Ausgabe 1, Band 3 – Mai 2007
Macht und Verfassung im Werk Hannah Arendts
Hauke Brunkhorst
So wie Arendt den Begriff zunächst einführt, ist politische oder kommunikative Macht eine ebenso negative wie flüchtige Erscheinung. Sie ist negativ, weil Macht nur erscheint, um Herrschafts- und Gewaltverhältnisse, die nicht mehr durch „die lebendige Macht des Volkes“ gedeckt sind, zu vernichten, und sie ist flüchtig, weil sie erst im öffentlichen Handeln einer Gruppe von Bürgern entsteht und in dem Augenblick vergeht, in dem die Versammlung sich wieder auflöst. Arendt selbst hat jedoch, ohne sich je Rechenschaft darüber abzulegen, im Übergang von Vita Activa zu Über die Revolution die handlungstheoretische Einseitigkeit und mit ihr den Dualismus von Macht und Gewalt überwunden und den (negativ) handlungstheoretischen um einen strukturellen Begriff (positiv) gründender Macht, die sich in den Institutionen einer revolutionären Verfassung verkörpert, ergänzt. Damit nimmt sie den Faden einer Theorie struktureller Macht wieder auf, den sie bereits in ihrer großen Totalitarismusstudie geknüpft hatte und entwickelt am Beispiel der Revolutionsverfassung eine Alternative sowohl zur strukturellen Gewalt totalitärer Macht wie zur negatorischen Flüchtigkeit kommunikativer Handlungsmacht. Der Zugang zur Komplexität ihres Machtbegriffs ist jedoch bis heute durch die Fixierung der kritischen ebenso wie der apologetischen Arendt-Rezeption auf den Dualismus von Macht und Gewalt blockiert worden.
I. Macht
Theorie Macht | Handlung | System |
Repressiv | (1) Subjektive Verfügungsmacht | (3) Strukturelle Gewalt/ Ideologie |
Konstitutiv | (2) Kommunikative Handlungsmacht | (4) Produktive Diskursmacht/ objektiver Geist |
Tabelle 1: Dimensionen gesellschaftlicher Macht (nach Strecker)
Ich will das kurz erläutern:
Aktororientierte Repressionstheorien. Das ist der klassische Fall, den Weber bei seiner berühmten Definition der Macht als Chance, andern seinen Willen aufnötigen zu können, im Auge hatte. Macht ist die Fähigkeit (potentia) einer Person oder einer Gruppe von Personen, andere Personen oder Gruppen von Personen bindenden Entscheidungen zu unterwerfen. Macht ist dieser Theorie zufolge an die Intention eines handelnden Akteurs gebunden, sich vergegenständlichte soziale Prozesse subjektiv verfügbar zu machen.
Aktororientierte Konstitutionstheorien. Konstitutive Macht entsteht in öffentlichen Kommunikationen, die gemeinsames Handeln im Widerstreit ermöglichen. Die besten Beispiele sind Arendts und Habermas Theorien öffentlicher oder kommunikativer Macht. Kommunikative Macht entsteht im spontanen, niemandem subjektiv verfügbaren Handlungsvollzug zwischen verschiedenen Akteuren, und sie ermöglicht dadurch ihre Selbsterzeugung und Selbststeigerung. Sie ist nicht einfach, wie Arendt gelegentlich mit Burke sagt, acting in concert, sondern, wie alle ihre Beispiele zeigen, acting in concert and conflict. Sie erfordert kommunikative Abweichung, Negation, Konfrontation, Widerspruch. Sie ist eine „Macht des Negativen“ (Hegel).
