cunz, indem sie Beauvoirs Begriff der ‚Freiheitsangst‘ und Arendts Topos des ‚Weltverlusts‘ parallelisiert. Damit hebt Holland-Cunz nicht nur die intersubjektiven Dimensionen der beiden Freiheitskonzeptionen hervor, sondern betont auch, dass sie – trotz oder gerade wegen der affektiven Aufladung – im ‚Realismus‘ wurzeln, d.h. in einer konkreten Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse.
Im darauf folgenden Kapitel wendet Holland-Cunz sich Arendts und Beauvoirs „Betrachtung der Naturseiten“ des Menschen (S. 92) zu. Hier erschließt sich der Zusammenhang mit dem Vorhergehenden und damit der Argumentationsfaden nicht unmittelbar. Eingeleitet wird das Kapitel lediglich mit einigen Bemerkungen darüber, dass dieser Aspekt des Menschlichen und damit die Bestimmung des Verhältnisses von Natur und Kultur seit der Antike immer integraler Bestandteil politischer Anthropologien war: „Arendts und Beauvoirs Politische Theorien wären jedoch keine überzeugenden Modelle einer politischen Anthropologie gefährdeter Freiheit, ließen die beiden Theoretikerinnen ausgerechnet diejenigen Dimensionen des menschlichen Lebens außer Acht, die wesentlich in das Gebiet der Anthropologie gehören und uns nicht nur als durch Kultur bestimmte, sondern zugleich auch als durch spezifische Naturbedingungen geprägte Wesen beschreiben.“ (S. 91) In der Folge arbeitet Holland-Cunz heraus, dass sowohl bei Arendt als auch bei Beauvoir, wenn auch auf etwas unterschiedliche Weise, ‚Natur‘ als Notwendigkeit und Zwang thematisiert wird. Damit kristallisiert sich heraus, was implizit den Kern dieses dritten Argumentationsschrittes ausmacht: Es geht darum zu bestimmen, welche Vorstellung vom Menschen in Arendts und Beauvoirs Freiheitskonzeption jeweils enthalten ist. Holland-Cunz macht bei beiden eine Trennung zwischen dem Mensch als Spezies oder Gattungswesen einerseits und dem „‚eigentliche[n]‘ Menschsein“ (Arendt, S. 94) bzw. dem Menschen als „historische Idee“ (Beauvoir in Rekurs auf Merleau-Ponty, S. 105) auf. Daraus entsteht eine produktive Spannung zwischen (vereinfacht gesagt) den Kräften, die der Freiheit im Wege stehen (Herrschaftsverhältnisse und die damit verwobenen ‚biologischen Notwendigkeiten‘) und dem hohen Anspruch an das menschliche Individuum, die Anstrengungen und Risiken der Freiheit dennoch (oder wieder: gerade deswegen) auf sich zu nehmen. Darin schließt sich der Kreis zu Kapitel 3, wo es um das ‚Heroische‘ der Freiheitskonzeptionen ging. Schade nur, dass die Frage, wie Beauvoir und Arendt den Menschen denken und damit auch, an welche Menschen der Appell zur Befreiung und zum Kampf um die Freiheit implizit gerichtet ist, von Holland-Cunz letztendlich offen gelassen wird.
Im letzten Kapitel (Fazit) präzisiert Holland-Cunz schließlich, wie Befreiung und Freiheit bei Arendt und Beauvoir gedacht werden. Befreiung stellt dabei lediglich die Grundvoraussetzung für Freiheit dar, die immer erarbeitet, erkämpft und gestaltet werden muss – bei Arendt im öffentlichen Sprechen darüber, bei Beauvoir in „selbstvergessener schöpferischer Tätigkeit“. Holland-Cunz weist darauf hin, dass die Gestalt der auf diese Weise zu erringenden Freiheit nicht im Vorhinein bestimmt werden kann, sondern sich immer erst im jeweiligen kommunikativen Prozess konkretisiert. Daran wird noch einmal sehr deutlich, dass Freiheit in beiden Freiheitskonzepten immer intersubjektiv bzw. kollektiv gedacht ist, als „Freiheit-als-Bindung“ (S. 120).
