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Ausgabe 1, Band 4 – Mai 2008

Die Sorge um die Welt und die Freiheit des Handelns. Zur institutionellen Verfassung der Freiheit im politischen Denken Hannah Arendts.

Dissertationsvorhaben

Jürgen Förster

 

Mit dem Werk Hannah Arendt verbindet sich die Assoziation einer emphatischen Beschwörung des revolutionären Neuanfangs. Insofern sehen viele Interpreten in ihr eine Vertreterin der Praxisphilosophie. Im Zentrum ihres Werks stehe die Freiheit des Handelns. In diesem Sinne betone sie die kommunikative, nichtinstitutionalisierte Macht der Zivilgesellschaft und erachte Revolutionen als nachdrücklichste Erscheinungsform menschlicher Freiheit. Insgesamt bewege ihr Denken ein starker anarchistischer Affekt gegen Institutionen. Institutionen sind hier mit Stabilität, Dauerhaftigkeit und Kontinuität assoziiert. Institutionen befördern Routine und Tradition. Sie schränken die menschliche Handlungsfreiheit ein. Gerade im Falle der Revolution, als Extremfall institutionellen Wandels, wird das Spannungsverhältnis von Handel und Institution offenbar. Diese Leseart ist nicht falsch, aber einseitig. Ihr muss es unerklärlich bleiben, warum Hannah Arendt den Institutionen eine "Heilkraft" (Über die Revolution, 226) zuspricht. Demgegenüber möchte ich zeigen, dass Dauerhaftigkeit neben der Freiheit der zweite wesentliche Begriff ihres Denkens ist. Aus diesem Grund nimmt das Nachdenken über die "Institutionen der Freiheit" (Über die Revolution, 281) einen bedeutenden - wenn auch bisher kaum wahrgenommenen - Raum in ihrem Werk ein. Gleichwohl ist sie keine Institutionentheoretikerin im strengen Sinne. Was sie interessiert, sind nicht die Institutionen als solche. Sie fragt vielmehr nach der Beziehung zwischen den Bürgern und ihren politischen Institutionen. Ihre Perspektive lässt sich durch folgende Fragen umreißen: Was verleiht politischen Institutionen ihre autoritative, dauerhafte, integrative Kraft? Wie müssen Institutionen strukturiert sein, um freiheitliches Handeln zuzulassen und zu befördern? Wann und warum verlieren Institutionen ihre Autorität und folglich die Unterstützung durch die Bürger?

Das Dissertationsprojekt verfolgt das Ziel, das Verhältnis von politischem Handeln und institutioneller Ordnung angemessener und ohne Verabsolutierungen eines der beiden Pole zu fassen, indem Arendt versucht, das tertium herauszustellen. Bereits im Arendtschen Verständnis von Revolution als eine "Gründung der Freiheit" (Über die Revolution, 85) wird deutlich, dass freiheitliches Anfangen und institutionalisiertes Bewahren nicht voneinander getrennt werden können. In ihm sind progressive und konservative Elemente miteinander vermittelt. Hannah Arendt ist keine Vertreterin der Theorie permanenter Revolution, die in der Verfassungsgebung das Ende der Revolution und den Tod der Freiheit erblickt. Sie erblickt gerade den Akt der Verfassungsgebung als das eigentlich Revolutionäre. In ihm wird der Grund gelegt, auf dem alles weitere Handeln vollzogen werden kann.

Die Dissertation möchte die Frage beantworten, warum Arendt der Dauerhaftigkeit ein solches Gewicht beimisst. Sie verfolgt bei der Beantwortung zwei Argumentationslinien. Im Zentrum des ersten Argumentationsstrangs steht die Rekonstruktion ihrer Imperialismusanalyse. Die Rekonstruktion zeigt, dass das Problem des Imperialismus für Hannah Arendt vor allem in einer Zerstörung der politischen Institutionen und Regelungen des Nationalstaates besteht. Der zweite Argumentationsstrang analysiert unter systematischer Fragestellung ihren Handlungsbegriff. Auf dieser Ebene wird sich zeigen, dass der Handlungsbegriff, trotz aller emphatischen Betonung der menschlichen Spontaneität und Natalität, eine tiefe Aporie aufweist. Hannah Arendt ist sich der Gefährlichkeit des menschlichen Handelns durchaus bewusst. Die Lösung dieser Aporien des Anfangs liegt für Arendt in einer institutionellen Begrenzung, die die Freiheit des Handelns zwar einschränkt, aber durch diese Begrenzung allererst ermöglicht. Dies wird einerseits durch eine Rekonstruktion des Begriffs des Versprechens und andererseits durch eine Interpretation von Über die Revolution gezeigt. Am Ende soll dann das eigentümliche Freiheitsverständnis offenbar werden, das auf Pluralität beruht und das Freiheit weder im Sinne der Souveränität noch im Sinne der Willensfreiheit oder Autonomie versteht.