Das klassische Paradigma einer Struktur- oder Systemtheorien repressiver Macht ist der Ideologiebegriff von Marx ebenso wie Max Webers Begriff bürokratischer Herrschaft. Ideologie ist ein falsches Selbstverständnis, das die Stabilisierung asymmetrischer Herrschaft dadurch ermöglicht, dass es sie verschleiert. Marx nennt die Ideologie auch notwendig falsches Bewusstsein, Habermas spricht von systematisch verzerrter Kommunikation. Gemeint ist damit ein kommunikatives Einverständnis, das den Akteuren durch überlegene, in den Institutionen und sozialen Strukturen unauffällig verkörperte Gewalt aufgenötigt wird. Sie fügen sich auch ohne drohende Sanktion und aus eigenen Stücken Verhältnissen empörenden Unrechts, die als ungerecht und unabänderlich erfahren oder gar – aufgrund ihrer Sozialisation, geschichtlichen Lage etc. – für legitim, ertragenswert, gottgegeben halten. Häufig wird auch der Begriff der strukturellen Gewalt (Offe, Galtung) verwendet, um zu beschreiben, dass Herrschaft sich dadurch stabilisiert, dass die Gewalt, die sie den ihr Unterworfenen antut, dauerhaft latent bleibt.
Hannah Arendt, deren Machttheorie bislang immer nur handlungstheoretisch, als Unterscheidung von Macht und Gewalt bzw. konstitutiver (Tabelle 1, Zelle 2) und repressiver Handlungsmacht (Tabelle 1, Zelle 1) verstanden und rezipiert wurde, hat einen mindestens ebenso wichtigen Beitrag zur Unterscheidung von struktureller Repressionsmacht (Tabelle 1, Zelle 3) und konstitutiven Machtstrukturen, die kommunikative Machterzeugung dauerhaft ermöglichen (Tabelle 1, Zelle 4), geleistet.
Geht man auf die Streckersche Kreuztabellierung (Tabelle 1) zurück, so zeigt sich nicht nur, dass Arendts Theorie politischer Macht sehr viel komplexer ist als gemeinhin angenommen, sondern auch, dass sich jedes ihrer wichtigsten Bücher zum Thema Macht jeweils einer der Boxen zwanglos zuordnen lässt:
Theorie Macht | Handlung | System |
Repressiv | (1) Gewalt (On Violence) | (3) Imperiale Macht (Origins of Totalitarianism) |
Constitutive | (2) Acting in concert and conflict (Human Condition) | (4) Gründende Macht (On Revolution) |
Tabelle 2: Arendts Theorie politischer Macht.
Ich werde mich im Folgenden an die entstehungsgeschichtliche Reihenfolge halten und mit der imperialen Macht (II, III) beginnen. In der Totalitarismusstudie unterscheidet Arendt noch nicht zwischen Macht und Gewalt. Diese Unterscheidung führt sie erst in Vita activa ein. Dem Begriff imperialer Macht, der diese erste Entwicklungsphase ihrer politischen Theorie bestimmt, korrespondiert ein konstitutionalistisches Verfassungsverständnis (IV). Im zentralen vorletzten Abschnitt werde ich dann den Übergang von der kommunikativen Handlungsmacht zu ihrer institutionellen Verkörperung in revolutionären Verfassungen darstellen (V). Abschließend folgen zwei kritische Punkte (VI)
II. Strukturell repressive Macht
III. Imperiale Macht
IV. Konstitutionalismus
Arendt ist im (bis tief in die Sozialdemokratie wirksamen) Rechts- und Verfassungsdenken des deutschen Konstitutionalismus groß geworden, und letzterer hat die grundlegenden Kategorien ihrer politischen Theorie, trotz ihrer anfänglich großen Sympathien für die Französische Revolution und den Jakobinismus, bis Mitte der 1950er Jahre, also das Totalitarismusbuch und Vita Activa maßgeblich beeinflusst, und Motive des Konstitutionalismus bleiben in ihrem Werk, wie wir gleich sehen werden, auch dann noch wirksam, wenn sie ihn kritisiert und sich einem herrschaftsbegründenden Verfassungsverständnis zuwendet. Der rechtshegelianische Konstitutionalismus beruht auf drei kategorialen Unterscheidungen oder Dualismen, die auch Arendts Bollwerkthese zugrunde liegen:
V. Eine Verfassung der permanenten Revolution
Schon wenige Jahre nach dem Erscheinen von „Vita Activa oder Vom tätigen Leben“ vollzieht Arendt eine verfassungstheoretische Wende und entwickelt 1963 in „Über die Revolution“ die ganz andere Idee einer Verfassung, die dem Konstitutionalismus diametral entgegensteht. Jetzt erst, fast zwei Jahrzehnte nach Ihrer Flucht in die Vereinigten Staaten, eignet sie sich die amerikanische politische Theorie und das herrschaftsbegründende Verfassungsdenken der Founding Fathers an. Sie entdeckt, dass deren Verfassungsverständnis mit ihrer eigenen Idee der kommunikativen Macht des acting in concert and conflict (s. o. Tabelle 2, Zelle 2) eng verwandt, aber nicht mehr handlungstheoretisch, sondern strukturell auf die politischen Institutionen bezogen ist (Tabelle 2, Zelle 4).