Insgesamt wirft das Buch sehr interessante Fragen auf und liefert einen guten Einblick in die Art und Weise, wie Arendt und Beauvoir Freiheit jeweils denken. Die Fragen, um die das Buch kreist – gefährdete bzw. riskante Freiheit, Freiheit-als-Bindung, Freiheit als zu unternehmende Anstrengung, Freiheit als etwas noch zu Entwerfendes – sind höchst relevant im Zusammenhang mit aktuellen Ansätzen feministischer Ethik und des New Feminist Materialism. Eine Vertiefung in das jeweilige Menschenbild bei Beauvoir und Arendt, hätte hier zusätzlich wichtige Impulse liefern können.
Der direkte Vergleich und der Versuch, Gemeinsamkeiten und Synergien zwischen beiden Theoriekomplexen zu finden, trägt dazu bei, dass diese Fragen besonders deutlich hervortreten. Gleichzeitig scheint das an einigen Punkten auf Kosten der Komplexität der jeweiligen Argumentationslogik zu gehen, sodass der Vergleich stellenweise etwas forciert wirkt. So wendet sich Holland-Cunz beispielsweise auf der Suche nach einem Beauvoir’schen Pendant zu Arendts ‚Zerbrechlichkeit‘ der Freiheit dem Roman L’Invitée (dt. Sie kam und blieb) zu (S. 63 ff.). Die Parallele zwischen dem Zerbrechen der Figuren an den eigenen Freiheitsanforderungen (bei Beauvoir) und der wesenhaften Zerbrechlichkeit der Freiheit (bei Arendt) bleibt an der Oberfläche der Wortähnlichkeiten, führt aber dazu, dass dem Roman in seiner Komplexität nicht annähernd Genüge getan werden kann. Die Argumentation scheint nur zu funktionieren, indem (neben anderen biographischen und interpretatorischen Kurzschlüssen) der Schluss für nichtig erklärt wird: „Das Ende des Romans ist für mich misslungener Text und konterkariert seine philosophischen Inhalte und literarischen Qualitäten.“ (S. 66)
Abhilfe hätte hier vielleicht eine genauere Analyse der Unterschiede zwischen Arendt und Beauvoir leisten können. Holland-Cunz benennt zwar die Tatsache, dass die beiden Theoretikerinnen jeweils unterschiedliche Zielsetzungen verfolgen, insbesondere in ihrer Unterscheidung zwischen Freiheitsangst und Weltverlust, und indem sie „demokratische Macht“ als Arendts und „Entwurf in die Welt“ als Beauvoirs „rote[n] Faden“ (S. 59) identifiziert. Doch die Unterschiede werden letztendlich in ihren Implikationen für das jeweilige Freiheitskonzept nicht wirklich greifbar, weil Holland-Cunz ihren Fokus auf die Gemeinsamkeiten legt. Und in diesen von Holland-Cunz herausgestellten Gemeinsamkeiten liegen, um es noch einmal zu betonen, eine Reihe sehr interessanter Denkanstöße. Der Vergleich zweier dem Existenzialismus zugeordneter Philosophinnen, die etwa zur selben Zeit an ähnlichen Themen arbeiteten, nämlich der Möglichkeit von Freiheit für alle qua Geburt, stellt deutlich heraus, dass beide als Vorreiterinnen von und Impulsgeberinnen für feministische Argumentationsweisen gelten können, auch wenn sie sich, wie Arendt, selbst nicht als Feministinnen sahen. Holland-Cunz hat mit ihrem Buch in dieser Hinsicht einen wichtigen Beitrag zur historischen Aufarbeitung und Kontextualisierung aktueller Debatten vorgenommen.
Anmerkung
1Mit Hilfe dieser Formel kann Holland-Cunz zwar die affektive Dimension der emphatischen Freiheitsentwürfe Arendts und Beauvoirs aufrufen und damit implizit thematisieren. Dennoch wäre es lohnend gewesen, an dieser Stelle explizit auf affektpolitische Aspekte einzugehen und damit noch deutlicher herauszuarbeiten, was die Anziehungskraft dieses Freiheitsbegriffs ausmacht – und welche problematischen Effekte damit möglicherweise verbunden sein könnten.