Bei den Founding Fathers fand Arendt den Schlüssel zur Lösung des Problems: Machterhalt und Machtsteigerung durch Gewaltenteilung und Gewaltengliederung. Diese Lösung hat zwei Seiten, die Arendt selbst freilich nie scharf genug auseinander halten hat, eine funktionale (1) und eine normative (1):
die konstituierten Staatsgewalten und Staaten sich wechselseitig davon abhalten, ihre administrative Macht zu gebrauchen, um die „ursprüngliche“ kommunikative Macht „der Vielen“ zu „zerstören“, und dass
In einer herrschaftsbegründenden Verfassung muss Begrenzung und Steigerung der Macht so ineinander greifen, dass die Begrenzung die Steigerung hervorbringt. Aber nicht jede Begrenzung führt zur Steigerung kommunikativer Macht, sondern nur diejenige, die durch Begrenzung der strukturell repressiven Organisationsmacht (Tabelle 1, Zelle 3) eine strukturell konstitutive und potentiell emanzipatorische Macht (Tabelle 1, Zelle 4) stabilisiert. Das System der check and balances soll die administrative Macht der staatlichen Organe und Gliedstaaten (oder mit Arendt: der „Teilrepubliken“ – oder in der Schweizer Verfassung: der „Kantone“) durch reziproke Blockaden so begrenzen, dass eine Gesetzgebung von unten zustande kommt, in der sich die grenzüberschreitende kommunikative Macht des Volkes durch reziproke Verstärkung dezentrierter Öffentlichkeiten immer wieder von neuem zur gesetz- und verfassungsgebenden Gewalt formieren kann.
VI. Selbstwidersprüche
Soweit geht Arendt jedoch nicht. Sie möchte vielmehr die Dynamik und den inklusiven Sog politischen Handelns durch einen unpolitischen Gesetzesstaat und unpolitische Landesgrenzen abbremsen. Das liegt aber nur daran, dass sie den Konstitutionalismus nicht radikal genug kritisiert hat. Deshalb hat sie versucht, ihre Theorie kommunikativer Macht und herrschaftsbegründender Institutionen (1) mit dem (der US-amerikanischen Verfassung fremden) Dualismus von unpolitischen Rechten und politischen Organisationsnormen zu versöhnen und (2) mit der dualistischen Trennung von Innen- und Außenpolitik, von Volks- und Statssouveränität, die sie als konstitutionalistisches Relikt in der US-amerikanischen Verfassung vorgefunden hat, zu kompatibilisieren.
Trennt man hingegen Rechte als entpolitisierte Technik- bzw. Poiesis-Produkte kategorial, ontologisch oder transzendental von den Organisationsnormen der politischen Praxis ab, dann wird zumindest demokratische Politik, die eine Politik der Rechte ist, unmöglich gemacht. Die Rechte werden in den transzendentalen Himmel gehoben, um auf Erden im Augenblick ihrer feierlichen Verkündigung zu verstummen. Unmöglich wird dann, was die revolutionäre Verfassung doch bewahren, verstetigen und erweitern sollte: die egalitäre und inclusive Bildung kommunikativer Macht.
Die menschenrechtsskeptische Reduktion der Rechte auf den Nationalstaat und der Menschenrechte auf Staatsbürgerrechte, denen die Tautologie vom Recht auf Rechte nichts Neues hinzufügt, ist eine Besonderheit der Amerikanischen Verfassung. Diese hatte zwar in ihrer Unabhängigkeitserklärung (die ja Teil des geltenden Verfassungsrechts ist) bereits die nationalstaatlichen Schranken überschritten und mit der Kreierung eines völlig neuen, an individuelle Gleichheitsrechte (“All men are created equal“) gekoppelten, Selbstbestimmungsrechts der Völker die nationalen Grenzen der Demokratie bereits überschritten. Aber dieser kühne, auf das Völkerrecht des 20. und 21. Jahrhunderts vorgreifende Schritt wird im Kompetenz- und Organisationsrecht der Amerikanischen Verfassung sogleich wieder zurückgenommen. Mit der außenpolitischen Prärogative des Präsidenten tritt die revolutionäre Verfassung in den Schatten des Konstitutionalismus zurück. Die äußere Staatssouveränität wird nach dem Vorbild des englischen Königs von der inneren Volkssouveränität, die alles, was das englische Verfassungsrecht damals zu bieten, weit hinter sich lässt, getrennt. 1788 war das Realpolitik, galt es doch, den englischen König in einem der opferreichsten Kriege, den die Vereinigten Staaten je geführt haben (1% der Bevölkerung starb durch Kriegsgewalt, nur im Bürgerkrieg waren es mehr), zu besiegen.
Anmerkungen
1 Hauke Brunkhorst ist Professor für Soziologie an der Universität Flensburg. Der Text beruht auf dem Text seines Eröffnungsvortrags des Colloquiums Citizenship and Cosmopolitanism in Hannah Arendt: Hoger Instituut voor Wijsbegeerte, Katholische Universität Leuven im Dezember 2006. http://soc.kuleuven.be/pol/pol_denken/docs/HA-Affiche-08-11-2006.pdf. Hannah Arendt, Macht und Gewalt, München: Piper 1970, 42.
2Hannah Arendt, “On Violence” in: Crisis of the Republic. San Diego, New York, London: Harcourt Brace and Company. 1972, S. 140.
3 Beide Begriffe, Arendts Begriff politischer und Habermas Begriff kommunikativer Macht, markieren (bei aller Übereinstimmung) die Differenz beider Denker zum politischen Liberalismus, wie er heute exemplarisch von Rawls oder Dworkin vertreten wird. Da es mir hier auf die Unterschiede zwischen Arendt und Habermas, die nicht im Begriff der Macht, sondern in dem der Rationalität liegen, nicht ankommt, werde ich im folgenden den Begriff der kommunikativen Macht äquivalent mit Arendts Machtbegriff verwenden, um Arendts Theorie der Macht neu zu interpretieren. Diese Begriffswahl hat den Vorteil, Arendts unglückliche Unterscheidung von Macht und Gewalt von vornherein zu vermeiden, die es nicht erlaubt, politische Macht als gesellschaftliches Phänomen zu verstehen (dazu unten Abschnitte IV und VI).
4 David Strecker, Logik der Macht, Diss. phil., Berlin: Otto Suhr Institut 2006, S. 60, S. 129.
5 H. Brunkhorst, Einführung in die Geschichte politischer Ideen, München: Fink (UTB), S. 214ff, hier: S. 225f.
6 S. jetzt auch: Sonja Buckel, Andreas Fischer-Lescano (Hrg.), Hegemonie gepanzert mit Zwang. Zivilgesellschaft und Politik im Staatsverständnis von Antonio Gramsci, Baden-Baden: Nomos 2007
7 Zu Parsons: Strecker, Logik der Macht, S. 53.
8 Das hat Marx exemplarisch an Hegels Begriff des objektiven Geistes gezeigt und ihn deshalb durch den Begriff der (bürgerlichen) Ideologie ersetzt ist. Aus der Perspektive kritischer Machttheorien ist es danach immer wieder beobachtet worden, zuletzt: Jürgen Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne, Frankfurt: Suhrkamp 1985.
9 Zum Begriff der „Eigentumsmarktgesellschaft“: C. B. MacPherson, Die politische Theorie des Besitzindividualismus, Frankfurt: Suhrkamp 1973.
10 Zur weitgehenden Übereinstimmung in diesem Punkt siehe nur: Carl Schmitt, Der Hüter der Verfassung, Berlin 1931, zit. n. d. Ausgabe Berlin: Duncker&Humblot 1985; H. Arendt, Vita Activa oder Vom tätigen Handeln.
11 H. Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, München: Beck 1991, S. 248.
12H. Arendt, The Origins of Totalitarianism, New York 1979, Seiten 215, 217, 351. Vgl. a. Elemente und Ursprünge, Seiten 211, 222, 347, 351, 363, 643f. Zum reflexiven Mechanismus: Niklas Luhmann, „Reflexive Mechanismen“, in: Soziologische Aufklärung 1, Opladen: Westdeutscher Verlag 1974, S. 92-112.
13 Arendt, Elemente, S. 646.
14 Sie orientiert sich bei dieser Unterscheidung an Kant und Heidegger. Kant hatte den (Geltungs-)Ursprung einer Erscheinung oder einer Handlung von ihrem (kausalen) Uranfang unterschieden, und Arendts Lehrer Heidegger hatte daran angeschlossen und den Ursprung aus dem transzendentalen Bewusstsein in die Geschichtlichkeit des (menschlichen) Daseins zurückverlegt und dabei seinerseits die Ontologie der Geschichtlichkeit scharf von der kausalen Geschichte abgegrenzt.
15 Vgl. Hans Mommsen, „Der Nationalsozialismus. Kumulative Selbstradikalisierung und Selbstzerstörung des Regimes“, in: Meyers Enzyklopädisches Wörterbuch, Stuttgart: Klett, 1976, S. 785-790; H. Mommsen, „Die ‘Endlösung der Judenfrage’ im ‘Dritten Reich’, in: Gesellschaft und Geschichte 9, 1983, S. 381-420; Ulrich Herbert, Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft. 1903-1989, Bonn: Dietz, 1996.
16 Arendt, Origins of Totalitarianism, S. 417. In der späteren, deutschen Version des Buches schreibt sie mit Bezug auf Stalin, „dass die Fremdherrschaft, welche totalitäre Regierungen in jedem, auch dem eigenen Land errichten, nirgends schließlich furchtbarer und blutiger wütet als in dem eigenen.“ (Arendt, Elemente, S. 644). Aber Ähnliches scheint auch auf das Nazi-Regime zuzutreffen. In der englischen Ausgabe schreibt sie abweichend: “The Nazis behaved like foreign conquerors in Germany when, against all national interests, they tried and half succeeded in converting their defeat into a final catastrophe for the whole German people” (Arendt, Origins, S. 416).
17 Zur Unterscheidung von Norm- und Maßnahmestaat, auf die Arendt auch zurückgreift: Ernst Fraenkel, Doppelstaat, Hamburg 2001. Zum „un-rule of law“: Guillermo O’Donnell, The Unrule of Law and the Underprivileged in Latin America. Notre Dame,1998, Zum Herz der Finsternis instruktiv die Norton-edition von Conrads Erzählung: Joseph Conrad, Heart of Darkness, Norton Critical Edition, New York 2005.
18 Zur Entstaatlichung und Fragmentierung nationalsozialistischer Macht: Franz Neumann, Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944, Frankfurt a. M. 1993.
19 Carl Schmitt, Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum, Berlin: Duncker&Humblot 1988 (1950), Seiten 55, 57.
20 Carl Schmitt, Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum (Berlin: Duncker und Humblot 1988 [1950]), Seiten 55, 57. Dazu jüngst die Beiträge von Brunkhorst, Koskenniemi u.a. zum Nomos der Erde, in: Constellations Vol. 11, No. 4, 2004.
21 Martti Koskenniemi; The Gentle Civilizer of Nations, Cambridge MA 2001, S. 98ff. Zur gesamten Epoche: Antony Anghie, Imperialism, Sovereignty and the Making of International Law, Cambridge 2004.
22 Arendt, Die verborgene Tradition, Frankfurt a. M. 1976., S. 29.
23 Heinrich Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, Leipzig: Hirschfeld 1899, S. 111.
24 Darin folgt ihr Margret Canovan, die ansonsten zu Recht betont, dass Arendt keineswegs, wie es aus vielen Ihrer Äußerungen hervorzugehen scheint, von vornherein eine scharfe Kritikerin des Nationalstaats war. Das Gegenteil ist richtig: Margaret Canovan, Margaret Canovan, Hannah Arendt. A Reinterpretation of Her Political Thought, Cambridge UK: Cambridge Univ. Press, 1992; Canovan, „Is there an Arendtian case for the nation state?“. In: Garrath Williams, Critical Assessments of Leading Political Philosophers: Hannah Arendt, London/ New York: Routledge 2006.
25 Arendt, Elemente und Ursprünge, S. 322 f..
26 Anghie, Imperialism.
27 Nathaniel Berman, „Bosnien, Spanien und das Völkerrecht – Zwischen ‘Allianz’ und ‘Lokalisierung’”, in: H. Brunkhorst, Hg., Einmischung erwünscht? Frankfurt: Fischer 1998, S. 117-142; Anghie, Imperialism; Martti Koskenniemi; The Gentle Civilizer of Nations, Cambridge MA 2001.
28 Wolfgang Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, München 1999; zur Unterscheidung von biologischen (Nationalsozialismus) und kulturellem (Stalinismus) Rassismus vgl. Rolf Zimmermann, Philosophie nach Auschwitz, Reinbeck: Rowohlt 2005.
29 Arendt, Origins of Totalitarianism, S. 646.
30 Niklas Luhmann, Verfassung als evolutionäre Errungenschaft, in: Rechtshistorisches Journal 9/1990, Seiten 176, 180, 184.
31 W. Reinhardt, Staatsgewalt.
32 Friedrich Müller, Die Einheit der Verfassung, Berlin: Dunker&Humblot 1979, S. 142.
33 Zur Unterscheidung der beiden Verfassungstraditionen: Christoph Möllers, Verfassungsgebende Gewalt—Verfassung—Konstitutionalisierung, in: Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, Berlin, 2003, S. 1ff.
34 Vgl. nur C. Schmitt, Legitimität und Legalität sowie Der Hüter der Verfassung; Arendt, Elemente und Ursprünge.
35 Zur Kritik: Friedrich Müller, Die Einheit der Verfassung, Berlin: Dunker&Humblot 1979, S. 141ff; F. Müller, Demokratie in der Defensive, Dunker&Humblot 2001, S. 67.
36 Paradigmatisch Hegel, der im § 209 seiner Grundlinien der Philosophie des Rechts die allgemeinen Freiheits- oder Menschenrechte auf die Sphäre der bürgerlichen Gesellschaft einschränkt, aber schon ihre abwehrrechtliche Anrufung im Staat zu gefährlich kosmopolitischer Staatsfeindschaft erklärt.
37 Kritisch: Oliver Lepsius, „Religionsfreiheit als Minderheitenrecht in Deutschland, Frankreich und den USA“, in: Leviathan 3/ 2006, S. 321-349.
38 Kritisch: Möllers, Gewaltengliederung, Tübingen 2005; Möllers, Legitime Gewaltenteilung. Nationalstaat – Europäische Integration – Globalisierung, Man. Göttingen 2006, S. 183ff: Die konstitutionalistische Entpolitisierung der Rechte besteht in diesem Fall darin, dass mit der „Aufhebung eines Gesetzes durch ein Verfassungsgericht wegen Verstoßes gegen die Grundrechte dem demokratischen Gesetzgeber eine legitimationsbedürftige Entscheidung über die Freiheitsverteilung aus der Hand genommen“ und (paternalistisch) von einem „demokratisch nicht legitimierten Organ übernommen wird.“ (183) Die Legitimation durch den Gesetzgeber ist in demokratisch herrschaftsbegründenden Verfassungen schon deshalb geboten, weil die „Entscheidung über die allgemeine Reichweite zweier Freiheitssphären“ stets eine Vielzahl von Personen betrifft, so dass sich kaum noch ein „vorpolitischer Bestand an individuellen Freiheiten“ definieren und „von der alle betreffenden demokratisch zu bestimmenden Freiheitsverteilung“ unterscheiden lässt (184). Auch wenn Rechte den Einzelnen vor staatlich exekutierten Mehrheitsentscheidungen schützen sollen, so sind sie doch (einschließlich des Rechts auf Eigentum) kein Privateigentum, sondern von vornherein öffentliche Rechte, die Bürger sich wechselseitig „zuerkennen müssen, wenn sie ihre Beziehungen mit den Mitteln des positiven Rechts legitim regeln wollen.“ (Jürgen Habermas, Faktizität und Geltung, Frankfurt: Suhrkamp 1992, S. 155) Legitim regeln aber können sie diese Beziehungen nur durch die „politisch autonome Ausgestaltung“ dieser Rechte (156f). Egalitäre Freiheitsrechte sind also von vornherein an demokratische Politik gebunden, so dass die Gerichte ihre demokratische Bestimmtheit durch das Gesetz verlieren, wenn sie – wie im Fall der Grundrechtsklage mit faktischem Initiativrecht – am legislativen Anfang und nicht erst am juridischen Ende des Konkretisierungsprozesses, der (mit Müller) Rechtstexte in Rechtsnormen verwandelt, stehen (Möllers, Gewaltenteilung, S. 186).
39 So Arendt auch noch in: Über die Revolution.
40 Kritisch: Andrew Arato in einem noch unveröffentlichten Vortrag zu Arendts Theorie von äußerer Souveränität und Verfassung in Amerika (Yale Univ. 5. Oct. 2006).
41 Gustav Radbruch, Rechtsphilosophie, Stuttgart: Kochler, 1950, S. 289f.
42Arendt, Über die Revolution, S. 183ff.
43 Arendt, Über die Revolution, Seiten 187, 379, FN 7; unter Verweis auf Karl Löwenstein.
44 Arendt, Über die Revolution, S. 187. Normative vs. nominalistic vs. instrumental constitutions see: Marcelo Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, Berlin 1998.
45 Arendt Arendt Macht und Gewalt, S. 45; vgl. Arendt 1974, S. 96
46 Arendt, Vita activa, München 1981, S. 194.
47 Arendt, Über die Revolution, S. 222f.
48Arendt, Vita activa, S. 194.
49Arendt, Über die Revolution, S. 228.
50 Arendt, Über die Revolution, S. 225.
51 Arendt, Über die Revolution, S. 225.
52 Arendt, Über die Revolution, S. 228
53 Arendt, On Revolution, S. 178.
54Arendt Vita activa, S. 194.
55 Arendt Zwischen Vergangenheit und Zukunft. Übungen im politischen Denken 1, München 1994, S. 74.
56 Arendt Zwischen Vergangenheit und Zukunft, Seiten 192, 221.
57 Arendt, Elemente und Ursprünge, letzter Absatz.
58 Arendt, Vom Leben des Geistes, Bd. 2: Das Wollen, München 1979, Seiten 30, 185 ff.
59 Arendt, Zwischen Vergangenheit und Zukunft, 3 S. 63.
60 Arendt, Vita activa, S. 194f)
61 Christoph. Möllers, Der parlamentarische Bundesstaat, in: Föderalismus, München 1997, S. 97.
62 Arendt, Über die Revolution, 193, 200. Zum demokratischen Rätsel jetzt auch: Susan Marks The Riddle of all Constitutions, Oxford: Oxford Univ. Press 2000.
63 Arendt hätte auch, wenn sie sich nicht mittlerweile von der Französische Revolution wegen ihrer massendemokratischen bzw. „sozialen“ Züge abgewandt hätte, auf Sieyes zurückgreifen und damit den verfassungstheoretischen Horizont ihrer politischen Theorie erheblich erweitern können. Aber Arendt deutet Sieyes wie Carl Schmitt als Begründer einer identitären Demokratie. Dagegen mit einer bahnbrechenden Sieyes-Interpretation: Ulrich Thiele, Advokative Volkssouveränität. Carl Schmitts Konstruktion einer ‘demokratischen’ Diktaturtheorie im Kontext politischer Theorien der Aufklärung, Berlin: Duncker&Humblot 2003.
64 Arendt, Über die Revolution, S. 198.
65 Niklas Luhmann, Macht, Stuttgart 1988, S. 30
66 Arendt, Über die Revolution, S. 199.
67 Hermann Heller, Souveränität (1928), in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 2: Recht, Staat, Macht, Leiden 1971, S. 31-202, hier: S. 39f.
68 Heller, Souveränität, S. 98.
69 J. Habermas, Wahrheit und Rechtfertigung, Frankfurt: Suhrkamp 1999, 62. Zur Permanenz auch: Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die verfassungsgebende Gewalt des Volkes – Ein Grenzbegriff des Verfassungsrechts, Frankfurt: Metner 1986; Habermas, Faktizität und Geltung. Der Ausdruck permanente legale Revolution stammt von Justus Fröbels. Dazu: Habermas, “Ist der Herzschlag der Revolution zum Stillstand gekommen?“, in: Die Ideen von 1789, Frankfurt 1989.
70 Arendt, Über die Revolution, S. 193
71 Nicht nur in föderalen Gebilden ist das eine Pluralität von Völkern, die sich ständig neu zusammensetzen. Denn wer ist das Volk der Volkssouveränität? Das sind die durch gleiche Freiheitsrechte immer wieder individualisierten Rechtsadressaten, die sich im gesetzgebenden Willensbildungsprozess jeweils neu zum Volk formieren. Vgl. zu diesem proceduralisierten Volksbegriff: Habermas, Faktizität und Geltung; Ingeborg Maus, Zur Aufklärung der Demokratietheorie, Frankfurt: Suhrkamp 1992; Friedrich Müller, Wer ist das Volk? Eine Grundfrage der Demokratie, Elemente einer Verfassungstheorie VI, Berlin: Duncker & Humblot 1997; H. Brunkhorst, Solidarität. Von der Bürgerfreundschaft zur globalen Rechtsgenossenschaft, Frankfurt: Suhrkamp 2002, Kap. I.3.
72 Arendt, Über die Revolution, Seiten 196, 200.
73 Marks, Riddle of all Constitutions, Seiten 103, 149f.
74 Marks, Riddle of all Constitutions, S. 103.
75 Tom McCarthy, “Philosophy and Critical Theory”, in: D.C. Hoy/ T. McCarthy, eds. Critical Theory, Oxford: Blackwell 1994, S. 21.
76 Marks, Riddle of all Constituions, 2f.
77 Brunkhorst, Hg., Demokratischer Experimentalismus, Frankfurt: Suhrkamp 1998.
78 Zur Transzendenz von Innen: Ali Rizvi, Habermas’ conception of „transcendence from within: An Interpretation“, PhD-Thesis, La Tobe University, Victoria 2007 (unveröffentlicht).
79 Arendt, Über die Revolution, 240ff, 266ff, 360. Das ist auch schon der erste Grund, warum Arendt sich die übermäßig erschwerte Änderbarkeit der Verfassung und die Unveränderlichkeit des Wortlauts zu eigen gemacht hat. Ein weiterer Grund liegt in der sogleich behandelten ontologischen Differenz von Rechten und politischem Handeln.
80 Zur letzteren: Cass Sunstein, After the Rights Revolution, Cambridge: Harvard 1993.
81 Arendt, Macht und Gewalt.
82 Arendt erweist sich auch darin als große und konsequente Philosophin, dass sie diesen Preis zu zahlen bereit ist, wenn sie den konsumistischen Massen vorschlägt, auf ihr Wahrecht zu verzichten, und Politik, Stabilisierung und Erhaltung kommunikativer Macht einer elementarrepublikanischen Elite zu überlassen. Wie sich dann aber die kommunikative Macht der Vielen erhalten und erweitern soll, bleibt ungeklärt.
83 Müller, Einheit der Verfassung, S. 142; Müller, Demokratie in der Defensive, S. 67.
84 Habermas, Wahrheit und Rechtfertigung, S. 63.
85 Arendt, Elemente und Ursprünge.
86 So aber Arendt in ihrer berühmten Formulierung eines Rechts auf Rechte: Arendt, Elemente und Ursprünge.
87 Dazu: Arato, a.a.O.
88 Anghie, Imperialism.
89 Arendt, Wahrheit und Politik.
90 Arendt, Über die Revolution.
91 Arendt, Vita Activa.
92 Dazu: Canovan.